Die Lage ist dramatisch

Ein Appell aus der Szene

25. November 2022

Lesezeit: 3 Minute(n)

Oberflächlich betrachtet, könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Schlimmste überstanden, aus der Pandemie eine Endemie geworden sei und es mit Kunst und Kultur allerorten wieder steil bergauf ginge – oder? Die Lage ist wohl nicht ganz so rosig, im Gegenteil. Uns erreichte ein Brief des Liedermacherduos Mon Mari Et Moi mit einer Lagebeschreibung, die so oder ähnlich auch von vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern zu hören ist. Zur Unterstützung, aber auch als Zeichen für die Brisanz des Ganzen, möchten wir diesen hier im Wortlaut widergeben:

„Wir sind Mon Mari Et Moi, ein Künstlerduo aus Kaiserslautern, und spielen in ganz Deutschland auf verschiedenen Kleinkunstbühnen. 2022 haben wir bisher 56 Konzerte gespielt und von vielen Veranstalterinnen und Veranstaltern gehört, dass sie ihr Stammpublikum verloren haben. Die Situation ist dramatisch. Viele haben aufgehört, langfristig zu planen, und holen erst mal nur noch ausgefallene Konzerte nach. Wir bekommen beispielsweise von einem Kulturverein, der 2023 einen Auftritt mit uns geplant hatte, folgendes Schreiben: ‚… es tut mir sehr leid, mitteilen zu müssen, dass aus dem angedachten Konzert … nichts wird. […] Sie fragen sich weshalb? Nun, die Coronapandemie hat tiefe Löcher in unsere Finanzen gerissen, und die Menschen hier sind immer noch nicht bereit, an Veranstaltungen in Innenräumen teilzunehmen. Wir bedauern das sehr. Einzig die Auftritte von Künstlern aus der Region haben noch etwas Zulauf, aber auch nicht mehr so wie früher … Wir hoffen, dass sich die Zeiten wieder ändern, und auch auf Ihr Verständnis …‘ Das ist kein Einzelfall. Andere Künstlerinnen und Künstler bekommen ähnliche Absagen. Viele Konzerte fallen aus. Wir haben uns mit sehr vielen Musikerinnen und Musikern dazu ausgetauscht.

Anfangs haben wir gedacht, es liegt daran, dass wir noch nicht so bekannt sind und nicht gerade massenkompatible Musik machen. Warum sollten wir in Görlitz, wo uns niemand kennt, die Hallen füllen. Aber selbst bekannte Namen erreichen nicht mehr die Besucherzahlen von früher. Es gibt im Moment zu viele Gründe, warum Menschen nicht mehr so viele Veranstaltungen besuchen. Corona, Zukunftsängste, Geldnot, Trägheit, Streamingangebote usw. Die Stimmung ist bei vielen im Keller. Kein Wunder! Jeden Tag nur Krisenmeldungen, wer hat da noch Lust, sich einen schönen Abend zu machen. Mit einem Aufruf allein wird sich daran nicht viel ändern. 

Es braucht originellere Ideen. Vielleicht sollte dafür gekämpft werden, dass der Besuch von Kulturveranstaltungen eine Kassenleistung ist. Wir bekommen zum Beispiel zweimal im Jahr meinen Yogabesuch als Präventionskurs von unserer Krankenkasse erstattet. Ein Konzertbesuch könnte genauso für seelisches Gleichgewicht sorgen und würde sicher dazu beitragen, dass Menschen nicht einsam und depressiv zu Hause sitzen. Kultur lebt von Begegnungen und kann nicht digital ersetzt werden.

Eine andere Idee ist, Menschen, die sich keinen Konzertbesuch leisten können, einzuladen. Unser Vorbild dafür ist die Kammgarn in Kaiserslautern. Wir haben das abgeguckt und bieten an, Leute, die sich keinen Konzertbesuch leisten können, auf die Gästeliste zu setzten. Manchmal sind Veranstalterinnen und Veranstalter auch nicht ganz unschuldig an den mauen Besucherzahlen. Es reicht zurzeit einfach nicht, wenn eine Veranstaltung so beworben wird wie noch vor vier Jahren. Mit ein, zwei Plakaten lockt man die Leute nicht mehr massenweise aus dem Haus. Vielleicht müssen andere Angebote her. Zum Beispiel eine Kinderbetreuung, damit auch Alleinerziehende Konzerte besuchen können, ohne zusätzlich einen Babysitter organisieren zu müssen.

Komischerweise funktionieren private Wohnzimmerkonzerte immer noch bestens. Da drängeln sich vierzig Leute in ein winziges Wohnzimmer und niemand macht sich Sorgen. Als ob die Leute denken: ‚Die kenn ich, da steck ich mich nicht an.‘ Hier werden die Menschen aber auch ganz anders angesprochen und persönlich eingeladen. Früher haben wir uns gesagt, wir erreichen leider bei den Wohnzimmerkonzerten nicht so viele Menschen, mittlerweile sind diese Konzerte eine feste Bank. Da wir bis Dezember touren und dann unser neues Album aufnehmen, bleibt uns zu wenig Zeit, um eine Kampagne zu starten, aber es muss dringend was passieren, um die Veranstaltungen wieder zu füllen! Wir schreiben im Moment Lieder und versuchen, nicht zu verzweifeln. In der Vergangenheit (2020/2021) sind wir gut unterstützt worden, um durch die Pandemie zu kommen. Jetzt fühlen wir uns von der Politik vergessen. Es fehlt ein Zeichen und ein Bewusstsein dafür. Kultur ist kein Thema mehr. Vielleicht kannst du/könnt ihr helfen, unseren Gedanken Gehör zu verschaffen.

Allerbeste Grüße, Shakti und Mathias Paqué“

www.monmarietmoi.de

Foto: Marta Maria Mróz

1 Kommentar

  1. Danke für den Artikel und die Initiative, kann ich alles unterschreiben.

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