Akustischer Weihrauch

Quetschendatschi

3. Dezember 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Es geistert in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr – und es begeistert, wie das Trio Quetschendatschi aus dem westlichen Oberbayern und Bayerisch-Schwaben die Gefühle, die Wahrnehmungen dieser Zeit musikalisch umsetzt.

Text: Ulrike Zöller; Fotos: Thomas Rimili

Zwetschgendatschi ist eine Kuchenspezialität der schwäbischen Stadt Augsburg, in deren Umfeld Johannes Sift aufgewachsen ist. Davon und von seiner Liebe zur diatonischen Harmonika, der „Quetsche“, leitet sich der Name des Trios ab. Auch wenn ihr aktuelles und aufregendstes Programm eher mit der Lebkuchenzeit als mit der Zwetschgenzeit in Zusammenhang steht.

Quetschendatschi, das sind die vielseitige und experimentierfreudige Sabrina Walter an Harfe und Hackbrett, die in vielen Ensembles unterwegs ist; Stefan Hegele, der Helikonspieler und Gitarrist, der als kreativer musikalischer Ideensammler Altes, Neues, Regionales und Internationales verbindet; und natürlich Johannes Sift, der mit einer wundersamen Mischung aus Akribie, Forscherdrang und Kreativität viele Bilder, Stimmungen und Schattierungen auslotet, die mit der diatonischen Harmonika musikalisch zu malen sind.

Dessen familiäre Wurzeln in Siebenbürgen, seine Sozialisation in der schwäbisch-bayerischen Volksmusiktradition, der Einfluss von nordeuropäischer, italienischer Musik und Klezmer, seine Arbeit als Sprachwissenschaftler und Lehrer und vor allem seine Lust auf das Zusammenfügen vieler musikalischer Welten trugen dazu bei, dass eine spezielle „Sift-Musik“ geboren wurde. Diese zeichnet eine Vielschichtigkeit aus, die ausgerechnet auf einem diatonischen Instrument entsteht, worauf bei Weitem nicht alle Tonarten oder Akkorde möglich sind. Neben Quetschendatschi ist Sift unter anderem Mitglied bei den Gruppen Liadhaber, Kapelle Massanari und Landlerdelirium, zudem ist er Teil des Ensembles, das der Akkordeonist Martin Hegele für das Projekt „Zwischen den Welten“ zusammengestellt hat.

„Da geistern Melodien durch den Kopf.“

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Zwischen den Welten und zwischen den Jahren spielt sich auch das aktuelle Programm von Johannes Sift und Quetschendatschi ab – ein Novum für Musikschaffende, die im Bereich der katholisch geprägten Volksmusikszene in Bayern aufgewachsen sind, denn bislang wurden hier in dieser Zeit fast ausschließlich Weihnachts-, Neujahrs- oder Dreikönigslieder gesungen. Musikalisch überwiegen getragene und feierliche Weisen. Mit Ausnahme eines Stückes, dem „Perchtentanz“ in Moll, orientiert man sich eher an christlichen Traditionen, auch wenn vor und nach Weihnachten wilde, maskierte und in Fell gehüllte Gestalten in einigen Dörfern an vorchristliche Vorstellungen erinnern wie das Austreiben der bösen Geister in den längsten Nächten des Jahres.

Cover Rauhnacht

 

Gewissermaßen eine „Niemandszeit“ ist die Lücke zwischen dem germanischen Mondjahr mit 354 Tagen und dem heutigen Sonnenjahr mit 365 Tagen. Der Sprachwissenschaftler Johannes Sift erklärt die Bezeichnung „Rauhnächte“ vorrangig damit, dass man in dieser dunklen und nach altem Glauben von Dämonen und Geistern bestimmten Zeit Kräuter und Substanzen wie Weihrauch, Myrrhe, Beifuß, Kampfer oder Salbei räucherte, um die Geister zu vertreiben. Jede der zwölf Nächte ist mit einem anderen Gefühl belegt – zwischen Angst und Hoffnung, Loslassen und Bewahren, zwischen Selbstreflexion, Vergebung und Dankbarkeit. Und weil Sift als Lehrer gerade auch an diesen Tagen Muße und Ruhe für seine Gedanken hat, sind ihm „zwischen den Jahren“ Stücke eingefallen, die die Rauhnächte beschreiben. „Da geistern die Melodien durch den Kopf“, sagt er.

Das charakteristischste Stück ist sicher „Rauhnacht“, das mit sphärischen Klängen beginnt und in eine handfeste Mazurka übergeht – typisch für die Arbeit von Quetschendatschi, Soundscapes mit Handfestem zu verbinden. Oder die Sterndeuter nicht in orientalische Klänge, sondern in einen Zweiviertelrhythmus zu packen. Sifts eigene Fantasien und Stimmungen prägen manche der Rauhnachtstücke. In „Wolfsnacht“ – eine andere Bezeichnung für „Rauhnacht“ – beispielsweise verarbeitet er ein Wolfserlebnis zwischen Traum und Realität. Dann wieder sind schwedische Geigenklänge zu hören, Klezmer, Tarantella oder ein Zwiefacher: Das virtuos gespielte Hackbrett von Sabrina Walter, dem sie oft Santurklänge entlockt, verbindet bayerische Rhythmen mit Klängen des arabischen Raums. Das tubaähnliche Blasinstrument Helikon, dem man allgemein eher bräsige Töne zuschreibt, spielt Stefan Hegele als butterweiche sanfte Unterlage.

 

Man merkt sehr deutlich, dass alle drei Mitglieder des Trios gleichermaßen Sifts Ideen zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Und nicht nur das: Der Produzent und Tonmeister Johannes Bengen, im Leben jenseits der Studioscheibe Schlagzeuger und Percussionist, bringt sich mit Kastagnetten, Daf und Schlagzeug ein. Johannes Sift ist großer Percussionfan, spielt selbst Tamburello, außerdem Chimes und Maultrommel. Gerade wenn Hackbrett und Maultrommel zu hören sind, räuchern manche der Rauhnachtstücke Ohren und Gemüt mit ihren Obertonklängen quasi aus – sozusagen akustischer Weihrauch.

Den Rauhnächten als germanische Tradition eine musikalische Stimme zu geben, wäre vor nicht allzu langer Zeit in der katholisch geprägten bayerischen Volksmusikszene sicher kritisch gesehen worden. Inzwischen aber sieht Johannes Sift eine andere Gefahr: den Applaus von der rechten Seite, die sich dem „Germanischen“ verschrieben hat. „Unsere Musik ist absolut ideologiefrei und unpolitisch“, sagt der Musiker, „aber genau deshalb laufen wir Gefahr, von dieser Szene vereinnahmt zu werden. Es hat tatsächlich eine Situation gegeben, bei der Politiker von der AfD sich mit uns fotografieren lassen wollten. Und auf einmal erscheinen wir als Kulisse hinter Rechtsextremen. Das ist total gespenstisch.“

Immerhin: Rauhnächte sind ja auch dazu da, die bösen Geister abzuwenden. Daher bleibt zu hoffen, dass der musikalische Weihrauch von Quetschendatschi die braunen Geister in Zukunft fernhält.

www.johannes-sift.de/pages/quetschendatschi

Aktuelles Album:

Rauhnacht (Eigenverlag, 2023)

Aufmacher:

Foto: Thomas Rimili

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