Diese Frau hat Soul in der Stimme – mit einem Timbre, das an Joan Armatrading erinnert oder an Tracy Chapman, mit der sie gern verglichen wird. Doch die afroamerikanische Singer/Songwriterin aus Washington, D. C., ist eine Klasse für sich. Sie ist mit mehr als einer außergewöhnlichen Stimme gesegnet, die viel Eigenart im allerbesten Sinne hat.
Text: Ulrich Joosten
Als Gitarristin beherrscht Lea Morris von der zart gepickten Ballade bis zum jazzig-groovenden Flatpicking so ziemlich jede Spielart. Und sie versteht es, Songtexte mit bildhafter Lyrik in meist positiver Grundstimmung zu schreiben. Dazu gelingen ihr wunderbare Melodien, die sie zu Americanasongs verschmelzt, die stilistisch in Gospel, Folk, Jazz, Country und Rhythm and Blues angesiedelt sind. Von der Washington Area Music Association ist sie dafür mehrfach als Sängerin, Liedermacherin und Interpretin ausgezeichnet worden.
Lea Morris wird 1978 in Washington, D. C., geboren und wächst in Baltimore in einer musikalischen Familie auf. Ihre Mutter Sandra Lee Jones Morris träumt von einer Karriere als Opernsängerin und singt seit ihrer Kindheit gemeinsam mit ihren sieben Geschwistern Gospelmusik im A-cappella-Harmoniegesang. „Sie nannten sich The Jones Family Gospel Singers“, erinnert sich Morris, die selbst bis heute ein Faible für Chorgesang hat. „Mein Vater John Morris hat Trompete studiert und war als Tourmusiker mit der Funkband Black Heat weltweit unterwegs. Als musikalisches Erbe habe ich mütterlicherseits viel über tiefes, leidenschaftliches, bedeutungsvolles Singen gelernt, und vom Vater viel über Präzision und Improvisation.“
Als Teenager entwickelt Lea Morris schon mit dreizehn Jahren ein Talent, Songs zu schreiben. „Jedes Mal,“ erzählt sie, „wenn ich neue Gitarrenakkorde lernte, habe ich sie gleich in einem neuen Lied ausprobiert.“ In der Highschool entdeckt sie den Classic Rock der Siebziger für sich und, als Kontrast dazu, die Bossa Nova. Ihre Helden sind Musikschaffende wie Bonnie Raitt und Neil Young. Morris spielt hauptsächlich „Gitarre, außerdem Klavier und Percussion, Querflöte, Bass. Schlagzeug spiele ich ganz gut und inzwischen auch meine Loopmaschine, die ich als weiteres Instrument betrachte. Ich lerne damit jeden Tag etwas Neues.“
„Magie liegt nicht immer in großen Gesten, sondern oft in Alltagserfahrungen.“
Mit siebzehn geht sie zum ersten Mal als Austauschschülerin nach Deutschland, verbringt fast ein Jahr in Halle an der Saale. Dort lernt sie an der Musikschule „viele tolle Musiker und Musikerinnen kennen.“ Sie ersingt sich schnell einen ausgezeichneten Ruf als Backing-Vokalistin. Bei einem Auftritt in der Göttinger Musikkneipe Nörgelbuff vermittelt der Veranstalter einen Kontakt zur Produzentenlegende Günter Pauler von Stockfisch Records, der bekannt ist für die extrem hohe Qualitätsstandards seiner Audioproduktionen. „Damals suchte er jemanden für Backing Vocals“, erzählt Morris. „Das Timing war perfekt.“ Seitdem ist die kleine Frau mit der großen Stimme auf vielen Stockfisch-Produktionen zu hören, etwa auf Leaving At Dawn und All Is One des englischen Singer/Songwriters Allan Taylor.
Zurück in den USA hält sie den Kontakt, insbesondere zu einem deutschen Austauschschüler: „Kurze Version: Wir sind jetzt seit 22 Jahren verheiratet. Die ersten Ehejahre haben wir in den USA gelebt. Vor vier Jahren sind wir nach Deutschland zurückgekommen.“
Auf ihrem neuen, dem neunten Album, Ordinary Magic, präsentiert die Songschreiberin dreizehn warmherzige Lieder, „die daran erinnern, dass Magie nicht immer in großen Gesten liegt, sondern oft in Alltagserfahrungen. Oder, wie es die Literaturnobelpreisträgerin Pearl S. Buck formuliert hat: ‚Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.‘ Es geht um das Suchen und das Finden.“ Die Hälfte der Lieder hat Morris während der Pandemie geschrieben. „Um mich selbst bei Verstand zu halten – ‚Joy Is Free‘ zum Beispiel oder ‚The Moment‘. Einige sind etwas älter, Songs, die es verdient haben, aufgenommen zu werden – ‚Man Of Wood‘, ‚Trouble’s The Water‘. Dabei sind auch zwei traditionelle Spirituals, ‚Wade In The Water‘ und ‚Peace Like A River‘, die mich im Leben geprägt und ein paar meiner eigenen Songs direkt inspiriert haben.“
Ordinary Magic ist ein homogenes, luftig-transparent arrangiertes Album. Gäste der verschiedensten musikalischen Genres haben dazu ihre Klangfarben beigetragen. Darunter der Celtic-Fingerstyle-Gitarrist Jens Kommnick (Bouzouki, Tin Whistle, Mandoline), der Saxofonist Beo Brockhausen (Hawaiigitarre, Flöte, Handpan) oder die ukrainische Banduraspielerin Anna Sonnyk. „Die drei hat mir Günter Pauler empfohlen. Dazu habe ich zwei ausgezeichnete amerikanische Tastenmagier gewinnen können, Brian Simms und Adam Podd. Hinzu kommen Heidi Joubert, die Cajonbegeisterte von ihren Youtube-Videos kennen, sowie der Sänger Marlin Wilford. Nicht zu vergessen meine drei Kids, vor allem Jakob, die Vocals beigesteuert haben.“
Die Basic Tracks entstehen zunächst in einer Trioversion. Darin legen der Schlagzeuger Eddie Filipp (der das Album auch gemixt und gemastert hat) und der Bassist Lars Slowak die Grundlagen für Morris’ Gitarre und Lead Vocals. „Zu diesem Mix habe ich dann alle Backing Vocals gesungen. Alle Musiker bis auf Eddie, Lars und der Trompeter Géza Gál, haben ihre Tracks ‚remote‘, also separat woanders eingespielt. Das ist, glaube ich, das kleine Wunder dieses Albums, dass es sich dennoch organisch und ‚connected‘ anfühlt. Zu verdanken ist das allein dem meisterhaften Talent der verschiedenen Musikschaffenden. Mir gebührt nur ein Teil des Verdienstes, für die Komposition und die Vision. Aber ohne so viele brillante Beiträge wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich bin dankbar und stolz auf das, was wir hier geschaffen haben.“
Ordinary Magic ist auf CD erschienen (auf Morris’ eigenem Label Big Bee Records), mit einem umfangreichen, schön gestalteten Hardcover-Booklet, das alle Liedtexte und Fotos der Mitwirkenden enthält. Online ist das Album bei Bandcamp als Download und Stream erhältlich, sagt Morris. „Das Ganze wird ein Jahr lang nicht auf Spotify zu hören sein – bis ich meine nächste CD mache. Einige der Tracks kann man dort aber anhören, ebenso wie auf Youtube. Ich habe außerdem Gitarrentutorials, ein Songbook mit Lead Sheets, Charts und Lyrics erstellt. Und es gibt sechs Chorarrangements, die die Aufnahme begleiten.“
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