Manchmal gibt es diese glücklichen Fügungen im Leben, die aus einer spontanen Begegnung etwas Besonderes entsteht lassen. 2018 lernt die Darmstädter Harfenistin und Dudelsackspielerin Daniela Heiderich während der ersten Ausgabe der Nürnberger Borduntage ihren Mitdozenten, den französischen Drehleiervirtuosen Gilles Chabenat kennen. Bei einer Session mit improvisierter Musik springt der Funke über und entzündet einen musikalischen Flächenbrand, der zur Gründung eines festen Duos führt. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit liegt nun auf dem wunderbaren Album Un Jour Encore vor.
Text: Ulrich Joosten
„Wir merkten sofort, dass es gut zusammenpasst“, sagt Heiderich. „Nicht nur unsere Instrumente harmonierten miteinander, sondern vor allem auch die jeweiligen Weisen, uns musikalisch auszudrücken.“ – „Ich spiele gerne im Duett“, ergänzt Chabenat. „Dabei kann man im künstlerischen und menschlichen Austausch sehr weit kommen. Und die brillante und persönliche Art, wie Daniela die Harfe spielt, hat mich sofort betört.“
Heiderich wiederum ist „total glücklich“, ihr schon lange gehegten Wunsch eines Harfe-Drehleier-Duoprojekts realisieren zu können, und das nicht mit irgendwem, sondern mit einem der arriviertesten Drehleierspieler Frankreichs. Chabenat hat bereits im zarten Teenageralter einige Instrumentalstücke für die Ewigkeit komponiert – wie etwa das unkaputtbare „Les Poules Huppées“ –, die heute zum Standardrepertoire (nicht nur) der französischen Bal-Folk-Szene gehören. Im Lauf seiner Karriere hat er mit vielen internationalen Künstlern verschiedenster Musikstile zusammengearbeitet, darunter die korsische Folkband I Muvrini, Malicorne-Gründer Gabriel Yacoub, Chansonnier Jean-Jacques Goldman, der baskische Akkordeonist Kepa Junkera und Rockmusiker Sting. Und jetzt also Daniela Heiderich …
Bereits auf der Heimreise von den Borduntagen schmieden die beiden Pläne für ein gemeinsames Programm, das, so die Harfenistin, „mit den Klischees über unsere Instrumente aufräumen soll, traditionelle Musik und Eigenkompositionen mischt und die Möglichkeiten von Harfe und Leier auslotet.“
Am Beginn ihrer Zusammenarbeit steht für die Deutsche und den Franzosen naheliegenderweise Traditionelles aus ihren Heimatländern. Darunter ein deutschsprachiges Lied und zwei Chansons auf Französisch (gesungen von Heiderich mit ihrem glockenhellen Sopran) sowie die Polonaisen Nummer 19 und Nummer 34 aus der Wittenberger Apothekenhandschrift von 1768. „Doch nach den ersten Konzerten“, erinnert die Harfenistin, „als sich unsere musikalische Identität immer mehr herauskristallisierte, küsste Gilles an windigen Herbsttagen die Muse.“ – „Einige Proben später“, bestätigt Chabenat, „begann ich, in meinem Kopf den Klang des Duos zu ‚hören‘, und wollte unbedingt dafür komponieren.“ – „Eine Zeit lang,“ ergänzt Heiderich, „erhielt ich jeden zweiten Tag neue, extra für unser Duo geschriebene Musikstücke zugesandt.“ Diese Kompositionen, sagt der Franzose, „sind an Tanzstrukturen wie Bourrée, Walzer, Mazurka, Schottisch angelehnt. Aber wir haben sie eher als Lieder ohne Worte aufgebaut – mit Brücken, Nuancen, Pausen und so weiter.“
In der Kombination der elektroakustischen Altdrehleier aus der Werkstatt von Denis Siorat und der böhmischen Hakenharfe von Pepe Weissgerber liegt ein besonderer Reiz – Langtöner versus Kurztöner, Harfen- versus Drehleierschnarre ergeben ganz spezielle musikalische Möglichkeiten. „Wir mögen es außerdem, mit unseren Instrumenten gelegentlich von ihrer jeweiligen klassischen Spielweise abzuweichen“, merkt Chabenat an. „Wir wollten einen kraftvollen Sound, aber mit natürlichen Elementen wie zum Beispiel dem Schnarren der Harfe, einer echten Verzerrung aus dem achtzehnten Jahrhundert.“ Um diesen Klang zu realisieren, wird das Instrument mit einer speziellen, sogenannten Schnarrenzugleiste auf der Decke ausgestattet. „Wenn ich diese Leiste mit einer kleinen Bewegung nach oben ziehe“, erklärt Heiderich, „berührt jede Basssaite beim Schwingen ein Metallfähnchen. Dies erzeugt einen wilden, sitarähnlichen Klang, der manchmal sogar an die verzerrte E-Gitarre erinnert. Dieser Mechanismus ist keine moderne Erfindung, sondern war schon an Harfen der Barockzeit beliebt.“
Dabei ist es durchaus eine Herausforderung, einen gemeinsamen Klang zu finden „und die vielen Möglichkeiten geschickt miteinander zu kombinieren“, sagt Heiderich. „Es ist immer wieder spannend, sich von der Spiel- und Herangehensweise des anderen beeinflussen zu lassen und dadurch Ideen zu finden, auf die man sonst gar nicht gekommen wäre, weil sie beim eigenen Musikinstrument weniger naheliegend sind. Inzwischen haben wir einen Klang gefunden, der wirklich persönlich ist und den es so kein zweites Mal gibt.“ Gezupfte und gestrichene Saiten lassen sich gut verbinden, meint die Harfenistin, „außerdem haben wir ein paar Tricks, um den Instrumenten unerwartete Töne zu entlocken, was uns eine große Bandbreite an Klangmöglichkeiten eröffnet. Rhythmisch hauen wir beide gerne entweder mit Schnarre oder Schnarrenzug auf den Putz.“ – „Aus organologischer Sicht“, merkt Chabenat an, „ergänzen sich Harfe und Drehleier. Darüber hinaus gibt es auch auf der persönlichen Ebene zwischen uns eine Sensibilität und eine gemeinsame Experimentierfreude.“
Die Arrangements sind laut Heiderich modisch und eine Mischung aus tonaler und Bordunmusik. „Außerdem ist unsere Musik rhythmisch sehr von aktueller Musik beeinflusst. Modern ist ebenfalls, dass wir elektroakustisch spielen. Gilles’ Drehleier ist speziell für verstärkte Musik gebaut worden, und auch die Harfe entfaltet abgenommen noch mal andere Klangfarben. Somit passt das Programm gut auf eine Bühne mit PA. Wir können aber auch im kleineren, intimeren Rahmen auftreten. In Frankreich hatten wir schon einige Konzerte und werden unsere CD dieses Jahr dort live vorstellen. Und wir hoffen, bald in Deutschland spielen zu können.“
Aktuelles Album:
Un Jour Encore (Bemol VPC, 2021)
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