Als ich sieben Jahre alt war, kamen eines Tages zwei Frauen in unsere Musikklasse in der Schule, um etwas bekannt zu geben. Damals, in den frühen Neunzigern, gab es noch keine Mobiltelefone, daher waren es kurze Stadtnummern, die uns auf Zetteln mitgeteilt wurden. Eine davon war die Nummer einer Banduralehrerin, die, wie sich später herausstellte, sehr wichtig für mein Leben werden sollte.
Text: Anastasiya Voytyuk; Übersetzung aus dem Englischen: Mike Kamp
Die Bandura ist ein ukrainisches Zupfinstrument. Besser gesagt: Bandura ist ein Wort, das ein ganzes Phänomen der ukrainischen Musik bezeichnet. Das schließt Instrumente, Interpretinnen und Interpreten, Musikrichtungen und Konzepte ein und führt zu vielen verschiedenen Varianten des Instruments sowie entsprechenden Spielstilen. Es gibt immer noch keine klare Systematisierung dieses Phänomens, und es gibt viele verschiedene Meinungen. Deshalb möchte ich meine eher untypische Erfahrung als moderner Banduraspielerin in der Ukraine teilen und einige wichtige Aspekte, die das Instrument betreffen, festhalten.
Zur Bandurafamilie gehören sowohl diatonische Instrumente wie die Kobza und die Volksbandura (ukrainisch starosvitska bandura) als auch mehrere Modelle moderner chromatischer Banduras (hergestellt in Tschernihiw und Lwiw, aber es gibt auch das Instrument vom Typ Charkiw). Ich persönlich vertrete die Theorie, dass sich die Bandura aus der Kobza – einem kleinen, wie eine Laute gespielten Instrument mit 6 bis 12 Saiten – entwickelt hat, indem immer mehr Saiten in der Nähe des Halses hinzugefügt wurden, sodass die Volksbandura bereits 20 bis 25 Saiten haben konnte. Die frühen Instrumente hatten Darmsaiten, im letzten Jahrhundert begann man, Metallsaiten zu verwenden, um den Klang voller zu machen, was zu einer Erhöhung der Größe und des Gewichts des Instruments führte. Der Korpus der Bandura wurde meist aus Weide, manchmal auch aus Ahorn, die Decke aus Fichte oder verwandten Holzarten gefertigt.
Die heute am weitesten verbreiteten Mitglieder der Bandurafamilie sind die chromatischen Banduras, die von ukrainischen Meistern in der Mitte des letzten Jahrhunderts gebaut wurden. Man begegnet ihnen im Internet, bei Konzerten, vielleicht sogar in der Instrumentensammlung von Freunden. Die Entwicklung und Massenproduktion des Instruments begann in den Fünfzigerjahren in zwei Fabriken – der heute geschlossenen Tschernihiw-Musikinstrumentenmanufaktur und der Musikinstrumentenfabrik Trembita in Lwiw, die immer noch in Betrieb ist. Bis 1991 wurden allein in Tschernihiw mehr als 30.000 Banduras hergestellt. Heute gibt es mehrere Hersteller, die versuchen, auf dem Markt zu bleiben. Wer ein solches Instrument kaufen möchte, muss je nach Anspruch zwischen 200 Euro für die einfachsten gebrauchten Exemplare, die dann in der Regel restauriert werden müssen, und 8.000 Euro für ein professionelles Superkonzertinstrument ausgeben. Meistens werden Banduras in der Ukraine als rein akustische Instrumente gebaut, und erst später kommen Tonabnehmer dazu. Eine moderne Bandura wiegt 7 bis 10 Kilogramm, braucht einen speziellen Koffer, einen Stimmschlüssel, Saiten und ist in der Stimmung für 440 Hertz ausgelegt.
Etwas ganz anderes ist die Gemeinschaft der Hersteller und Rekonstrukteure alter Volksinstrumente wie der Bandura, Kobza und weiterer traditioneller ukrainischer Instrumente. Dies ist kein sehr einträglicher, aber ein sehr anspruchsvoller Beruf. Ich persönlich hatte das Vergnügen, den Bau einer Kobza in der Werkstatt von Jurij Fedynskyj in der Region Poltawa zu erlernen.
Die Bandura ist ein Symbol ukrainischer Identität, gleichrangig mit der blau-gelben Flagge, der Kalyna-Beere, dem Dreizack und der traditionellen bestickten Kleidung. Allerdings hören nicht alle Ukrainer und Ukrainerinnen gerne Bandura. Paradoxerweise hat, zumindest in der Westukraine, jeder Zweite eine Person im Verwandten-, Freundes- oder Bekanntenkreis, der oder die Bandura spielen gelernt oder zu Hause ein solches Instrument hat. Darüber hinaus gibt es in der Ukraine viele Klischees über das Instrument: dass es langweilig und uninteressant ist und nur traurige Lieder auf ihr begleitet werden. Das ist für Menschen aus anderen Ländern eher befremdlich, die normalerweise vom Klang und Aussehen der Bandura sehr begeistert sind.
Kiewbandura aus der Tschernihiw-Musikinstrumentenmanufaktur
Foto: Julian Hayda,Wikimedia CC BY-SA 3.0
Das Problem ist das allgemein altbackene Image der Bandura – eine seltsame Mischung aus echter Volkstradition und dem Erbe der sowjetischen „Fakelore“, obwohl es in den letzten zehn, fünfzehn Jahren große Veränderungen gegeben hat. Früher war man automatisch ein „Wow!“-Star, wenn man Metallica auf der Bandura spielte. Heutzutage gibt es viele interessante Projekte in verschiedenen Genres. Natürlich werden weiterhin Cover gespielt, aber es gibt auch Musikschaffende, die experimentelle Musik, Jazz, Rock und Pop machen. Folgende Acts sind sehr empfehlenswert: Roman Hrynkiv, KoloYolo, Shpyliasti Kobzari, Georgiy Matviyiv, Maryna Krut, B&B project, Ivan Tkalenko, Julian Kytasty, String Air Synthesis/SAS, Troye Zillia. Auch in bekannten Bands wie Onuka oder Kozak System ist immer häufiger Banduraspiel zu hören.
Die Bandura sieht aus, als sei sie schwierig zu erlernen. Viele sind vor allem von der Anzahl der Saiten fasziniert (56-62 bei einer modernen chromatischen Bandura). Die meisten Banduraspielerinnen und -spieler in der Ukraine und im Ausland stehen für die akademische Schule, bei der man lernt, Transkriptionen klassischer Melodien zu spielen und in einem italienischen Gesangsstil zu singen. Dies ist das übliche Ausbildungssystem, in dem sich Banduraspielende bewegen. In der Ukraine kann man in vielen Musikschulen Bandura lernen. Die Ausbildung dauert in der Regel sechs bis acht Jahre und wurde kürzlich auf neun Jahre verlängert. Später kann man sein Können an höheren Bildungseinrichtungen vervollständigen (Bachelor, Specialist, Master). In den letzten Jahren wurde die Praxis der individuellen Ausbildung und des Banduraunterrichts in privaten Musikschulen populärer.
Da das professionelle Spiel des Instruments zwar fesselnd ist, aber nicht für jeden zugänglich, kam die Idee einer Digitalisierung organisch und zur rechten Zeit. Vor einigen Jahren schlug mein Kollege Mykhailo Holoborodko vor, eine Onlinebandura zu erstellen. Nachdem bandura.ukrzen.in.ua online gegangen und mehr als achtzig Millionen Mal aufgerufen worden war, beschlossen wir, eine mobile Anwendung zu entwickeln, mit der man sechs ukrainische Instrumente spielen kann. Die folker-Leserinnen und -leser sind eingeladen, auch Bandura zu spielen – kostenlos unter https://bandura.app. Dies ist eine App, die sowohl für Amateurinnen und Amateure als auch für professionelle Musikschaffende interessant und für Kinder genauso wie für Erwachsene geeignet ist.
Seit dem Beginn des russischen Krieges hat sich viel verändert. Im Jahr 2014 gab es die ersten Impulse, die eigene Kultur mehr wertzuschätzen. Die Nachfrage nach der Bandura stieg nicht sofort oder stark. Das passierte allmählich. Nach dem 24. Februar 2022 wurde das Instrument für die Menschen in der Ukraine besonders wertvoll und für Menschen außerhalb zu einer Visitenkarte ukrainischer Kultur. Als Banduraspielerin habe ich das Gefühl, dass ich mehr und mehr in die Rolle einer Kulturdiplomatin schlüpfe. Bei Konzerten im Ausland habe ich die Möglichkeit, konkret zu zeigen, wie unsere Kultur aussieht, und unser einzigartiges Instrument vorzustellen, das es wirklich nirgendwo anders auf der Welt in ähnlicher Form gibt. Ich hoffe, dass dies zu einer systematischen Entwicklung der Bandura und weiterem Interesse an ihr führen wird.
Es ist mir auch wichtig zu erwähnen, dass viele Banduraspieler jetzt in den Streitkräften der Ukraine sind. Sehr oft lieben Menschen, die Bandura spielen, die Ukraine so sehr, dass sie bereit sind, ihr Leben für das Land zu geben. In Zeiten der Besetzung der Ukraine wurden Musikschaffende oft verfolgt und getötet, weil sie Bandura oder Kobza spielten, ukrainische Lieder sangen und so unsere Kultur verbreiteten – vom Sowjetregime und jetzt vom russischen Staat.
Heute ist die Bandura ein Instrument mit tiefen Wurzeln, das eine zentrale Bedeutung für den Schutz unseres Volkes und unseres Erbes hat und das es uns ermöglicht, laut und deutlich über die Ukraine und ihren derzeitigen Kampf zu sprechen.
Anastasiya Voytyuk ist Sängerin und spielt das ukrainische Nationalinstrument Bandura (eine Lautenzither). Sie arbeitet insbesondere im Bereich ukrainischer Volksmusik und ist Bandleaderin der Folk-Fusion-Formation Troye Zillia. Mit dem Lviv Bandur Fest rief sie das erste moderne Bandurafestival in der Ukraine ins Leben. Sie war an der Entwicklung der Bandura App beteiligt, mit der man sechs ukrainische Musikinstrumente spielen kann, und leitet die Nichtregierungsorganisation Unbeaten Path, die mit Projekten in den Bereichen Kultur, Bildung und Integration arbeitet.
www.facebook.com/lvivbandurfest
ich liebe den Klang der ukrainischen Bandura so sehr, dass ich darüber nachdenke dieses Instrument spielen zu lernen. aber da ich blind bin wird das sehr schwierig. ich spiele Harfe und vielleicht kann ich mir da etwas herleiten. ich habe mir einiges an Instrumenten selbst beigebracht. ich finde aber, dass Politik und Musik in dem Fall viel zu nah beieinander liegen. seine Traditionen schützen ja, aber die musikinstrumente und die Musik gleich zu politisieren nein, das sollte strikt getrennt werden sage ich als Musikerin. ich finde es falsch in jemanden zu stigmatisieren oder gleich zu politisieren der die Musik eines bestimmten Landes beispielsweise hier der Ukraine spielt, der aber vielleicht politisch eine ganz andere Meinung vertritt. solche Leute gibt es auch und wird es immer geben deswegen bin ich der Meinung Musik zur politisieren oder musikinstrumente zu politisieren ist der falsche Weg ich werde mich hier über politische Meinungen nicht äußern. zumal ich ehrenamtliche deutschlehrerin bin und mich aus diesem Grunde neutral halten werde. ich habe meine politische Meinung dazu, die bleibt aber bei mir.