Vorbilder für seine Taksim-Technik kann Ertel nicht benennen. Ja, er hat generell keine, wenn es um sein Spiel auf der Elektro-Bağlama geht, beteuert er im Gespräch mit dem folker. Das mag verwundern, gilt die Bağlama doch als Inbegriff der türkischen Musik. Ihre Tradition reicht viele Jahrhunderte zurück, die der Elektrovariante immerhin bis in die Sechzigerjahre. Damals klebte man bei Bedarf Pick-ups an akustische Instrumente, bis die beiden Musiker und Sänger Orhan Gencebay und Erkin Koray die Konstruktion professionalisierten. Ertel reichte auch das nicht. Er investierte 2006 einen Lottogewinn in die Konstruktion einer elektrischen Divan Saz (das ist die größte Variante des Instruments). Diese nannte er „Lotterie“ („Piyango“). Später folgte das Instrument, dem er den Namen „Drache“ („Ejder“) gab und das sich unter anderem durch einen flachen Rücken auszeichnet, was insbesondere beim Spielen im Stehen viel angenehmer ist.
„Wir leisten einen Beitrag zur musikalischen Entwicklung.“
Und Ertel hat wirklich keine Vorbilder? „Nein“, erklärt er. „Ich wünschte, ich hätte welche, aber Orhan Gencebay höre ich mir aus politischen Gründen nicht mehr an, obwohl er ein fantastischer Spieler ist. Und Arif Sağ, ein weiterer Pionier, hasste seine elektrische Phase später.“
Das bringt uns zum gesellschaftskritischen Teil des Albums. Während die Taksims bis auf die Hörspielelemente instrumental und meditativ gehalten sind, geht es in den Texten der übrigen vier eher groovigen und von Ümit Adakale mit exzellenter Percussion versehenen Stücke zum Teil politisch hart zur Sache. Besonders deutlich wird Ertel in „Arsız Saksağan“ („Freche Elster“). Das Stück ist offen regierungskritisch und „den Medien, die blenden, den Journalisten, die zum Schweigen gebracht werden, den Menschen, die eingesperrt werden, nur weil sie sich wehren“ gewidmet, wie es in den Lyrics heißt. In „Yok Haddi Yok Hesabı“ („Es gibt kein Limit, es gibt keine Kalkulation“) geht es um die Hyperinflation in der Türkei. Gefragt, ob sich Ertel inzwischen für andere Dinge politisch engagiert als in den Neunzigerjahren, antwortet er: „Nein, es sind immer noch dieselben Themen: Menschenrechte, Rechte von Frauen, Kindern und Minoritäten, Kampf gegen Unterdrückung, Rassismus, kapitalistischer Imperialismus … Inzwischen sind noch Digitalisierung, digitaler Faschismus und Faschismus durch KI-Roboter hinzugekommen.“
Bekommen die deutschen Fans, die meist kein Türkisch sprechen, die Botschaften mit? Reagieren sie anders als das Publikum in der Türkei? Dazu Akman: „Im In- und Ausland sind unsere Konzerte wegen unserer Melodien und hypnotischen Rhythmen wie Rituale. Speziell im Ausland spielt nach dem zweiten Stück die Nationalität keine Rolle mehr. Leute sind halt Leute“, sagt er lachend. „Außerhalb der Türkei lesen die Leute sehr viel mehr. Sie versuchen zu verstehen, was wir singen“, fügt Ertel hinzu.
Steht zu hoffen, dass diese positive Einschätzung der internationalen Fangemeinde stimmt. Schließlich sind es sind neben dem einzigartigen musikalischen Mix auch die politischen Botschaften, die BaBa ZuLa zu einer der wichtigsten Bands der Türkei machen.
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