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Er ist einer der schottischen Fiddlespieler. Seine Kompositionen und Interpretationen sorgen regelmäßig für poetische Attribute bei denen, die seine Alben besprechen. Preise und Auszeichnungen sammelt er wie andere Menschen Briefmarken. Und trotzdem gehört er zu der raren Spezies, die sich beim Zuarbeiten für andere Künstlerinnen und Künstler ebenso wohlfühlt wie wenn sie solo unterwegs ist. In letzterer Funktion wird Duncan Chisholm dieses Jahr in Rudolstadt zu Gast sein. Was bewegt diesen Mann? Und was will er bewegen?
Text: Mike Kamp
Duncan Grisholm
Foto: Craig Mackay
„Musik hat mir das beste Leben gegeben, das ich mir jemals hätte vorstellen können.“
Fiddler und Fiddlerinnen auf Tour haben einen unschätzbaren Vorteil: Ihr Instrument nimmt nicht viel Platz weg, egal ob im Flugzeug oder im Tourbus. Ein Vorteil, an dem sich Duncan Chisholm die letzten zwei Jahre nicht erfreuen konnte, denn pandemiebedingt hat er Schottland kaum verlassen können. „Soweit ich das sehen kann, haben wir wirklich alle unter dem Virus gelitten, entweder weil er uns erwischt hat oder weil wir jemanden durch ihn verloren haben oder einfach wegen der emotionalen und mentalen Belastung. Mir hat die Musik da sehr geholfen und mich durch ziemlich schwere Zeiten gebracht. Nach dem ersten Lockdown habe ich ein Projekt namens #covidceilidh gestartet. Dabei ging es darum, dass Musiker und Musikerinnen jeden Tag einen akustischen Track online stellen für die, die sich verwundbar und isoliert gefühlt haben in diesen seltsamen Zeiten. Die Resonanz war unglaublich. Tausende von Kolleginnen und Kollegen weltweit haben mitgemacht, und die Resultate wurden millionenfach angeklickt. Ich selber habe mich im ersten Lockdown 126 Tage lang beteiligt, und im zweiten habe ich auch wieder losgelegt. Für mich persönlich war es gut, einen Fokus zu haben, es hat mir 2020 und 21 durch die dunklen Tage geholfen.“
Eigentlich hätte man davon ausgehen können, dass ein musikalisch interessiertes Kind der Siebziger andere Instrumente als die Fiddle bevorzugt, aber nein! „Ich war acht Jahre alt, als ich eine Gruppe von Fiddlern im Dorfgemeinschaftshaus hörte, und habe mich sofort in diesen Sound verliebt.“ Es folgten die üblichen kindlichen, schließlich erfolgreichen Überzeugungsversuche den Eltern gegenüber, und schließlich wurde Donald Riddell sein Lehrer. „Er war ein alter Farmer und in der Tradition und Geschichte der Highlands verwurzelt. Er öffnete mir die Augen für die unglaubliche Kultur, die wir im Norden Schottlands haben.“ Riddell, der auch Instrumente baute, war quasi eine Ein-Mann-Talentschmiede, denn außer Duncan Chisholm unterrichtete er auch bekannte Fiddlekoryphäen wie Bruce MacGregor oder Sarah-Jane Summers.
Nach den üblichen Lehrjahren wuchs in Chisholm die Vermutung, dass er mit der Musik vielleicht auch Geld verdienen könnte, doch wie? Die Antwort kam, als seine Band Wolfstone überall in Schottland verpflichtet wurde und die Jungs damit mehr einnahmen als mit ihren Tagesjobs. „Also habe ich den Absprung gewagt und es nie bereut. Musik hat mir das beste Leben gegeben, das ich mir jemals hätte vorstellen können.“
Ach ja, Wolfstone, die Folkrocker aus den Highlands, die in den Neunzigerjahren ziemlich erfolgreich waren. Wie passt eigentlich ein eloquenter Fiddler in eine ziemlich rockige Band, die zudem letztmalig 2007 ein Album veröffentlichte? „Ich liebe Wolfstone und ein paarmal im Jahr blasen wir immer noch den Staub von den Instrumenten und spielen auf irgendwelchen Festivals. Es war eine fantastische Band für einen Zwanzig-, Dreißigjährigen. Jeden Menge Touren, jede Menge Rock ’n’ Roll. Aber dann begann ich meine ureigene musikalische Reise, ich wollte tiefer in die Musik eintauchen und erfahren, was ich musikalisch zu sagen habe. Diese Reise ist immer noch nicht zu Ende.“
Foto: Craig Mackay
Mit Wolfstone ist der Name Ivan Drever verbunden. Der Singer/Songwriter war ebenfalls Mitglied der Band, und Wolfstone waren es, die durch Deutschland tourten. Drever und Chisholm brachte es auf den Geschmack. „Als Duo fanden wir einen Manager, mit dem wir gut klarkamen, und dann folgten etwa zehn Jahre regelmäßige Touren durch Deutschland. Als Wolfstone in den Standby geschickt wurden, kam auch die Zusammenarbeit mit Ivan zu einem natürlichen Ende.“
Duncan Chisholms Können ist in seiner Heimat höchst anerkannt. Bereits dreimal gewann er mit seinen Soloalben bei den Scots Trad Music Awards die begehrte Auszeichnung für das Album des Jahres. Das ist außergewöhnlich für reine Instrumentalmusik, die sich zudem hauptsächlich mit schottischen Landschaften beschäftigt. Warum eigentlich? „Ich tauche in diese Landschaften ein und versuche irgendwie in der Musik wiederzugeben, wie ich mich an einem bestimmten Ort fühle. Die Alben erfordern ein jahrelanges Eintauchen, Besuche und Leben an diesen abgelegenen Orten, und dann monatelanges Komponieren und Arrangieren, bevor die Aufnahmen überhaupt stattfinden können. Für jedes Projekt entwickele ich eine Art Besessenheit, und ich denke, es ist diese Liebe zum Detail, die den Zauber und letztlich die Musik hervorbringt, die bei den Menschen ankommt. Die Alben erzählen nicht nur von der Landschaft, sondern in einem tieferen Sinn auch von meinem eigenen Charakter und davon, wie ich auf meine Umgebung reagiere. Die Inspiration kommt vom Land, dem Wetter und dem Licht. Die natürlichen Elemente, die uns hier in den Highlands umgeben, beflügeln meine Vorstellungskraft, und dann entstehen Funken der Inspiration.“
Ein Paradebeispiel, wie Chisholm komponiert, vermittelt eines seiner letzten Werke, „The Music And The Land“, von dem es auch einen interessanten und erklärenden dreiminütigen Appetithappen auf Vimeo gibt (bit.ly/38MhpJN). Uraufgeführt anlässlich der Onlineversion der Celtic Connections 2021, endet der Querschnitt durch sein bisheriges Schaffen mit einem eindeutig zufrieden lächelnden Duncan Chisholm. „Ich wurde von den Verantwortlichen der Celtic Connections gebeten, mit dem wunderbaren Streicherensemble The Scottish Ensemble aus Glasgow zusammenzuarbeiten. Die Musik stammte aus meinem Backkatalog, und wir nahmen alles in der ikonischen Kelvingrove Art Gallery und Museum in Glasgow auf. Das Gebäude hat eine unglaubliche Akustik, es war tatsächlich ein ganz besonderer Abend.“
„Es ist so ähnlich wie bei einem Bildhauer, der ein Kunstwerk schafft.“
Man kann es nicht anders ausdrücken: Chisholm komponiert mit einem tiefen und poetischen Gefühl der Verbundenheit mit seiner Heimat. Das ist spürbar, man braucht nur die Augen zu schließen und schon wird man an eine schottische Küste, in ein Glen oder auf einen Ben transportiert. Selbstverständlich findet Chisholm seine Inspiration mit der Fiddle, aber klingt da am Anfang bereits das ganze komplexe Werk mit? „Für mich beginnt alles mit der Melodie. Wenn die Melodien gut sind, wird ein gutes Album daraus. Jedes Album sehe ich als ein Kunstwerk. Ich beginne mit der Aufnahme von Melodien, und lege die Reihenfolge für jedes Album fest. Dann füge ich Farbe, Harmonie und Instrumentierung hinzu und forme das Ganze so lange um, bis es in seiner endgültigen Version aufgenommen werden kann. Es ist so ähnlich wie bei einem Bildhauer, der ein Kunstwerk schafft.“
Immer wieder taucht der Name Chisholm in Verbindung mit anderen Künstlern und Künstlerinnen auf, so zum Beispiel mit Runrig, auf dem letzten Album der Gruppe Rura oder ziemlich regelmäßig in der Band der gälischen Sängerin Julie Fowlis. „Die Zusammenarbeit mit Julie ist fantastisch, sie hat eine wunderschöne Stimme und ist tief in der gälischen Tradition verwurzelt. Für mich ist es wirklich wichtig, mit Menschen zusammenzuarbeiten, denen die Musik genauso am Herzen liegt wie mir. Die Bedeutung von Musik, Sprache und Kultur im 21. Jahrhundert kann und darf nicht übersehen werden. Jeder von uns hat seinen eigenen Blick auf die Welt um uns herum, und das ist so wichtig und wertvoll.“
In gewisser Weise wird es für Chisholm im Sommer ein Deutschlandrevival geben, wenn er anlässlich des Rudolstadt-Festivals zurückkehren wird. Es ist offensichtlich, dass diese Auftritte nicht irgendwelche Gigs für ihn sind, sondern dass eine Menge Vorbereitung, Ideen und Erwartungen in genau diese Shows fließen werden. „Ich habe in Rudolstadt eine fünfköpfige Band dabei, und wir werden Musik von allen meinen Alben spielen, und zwar auf Fiddle, Pipes, Piano, Gitarre und Drums. Ich hoffe, dass wir alle im Publikum durch die Musik auf eine Reise in die Highlands mitnehmen können. Eine Reise, die ihnen Freude und tiefen Frieden schenken wird. Wir werden in Rudolstadt aber auch neue Musik aufführen. In den letzten beiden Jahren haben ich, Hamish Napier und Ross Ainslie an meinem nächsten Soloalbum gearbeitet. Wir nehmen es zurzeit in Glasgow auf. Ich glaube, es wird meine bisher größte musikalische Leistung sein, und ich kann es kaum erwarten, dass das deutsche Publikum es zu hören bekommt.“
Duncan Chisholm ist an einem besonderen Punkt in seiner Entwicklung als Musiker angelangt, auf einem künstlerischen Plateau, was vielen Kollegen größten Respekt abnötigt. Und dennoch sieht er sich erst am Anfang seiner ernsthaften musikalischen Reise. „Als Künstler habe ich meinen Weg gefunden. Meine Arbeit mit Wolfstone und Ivan Drever war sozusagen mein Schritt ins musikalische Erwachsenenleben, jetzt geht es um die Aufgabe, eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln.“
„Die Bedeutung von Musik, Sprache und Kultur im 21. Jahrhundert kann und darf nicht übersehen werden.“
Aktuelles Album:
Sandwood (Copperfish, 2018)
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