BaBa ZuLa veröffentlichen neues Album

Orientalischer Psycho-Dub mit Tiefgang

16. Dezember 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Mit İstanbul Sokakları legen Baba ZuLa einen neuen Longplayer vor, der wieder groovig-hypnotischen orientalischen Psycho-Dub bietet und gleichzeitig neue Akzente setzt. Die aktuell vierköpfige Band um Mastermind Murat Ertel stellte ihn im November auf mehreren Konzerten in Deutschland und Österreich vor.

Text: Ines Körver

Ausgangspunkt der Klangreise mit der seit 1996 in wechselnden Formationen bestehenden Band ist wie immer Istanbul. Dort ist der inzwischen sechzigjährige Murat Ertel aufgewachsen und hat er den größten Teil seines Lebens verbracht. Das Cover des neuen Albums, dessen Titel übersetzt „Straßen von Istanbul“ heißt, ziert denn auch folgerichtig eine gezeichnete Ansicht des Stadtteils Beyoğlu. Man sieht ein paar Segelschiffe und Ruderboote auf dem Bosporus sowie einen Zipfel des asiatischen Teils der Stadt. Über dem Wasser fliegt in Richtung Osten ein … – ja was eigentlich? Es sieht aus wie ein Flughund, ist aber möglicherweise „Ejder“, übersetzt: „der Drache“. Doch dazu später mehr.

Wenn man in das neue Album reinhört, ist sofort klar: Wir sind in der Millionenmetropole zwischen Schwarzem und Mittelmeer, nun aber etwa einen Kilometer südwestlich am 1888 errichteten Bahnhof Sirkeci. Ein Ansager kündigt an, dass in fünf Minuten der Express nach München abfahren wird. Während der Zug Fahrt aufnimmt, stimmt uns Ertel musikalisch auf die Reise ein. Und zwar mit einem Taksim. Dieses Format ist der rote Faden des neuen Albums, vier von acht Stücken gehören zu dieser Gattung.

Wer die Bezeichnung Taksim nicht kennt, denke in erster Näherung an ein Vorspiel oder eine Einleitung. Im Gegensatz zum Vorspiel westlicher Prägung ist allerdings der Taksim in der türkischen Musik ein improvisiertes und rhythmisch freies Solo. Er hat vornehmlich zwei Zwecke: Zum einen soll er Zuhörende auf den Makam – also die Tonleiter samt Ausführungsregeln – des nächsten Stückes vorbereiten, und zum anderen soll er zeigen, dass Ausführende ihr Instrument beherrschen. Wegen der benötigten Mikrotöne kommen für den Vortrag eines Taksims nur bestimmte Instrumente in Frage. In der klassischen türkischen Musik sind das beispielsweise Kanun, Ney, Geige und Tambur. In der türkischen Volksmusik ist das unter anderem die Bağlama, die auch als Saz bekannt ist.

Ertel und Co. haben das Format Taksim mit der Muttermilch aufgesogen, sie fügen ihm auf dem neuen Album BaBa ZuLas aber einiges hinzu. Da sind zum Beispiel die Hörspielelemente. Beeinflussen lassen hat sich Ertel hier von Korkmaz Çakar, einem Klassiker der türkischen Hörspielproduzenten, mit dem er sich auch persönlich anfreundete. Bei jedem der vier Taksims auf İstanbul Sokakları befinden wir uns mithilfe dieser Geräusche an einem anderen Ort: am Bahnhof, am Wasser, auf einem Wochenmarkt und in einem „schönen Garten“, wie der Titel des entsprechenden Tracks klarmacht. Innovativ ist auch der mehrfache Einsatz eines satten Borduns, den BaBa-ZuLa-Urgestein Mehmet Levent Akman auf dem Synthesizer kreiert. Ertel sagt: „Vielleicht werden mir einige traditionelle Musiker böse sein, aber ich denke, das ist der Weg, den Taksims gehen sollten.“ – „Damit leisten wir einen Beitrag zur musikalischen Entwicklung“, ist auch Akman überzeugt.

BaBa ZuLa

Foto: Emre Doğru

Vorbilder für seine Taksim-Technik kann Ertel nicht benennen. Ja, er hat generell keine, wenn es um sein Spiel auf der Elektro-Bağlama geht, beteuert er im Gespräch mit dem folker. Das mag verwundern, gilt die Bağlama doch als Inbegriff der türkischen Musik. Ihre Tradition reicht viele Jahrhunderte zurück, die der Elektrovariante immerhin bis in die Sechzigerjahre. Damals klebte man bei Bedarf Pick-ups an akustische Instrumente, bis die beiden Musiker und Sänger Orhan Gencebay und Erkin Koray die Konstruktion professionalisierten. Ertel reichte auch das nicht. Er investierte 2006 einen Lottogewinn in die Konstruktion einer elektrischen Divan Saz (das ist die größte Variante des Instruments). Diese nannte er „Lotterie“ („Piyango“). Später folgte das Instrument, dem er den Namen „Drache“ („Ejder“) gab und das sich unter anderem durch einen flachen Rücken auszeichnet, was insbesondere beim Spielen im Stehen viel angenehmer ist.

„Wir leisten einen Beitrag zur musikalischen Entwicklung.“

Und Ertel hat wirklich keine Vorbilder? „Nein“, erklärt er. „Ich wünschte, ich hätte welche, aber Orhan Gencebay höre ich mir aus politischen Gründen nicht mehr an, obwohl er ein fantastischer Spieler ist. Und Arif Sağ, ein weiterer Pionier, hasste seine elektrische Phase später.“

Das bringt uns zum gesellschaftskritischen Teil des Albums. Während die Taksims bis auf die Hörspielelemente instrumental und meditativ gehalten sind, geht es in den Texten der übrigen vier eher groovigen und von Ümit Adakale mit exzellenter Percussion versehenen Stücke zum Teil politisch hart zur Sache. Besonders deutlich wird Ertel in „Arsız Saksağan“ („Freche Elster“). Das Stück ist offen regierungskritisch und „den Medien, die blenden, den Journalisten, die zum Schweigen gebracht werden, den Menschen, die eingesperrt werden, nur weil sie sich wehren“ gewidmet, wie es in den Lyrics heißt. In „Yok Haddi Yok Hesabı“ („Es gibt kein Limit, es gibt keine Kalkulation“) geht es um die Hyperinflation in der Türkei. Gefragt, ob sich Ertel inzwischen für andere Dinge politisch engagiert als in den Neunzigerjahren, antwortet er: „Nein, es sind immer noch dieselben Themen: Menschenrechte, Rechte von Frauen, Kindern und Minoritäten, Kampf gegen Unterdrückung, Rassismus, kapitalistischer Imperialismus … Inzwischen sind noch Digitalisierung, digitaler Faschismus und Faschismus durch KI-Roboter hinzugekommen.“

Bekommen die deutschen Fans, die meist kein Türkisch sprechen, die Botschaften mit? Reagieren sie anders als das Publikum in der Türkei? Dazu Akman: „Im In- und Ausland sind unsere Konzerte wegen unserer Melodien und hypnotischen Rhythmen wie Rituale. Speziell im Ausland spielt nach dem zweiten Stück die Nationalität keine Rolle mehr. Leute sind halt Leute“, sagt er lachend. „Außerhalb der Türkei lesen die Leute sehr viel mehr. Sie versuchen zu verstehen, was wir singen“, fügt Ertel hinzu.

Steht zu hoffen, dass diese positive Einschätzung der internationalen Fangemeinde stimmt. Schließlich sind es sind neben dem einzigartigen musikalischen Mix auch die politischen Botschaften, die BaBa ZuLa zu einer der wichtigsten Bands der Türkei machen.

www.babazula.com

www.youtube.com/@BaBa_ZuLa

Aufmacher:
BaBa ZuLa

Foto: Engin Güneysu

Aktuelles Album: İstanbul Sokakları (Glitterbeat Records/Indigo, 2024)

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