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Folkrock lebt: Schandmaul vereinen akustische Instrumente wie Drehleier und Dudelsack mit hart rockender elektrischer Gitarre, E-Bass und wuchtigem Schlagzeug. Heraus kommt seit fast fünfundzwanzig Jahren eine Musik, die klanglich ins Mittelalter entführt und doch rockig im Hier und Jetzt bleibt. Das neue Album Knüppel aus dem Sack macht mächtig Druck und Spaß. Der folker sprach mit Sänger Thomas Lindner über die Bandgeschichte, die mittelalterliche Parallelwelt und die erfrischende neue Härte der Musik.
Interview: Udo Hinz
Als Folkrockband habt ihr euch 1998 gegründet – eine Zeit, als Folk nicht so im Fokus war. Wie kam es zur Gründung?
Alle Mitglieder von Schandmaul hatten so ihre Bands – Funk- oder Rockbands. Wir kannten uns aus der Szene. Für ein Projekt und ein Konzert haben wir eine Kapelle gegründet, und es sollte etwas Besonderes sein. Nach dem Motto: Ich kenne da eine Musikerin, die spielt Flöte, und eine andere, die spielt Geige, und alles bringen wir mit E-Gitarre zusammen. Dann haben wir alle zusammengetrommelt und die Instrumente in die Mitte des Raumes gelegt. Und da kam dieser Stil bei raus.
Gleich mit eigenen Songs?
Am Anfang haben wir noch Lieder von den Pogues, Bob Geldof oder The Seer aus Augsburg gecovert. Doch wir schrieben auch eigene Lieder. Das Konzert kam so gut an, dass aus diesem Projekt dann Schandmaul entstand.
Wie kam der Bezug zum Mittelalter?
Wenn du Dudelsack oder Drehleier rumliegen hast, ist klar, dass die Texte eher nicht die Gegenwart beleuchten. Also haben wir die Texte angepasst und Märchen erzählt.
Gab es einen Bezug zu Deutschfolkbands oder Folkrockern wie Ougenweide?
Ougenweide waren uns zu der Zeit schon ein Begriff. Später habe ich mich damit beschäftigt, weil viele Leute gesagt haben, dass wir Musik wie Ougenweide spielen würden. Ich fand das hochinteressant. Die Szene ist viel älter als man glaubt, aber sie war immer unterm Radar.
Wo liegen denn eure Folkroots?
Jeder von uns hat seinen Musikgeschmack. Birgit hat sich mit mittelalterlicher Musik und ihren Flöten, Tröten, Schäferpfeifen beschäftigt. Auch irisch inspirierter Folkrock wie von den Pogues oder Fiddler’s Green gefiel uns. Folk fanden alle gut, aber man hatte auch noch seinen Hauptmusikgeschmack im Rock, Pop und Funk. Alles zusammengemischt: Da kam Schandmaul bei raus.
Die Geschichten, die ihr erzählt, versetzen die Hörenden ins Mittelalter. Was fasziniert dich, Texte in diese Zeit zu transferieren?
Wenn ich alte Sagen und Mythen wie über den Tatzelwurm vertone, dann macht mir das Geschichtliche daran Spaß. Märchen wie beispielsweise von den Brüdern Grimm sind ja Volksweisen. In denen blitzt der Zeitgeist von damals auf. Privat beschäftige ich mich mit dem Historischen, wie es wirklich war. Die Lieder verfassen wir dagegen eher à la Herr der Ringe – eine romantisierte Auszeit von der Gegenwart, eine Fantasiegeschichte.
„Wenn ich über etwas singe, habe ich das Bedürfnis, die Wahrheit zu erzählen.“
Schandmaul Foto: Heilemania
Viele Texte wirken aktuell. Die Songs behandeln gesellschaftliche oder menschliche Konflikte, die man auch von heute kennt.
Auch wenn wir uns heute anders kleiden und andere Kutschen fahren – die zwischenmenschlichen Probleme sind eigentlich die gleichen.
Geht es für das Publikum auch darum, dem Alltag in eine mittelalterliche Parallelwelt zu entfliehen?
Definitiv. Was macht man, wenn man sich ein Buch schnappt und liest? Da interessiert nicht mehr die Rechnung auf dem Küchentisch oder das Finanzamt. Wenn ich ein Buch lese, bin ich mal kurz weg. Kommst du auf ein Konzert von uns, bist du für zwei Stunden weg. Dadurch sind die Probleme nicht kleiner geworden, aber sie tragen sich leichter, weil man kurz durchgeschnauft hat.
Eure Texte erinnern an Märchen. Bietet das Mittelalter literarische Inspiration?
Ich lese sehr viel und querbeet. Wenn ich mich in ein Thema verliebe, dann geht die Recherche sehr tief. Und am Ende kommt ein Gedicht auf einer A4-Seite raus. Wenn ich über etwas singe, habe ich das Bedürfnis, die Wahrheit zu erzählen. Gedichte und Märchen sind inspirierend. Auch eigene Erlebnisse geben mir ein Thema, in das ich mich reinfallen lasse, und es entstehen ein Text und Musik.
Wie geht ihr bei der Musik vor? Forscht ihr in Archiven?
Eigentlich nicht. Wir greifen keine Tonfolgen alter Zeiten auf. Was einem in der Musik so mittelalterlich vorkommt, sind vor allem die Klangfarben. Wenn man einen Dudelsack hört, sieht man sich schon auf einem schottischen Berg. Eine Drehleier ist einfach ein mittelalterliches Instrument. Wenn diese Instrumente im Vordergrund stehen und von Rockinstrumenten begleitet werden, hat man automatisch die Burgzinnen vor Augen.
Das neue Album heißt Knüppel aus dem Sack. Was lasst ihr aus dem Sack?
Bei einem Albumtitel schaut man zuerst seine Lieder durch, ob sich da eine Überschrift ableiten lässt. Nach Corona lassen wir wieder die Katze, den Knüppel aus dem Sack. In dem Lied selbst haben wir auch ziemlich aufs Gaspedal getreten – das hat zum Thema gepasst und ist mit einem Augenzwinkern zu sehen. Auf dem Album stellen wir unser gesamtes Spektrum mit allen Facetten vor.
Ihr singt schon immer auf Deutsch. Auch in der hiesigen Popmusik hat sich die deutsche Sprache immer mehr durchgesetzt. Spürt ihr Rückenwind?
Nee! Wir befinden uns in unserem Gehege und in unserem Genre. Da ist die deutsche Sprache weit verbreitet gewesen. In der Rock- und Popszene haben wir nie mitgespielt. Die Leute, die uns hören wollen, wollen Deutsch hören. Und wir wollten schon immer deutsch singen!
Das neue Album hat so viel positive Energie. Ihr seid über die Jahre härter geworden. Wie kam das?
Man entwickelt sich, man geht einen Weg. Seit Jahren wird uns attestiert, dass wir live härter klingen als auf Studioalben. Unsere Livealben wurden gefeiert. Der jetzige Produzent Simon Michael hat uns einen kernigeren Anstrich gegeben. Uns gefällt das ausgesprochen gut.
Videolinks:
„Königsgarde“: www.youtube.com/watch?v=k5WA-Qve1Fo&t=15s
„Knüppel aus dem Sack“: www.youtube.com/watch?v=k7hBkkQIEgo&t=1s
„Der Teufel“, live aus der Kölner Lanxess-Arena, 2018: www.youtube.com/watch?v=bgl7GK8rzhY
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