Kolumne

Jiddische Musik als Ausdruck jüdischer Zugehörigkeit jenseits des Ethnonationalismus

20. März 2025

Lesezeit: 3 Minute(n)

In einer Zeit, in der jüdische Identität mit dem Staat Israel gleichgesetzt wird, bietet jiddische Musik einen anderen Weg jüdischen Selbstverständnisses. Mein eigener Weg zur jiddischen Musik war keine Rückkehr zu den Wurzeln, sondern eine bewusste politische Entscheidung, einen Ausdruck jüdischer Zugehörigkeit jenseits von Ethnonationalismus zu finden.

Text: Isabel Frey
Redaktioneller Hinweis: Der folker hat zwei Künstlerinnen mit jüdischem beziehungsweise palästinensischem Hintergrund gebeten, ihre jeweiligen Erfahrungen in Bezug auf die vergangenen und aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten zu schildern. Und wir wollten wissen, welche Rolle aus ihrer Sicht der Kultur zukommen kann, um die Vergangenheit zu bewältigen und gemeinsam einen gerechten Frieden zu erreichen. Zum Beitrag von Nemat Battah geht es hier.

 

Ich bin als Teil der kleinen jüdischen Gemeinde in Wien, als Enkelin von Holocaust-Überlebenden in einer säkulären jüdischen Familie mit einem starken Zugehörigkeitsgefühl aufgewachsen. Im post-Holocaust Wien ist paradoxerweise die Synagoge einer der wenigen Orte, an denen man ein solches Zugehörigkeitsgefühl erleben kann, auch wenn man nicht religiös ist.

Außerhalb der Synagoge konzentrierte sich mein jüdisches Leben auf eine sozialistisch-zionistische Jugendbewegung. Dort wuchs ich mit nationalistischen Narrativen von Israel als Heimat aller Juden auf, ohne je etwas über die Besatzung oder die andauernde Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung zu erfahren. Mein Aufenthalt in Israel mit achtzehn Jahren änderte alles: Der erste Besuch im Westjordanland und die Erfahrung einer militaristischen Gesellschaft mit normalisiertem Rassismus führten zu einem schmerzhaften Prozess des Umlernens. 2013 beteiligte ich mich an meiner ersten politischen Aktion gegen die Besatzung und bin seitdem Aktivistin für einen gerechten Frieden in Israel-Palästina.

Die jiddische Musik wurde für mich zunächst zum Heilmittel für meine daraus resultierende Identitätskrise. Da die jüdische Diasporakultur, insbesondere das Jiddische als eine der wichtigsten jüdischen Diasporasprachen, vom frühen zionistischen Denken als Ausdruck der Schwäche des feminisierten Diasporajuden abgelehnt wurde, konnte sie für mich als eine Art Gegenpol zu nationalistischer Ideologie fungieren. Die Hinwendung zum Jiddischen war vollständig meine eigene Entscheidung: Wie viele junge aschkenasische Juden heute war ich nicht mit Jiddisch aufgewachsen – tatsächlich stand meine jüdische Familie dem Jiddischen eher ablehnend gegenüber, da sie sprachlich stark assimiliert war.

Diese politische Marginalisierung zog mich zunächst zu explizit politischen Ausdrucksformen in der jiddischen Kultur, besonders zu den Protestliedern des Jüdischen Arbeiterbunds – der größten sozialistischen jüdischen Partei im Osteuropa des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die für kulturelle Autonomie in der Diaspora kämpfte und sich auch dem Zionismus widersetzte, weil sie ihn für utopisch hielt. Heute singe ich viel mehr als nur die bundistischen Lieder und habe meinen Ausdruck in der Vielfalt jiddischer Musik gefunden. Doch sie bleibt für mich ein Instrument eines politischen Ausdrucks jüdischer Zugehörigkeit jenseits von religiöser Orthodoxie und Nationalismus.

„Zum Zusammenleben gehört, die eigenen Sichtweisen zu hinterfragen und die Positionen des anderen zu verstehen.“

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und dem darauffolgenden Zerstörungskrieg in Gaza hat sich mein politischer und künstlerischer Ausdruck noch enger miteinander verwoben. Mit dem israelisch-palästinensischen Kunstkollektiv OneState Embassy gründete ich die jüdisch-arabische Friedensinitiative Standing Together Vienna. Bei unseren Mahnwachen zum Gedenken an alle Opfer der Gewalt – sowohl die palästinensischen als auch die israelischen – war Musik ein wichtiger Bestandteil: Palästinensische, kurdische und iranische Kulturschaffende traten regelmäßig auf, und auch ich spielte dort jiddische Lieder der Trauer und des Friedens. Jiddisch steht zwar nicht selbstverständlich in Verbindung mit Israel-Palästina, aber es ist für mich ein Mittel zur Solidarität über kulturelle Grenzen hinaus.

Als Musikerin, Ethnomusikologin und Aktivistin beschäftige ich mich auch mit dem zunehmend repressiven Kontext in Österreich und Deutschland bezüglich des Widerstands gegen den Krieg in Gaza. Der Kampf gegen Antisemitismus ist und bleibt unheimlich wichtig, besonders in den ehemaligen „Täterländern“. Doch der Antisemitismusvorwurf wird häufig instrumentalisiert, um Kritik an israelischer Politik zu delegitimieren. Insbesondere im Kunst- und Kulturbetrieb werden Menschen aufgrund ihrer Nahosthaltung mit falschen Antisemitismusvorwürfen konfrontiert und ausgeladen oder gekündigt.

Ich setze mich für einen gerechten Frieden für Israel-Palästina ein, weil ich überzeugt bin, dass dies der einzige Weg ist für alle Menschen in der Region, in Frieden, Würde und Sicherheit zu leben. Die völkerrechtswidrige Besatzung und Vertreibungspolitik bringen nur unendliches Leid über die palästinensische Bevölkerung und schaffen auch keine Sicherheit für Israelis. Mit Standing Together Vienna zeigen wir, wie ein Zusammenleben aussehen kann. Dazu gehört, die eigenen Sichtweisen zu hinterfragen und die Positionen des anderen zu verstehen. Jiddische Musik bleibt dabei für mich ein Instrument des politischen Ausdrucks jüdischer Zugehörigkeit und ein Mittel, Brücken zu schlagen – gerade in Zeiten, in denen dies dringender denn je erscheint.

www.isabelfrey.com

Zur Autorin: Isabel Frey ist jiddische Sängerin, Ethnomusikologin und politische Aktivistin. Sie arbeitet als Senior Artist an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und ist Mitgründerin der jüdisch-arabischen Friedensinitiative Standing Together Vienna.

 

Aufmacherfoto:
Isabel Frey

Foto: Franzi Kreis

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