Schon mal die Orkneyinseln besucht? Vielleicht sogar anlässlich des bekannten und beliebten Orkney Folk Festivals im Mai? Die Überfahrt mit der Fähre könnte sich durchaus etwas lebhafter gestalten, denn die Inselgruppe nördlich des schottischen Festlands ist nicht nur bekannt für rätselhafte Steinkreise oder guten Maltwhisky, sondern auch für scheinbar nie versiegende Winde, annehmbar im Sommer, kräftiger im Winter. Oh, und die Orkneyinseln sind ebenfalls bekannt als die Heimat des schottischen Quartetts Fara …
Text: Mike Kamp
Die Fakten: Die Orkneyinseln erzeugen hundert Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Energien, hauptsächlich durch Windturbinen, doch es gibt auch ein Wellen- und ein Gezeitenkraftwerk. Die Bedingungen auf Orkney sind so ideal, dass dort das Europäische Meeresenergiezentrum (EMEC) eröffnet wurde und trotz Brexit auch weiterhin vor Ort forscht. Angesichts dieser Umstände war es vielleicht wenig verwunderlich, dass Fara auf ihrem aktuellen Album Energy Islands erneuerbare Energien thematisieren. Der Titel sagt es bereits deutlich. Die Fiddlerinnen Kristan Harvey, Jeana Leslie und Catriona Price sowie Keyboarder und Highlander Rory Matheson waren sich schnell einig, wie sich Price erinnert. „Es ist immer gut, ein übergreifendes Thema im Kopf zu haben, wenn man an einem neuen Werk arbeitet. Intensive Recherche bringt die kreativen Säfte richtig zum Fließen. Dieses Thema schien perfekt auf die heutige Situation zu passen, in der die Klimakrise unser Leben so bestimmt. Wir wollten das Bewusstsein auf jede erdenkliche Weise schärfen und unsere Fans dazu inspirieren, darüber nachzudenken, wie sie ihren eigenen Beitrag zur Eindämmung der Krise leisten können. Gleichzeitig sprechen wir über einen Aspekt des Lebens auf den Orkneyinseln, der im Folk bisher nicht so oft vorkam.“
Können wir uns das so vorstellen, dass zuerst Einigkeit in der Gruppe darüber bestand, welches Thema man bearbeiten wollte, und erst dann wurde komponiert? „Genau so war es. Wir haben die diversen Arten der erneuerbaren Energie, über die wir schreiben wollten, erst mal definiert und dann losgelegt. Ich hoffe, man kann die unterschiedlichen Wetterelemente in der Musik heraushören.“
Das kann man durchaus. Angefangen von dem rasanten Opener „Solar“, der die kraftvolle Sonnenenergie trefflich einfängt, über den Ohrwurm „Fair Winds“ und das verträumte „The Hampshire“ über ein Schiff, das im ersten Weltkrieg auf eine Seemine fuhr und mit einer Mannschaft von 737 Menschen sank – auch das im weitesten Sinne umweltpolitisch –, bis hin zum majestätischen Titelstück „Energy Islands“ am Ende – das Umweltthema zieht sich vielfältig durch das gesamte Album, inklusive eines augenzwinkernden Instrumentals namens „West Tide Story“.
Es ist sehr fraglich, ob ein solches Werk möglich gewesen wäre, wenn nicht drei Viertel der Gruppe von den Orkneyinseln stammen würde. Und nicht nur das, Fara wurden tatsächlich ins Leben gerufen, um seinerzeit 2014 auf dem bereits erwähnten Orkney Folk Festival aufzutreten. „Erneuerbare Energien werden heutzutage überall in Schottland gewonnen, aber Orkney hat natürlich den einzigartigen Standortvorteil, die Heimat von EMEC zu sein. Daher kommen viele Menschen auf die Inseln, um in diesem Sektor zu arbeiten.“
Apropos, das Wort Heimat taucht im Zusammenhang mit grüner Energie immer wieder auf, so auch auf der ersten Soloveröffentlichung von Catriona Price, Hert, die als neunteilige Suite bei den Celtic Connections 2023 uraufgeführt wurde. „Ich wollte herausfinden, wie sich ‚Heimat‘ verändert, eintauchen in das, was mein Mutterland Orkney heute für mich als Erwachsene bedeutet. Die Dinge, die ich liebe und feiere, auf die ich stolz bin, oder was mich enttäuscht hat.“
Prices Solomusik ist offen für alle möglichen zeitgenössischen Einflüsse, nicht so geradeaus und feurig folkig wie das Ensemble, sondern voller Experimentierfreude und einer großen Lust an Zusammenarbeit mit neun Kollaborarierenden. Und dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, nämlich die Umwelt als Thema. „Ja, bei drei Teilen der Suite geht es um umweltorientierte Themen. ‚Storms‘ und ‚If‘ basieren auf Gedichten. Eines von Margaret Tait, in dem sie ihre eigene physische Stärke gegen einen Orkneysturm testet. Und eines von Pam Baesant, in dem sie sich vorstellt, der Meeresspiegel würde so hoch ansteigen, dass Orkney ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen würde. Und ‚Energy At The End Of The World‘ ist von dem gleichnamigen Buch von Laura Watts inspiriert, von dem auch der Titel des Fara-Albums Energy Islands kommt.“
Das ist tatsächlich ein wunder Punkt im Leben von Musikschaffenden. Touren ist per se schon fast ein Raubbau an Energie. Lässt sich das wirklich nicht effektiver gestalten? „Vermeiden lässt sich das sicherlich nicht. Aber ich freue mich auf den Tag, wenn zum Beispiel die Ladestruktur für E-Autos so weit fortgeschritten ist, dass das eine Option für Tourneen ist. Und was das Fliegen angeht, sollten wirklich nicht die Musikschaffenden angeklagt werden, die ihrer Arbeit nachgehen, sondern solche, die mit Privatflugzeugen durch die Welt düsen. Ein Prozent der Bevölkerung erzeugt fünfzig Prozent der Flugemissionen. Stell dir vor, was sich da mit strengeren Gesetzen machen ließe!“
Überhaupt sehen Fara ihre Arbeit insgesamt positiv, wenn sie auf der Coverinnenseite des neuen Albums schreiben: „Für uns ist das eine physische Manifestation der Energie, die traditionelle Musik in unsere Gemeinden und Orte bringt.“
Insgesamt ist es ja unzweifelhaft so, dass ein Folkkonzert weniger Energie verbraucht als etwa eines mit Rock und Pop. Wäre es da nicht ein zusätzliches Plus, wenn man aus der Musik von Fara auch noch Energie gewinnen könnte? „Ja, natürlich, vielleicht ist das das nächste EMEC-Projekt: Mit Fiddlemusik betriebene Turbinen!“
Aktuelle Alben:
Fara, Energy Islands (Eigenverlag, 2022) Catriona Price, Hert (Eigenverlag, 2023)Videolink:
www.youtube.com/c/faramusic
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