Serge Tonnar

Luxemburger Liedermacher auf schwieriger Mission

27. September 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Saarbrücken an einem sonnigen Vorfrühlingstag. Serge Tonnar hat in dem kleinen Café Platz genommen – Dreitagebart, schwarzer Hut über dem angegrauten, schulterlangen Haar, orangeroter Baumwollschal, roter Stern am Revers der schwarzen Weste, vor sich einen doppelten Espresso. Er wirkt entspannt, sein bejubelter Auftritt beim Liedermacherfestival „Mundart“ liegt hinter ihm – sein erster in Deutschland mit Liedern auf Luxemburgisch überhaupt.

Text: Stefan Backes; Fotos: Michael A. Schmiedel

„Ich finde es toll, dass es solche grenzübergreifenden Initiativen gibt, bei denen Menschen, die nicht Hochdeutsch oder eine Standardsprache sprechen, zusammenkommen, sich austauschen, Musik zusammen machen. Für mich ist es eine Ehre, dabei zu sein“, erklärt der Musiker, Schauspieler, Komponist und Aktivist. Tonnar singt Lieder zwischen Folk, Blues, Rock, Gospel, Latin oder Reggae in seiner Muttersprache „Lëtzebuergesch“ – linguistisch ein moselfränkischer und damit deutscher Dialekt, der sich aufgrund seines zentralen Status in Luxemburg im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts durch gezielten Ausbau von Grammatik, Wortschatz und Normierung zu einer eigenständigen Sprache entwickelt hat und 1984 neben dem Französischen und Deutschen zur Amtssprache erhoben wurde. Dennoch sei es in seinem Heimatland alles andere als üblich, auf Luxemburgisch zu singen. Tonnar: „Es gibt keine große Tradition. Es ist einfach selbstverständlich, dass man englisch singt – weil die Vorbilder vor allem aus dem angloamerikanischen Raum kommen. Ich wäre froh, wenn ich mehr Konkurrenz hätte. Nur im Hip-Hop gibt es einige, die auf Luxemburgisch texten …“

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In seinen frühen Bands singt er, der als Journalist bei Radio und Print startet, bevor er 1995 das Künstlerkollektiv MASKéNADA mitgründet und ab 1997 als freischaffender Künstler arbeitet, ebenfalls auf Englisch, verfasst aber nebenher erste Lieder in der „Mammessprooch“. „Es ist durchaus eine Herausforderung, gute Texte auf Luxemburgisch zu schreiben“, gesteht er. „Es gibt keinen Filter – auf Englisch besteht immer eine Verfremdung zu dem, was du fühlst und zum Ausdruck bringen willst, es hat nicht dieselbe Direktheit oder Nähe.“ Als Tonnar 2003 ein Dutzend Lieder zusammen hat, nimmt er diese unter einfachen Bedingungen „im stillen Kämmerlein“ auf. Die Veröffentlichung sorgt nicht für Aufregung im Land, doch der Albumtitel Legotrip – in Anspielung darauf, dass es so etwas wie ein zusammengebastelter „Egotrip“ sei – ist bereits wegweisend. Auch der zweite Versuch, Pärele bei d’Sei („Perlen vor die Säue“), geschieht 2008 noch solo und unter dem Radar, ehe Klasseklon („Klassenclown“) 2011 mit Band – die den bezeichnenden Namen Legotrip trägt – den Durchbruch bringt und Serge Tonnar zum heute vielleicht wichtigsten und bekanntesten Musiker Luxemburgs macht, der in der Landessprache singt. Den eingängigen Charthit „Belsch Plaasch“ singen seither in Luxemburg bei seinen Konzerten längst alle mit. „Das ging alles nur mithilfe der sozialen Medien“, erläutert der Liedermacher. „Die klassischen Medien musste ich kurzschließen, sie wollten meine Musik nicht spielen. Über Social Media kam ich direkt an die Menschen heran.“

„Ist das, was ich mache, noch relevant?“

Mit den Jahren beginnt er, die Muttersprache bewusster einzusetzen, weil es ihm wichtig ist zu verhindern, dass Themen wie Heimat, Identität, Sprache oder Migration nur von rechts oder nationalistisch besetzt werden. Er versucht, einen Gegenpol zu schaffen, indem er sie mit einer weltoffenen Herangehensweise verbindet. Das Luxemburger Autorenlexikon des Centre national de littérature bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „In seinen Liedern setzt sich Serge Tonnar mit dem literarischen und musikalischen Erbe Luxemburgs auseinander, erinnert einerseits an traditionelle Volkslieder …, liest sie andererseits gegen den Strich und hinterfragt sie auf die ideologischen Bedingungen ihrer Entstehung hin. Er zeichnet in sozial-, medien- und politikkritischen Texten ein Bild einer sich verändernden Gesellschaft. Insbesondere Entwürfe einer nationalen Identität werden hinterfragt. Dabei prangert er Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Hass und Intoleranz sowie Wohlstand auf Kosten anderer an und plädiert für ein offenes Gesellschaftsmodell des Miteinanders der Nationen und Religionen.“ In Tonnars eigenen Worten: „Nationalisten sagen ja immer gern: Die Sprache ist in Gefahr, sie muss geschützt werden. Was gar nicht stimmt, es wird heute viel mehr Luxemburgisch gesprochen und geschrieben, als es je der Fall war. Ich möchte diesen Menschen nicht das Monopol im Hinblick auf diese Themen überlassen. Das ist eine kleine Mission, die sich über die Jahre ergeben hat.“

Dennoch warnt er davor, mit Begriffen wie „Nazi“ allzu leichtfertig umzugehen, wenn etwa Menschen, die eher konservativ ausgerichtet sind oder sich kritisch gegenüber Migration äußern, sofort in diese Ecke gestellt werden. Das sei kontraproduktiv und würde nur dazu führen, dass die Mitte immer weiter nach rechts rücke. Das habe sich bereits während Corona gezeigt, als Gegner der staatlichen Maßnahmen gerne pauschal auf diese Weise tituliert worden seien – selbst bis in linke und grüne Kreise hinein.

Überhaupt Corona, ein Thema, über das Serge Tonnar sich zwei Stunden lang auslassen könnte. „In der Zeit hat sich für mich, für die ganze Musikszene viel verändert“, sinniert der Musiker. „Ich habe sofort Initiativen ergriffen, um online Kunst und Musik zu machen – für mich und andere aus der Szene. Allerdings hat meine eigene Berufsausübung sehr darunter gelitten. Viele kleine Organisatoren haben aufgegeben, kleine Ortsgemeinden sind vorsichtiger geworden, die Menschen gehen weniger in Konzerte außerhalb des Mainstreams. Zusammen mit dem Quasimonopol des Streamings gegenüber physischem Verkauf sind meine Einnahmen sehr stark zurückgegangen. Die Situation ist wesentlich schwieriger als vor 2020, sodass ich mir immer wieder etwas Neues einfallen lassen muss, um über die Runden zu kommen.“

Die erfolgreiche Phase mit Legotrip während zehn Jahren, in der drei Studio-, zwei Livealben sowie eine DVD erschienen und alles quasi wie von selbst lief, bis sie 2019 wegen beruflicher und familiärer Prioritäten seiner Bandmitglieder ein Ende fand, wird sich nicht wiederholen, ist Tonnar überzeugt und gibt sich keine Mühe, sein Bedauern darüber zu verbergen. „Es war eine einmalige Zeit, auch die Art und Weise, wie wir getourt sind mit bis zu achtzig Konzerten im Jahr. Heute muss ich vielseitiger denken, als Gruppe kommen nicht mehr genügend Auftritte zusammen. Deshalb spiele ich sehr viel solo, manchmal mit Band, auch im Trio mit zwei Jazzmusikern – einfach, um mehr Möglichkeiten zu haben.“

Seine Ende der Zehnerjahre begonnene Arbeit mit dem Pianisten, Komponisten und Landsmann Georges Urwald etwa bügelt alte Luxemburger Lieder gegen den Strich, erinnert manchmal an Konstantin Wecker oder auch an Liedtheater im Stil von Eisler und Brecht. Improvisation spielt hier eine große Rolle, was Tonnars schauspielerisches Talent zur Geltung bringt. Auf dem gerade herausgebrachten Album Kapoutty interpretieren die beiden auf beeindruckende Weise Lieder des „Vaters des Luxemburger Chansons“, Poutty Stein. Seine neueste Kollaboration ist dagegen kontintentübergreifend und zeigt auch darin seine Vielseitigkeit. Mit dem senegalesischen Singer/Songwriter Assane Diedhiou alias Adee hat er gerade den mehrsprachigen Song „La Même Destination“ („Dasselbe Ziel“) veröffentlicht, in dem die beiden für mehr Miteinander und Menschlichkeit plädieren.

Insgesamt sei es seit Corona aber schwerer geworden, resümiert der 55-Jährige, angefangen vom fast unvermeidlichen Crowdfunding bis zum heutigen Zwang, geradezu pausenlos produzieren zu müssen. Das letzte Album mit Band – Jo an Amen 2022 – sei zum Beispiel eine ungewohnt schwere Geburt gewesen im Hinblick auf Finanzierung, Terminfindung oder behindernde Lockdownmaßnahmen. Kein Zufall daher, dass der Nachfolger, das Ende 2024 erschienene Dai Dai Dai!, ein Sololivemitschnitt ist. „Für mich geht es inzwischen wirklich um die existenziellen Fragen: Gibt es meinen Beruf noch? Ist das, was ich mache, noch relevant? Gibt es das Albumformat überhaupt noch? Wie geht es in Zukunft weiter? Welchen Sinn ergibt das alles noch?“

Ohne Zweifel, die Zeiten für Kultur sind prekärer geworden. Trotz allem lässt Serge Tonnar sich seine positive Grundeinstellung nicht nehmen – und macht weiter mit seiner Mission. Und sei es, dass er, wie zeitweise geschehen, in eine Partei eintreten muss, um dabei zu helfen, angesichts des allgegenwärtigen Rechtsrucks die politische Stimme von links nicht verstummen zu lassen. Wenn das mit der Musik und der Kunst irgendwann aber einmal nicht mehr funktionieren sollte, wird er Trauerredner. Die Ausbildung dazu hat er bereits in der Tasche. Für alle Fälle.

 

www.tonnar.lu

Aktuelle Alben:

Dai Dai Dai! – Eleng am Stued (live; Eigenverlag, 2024)

Kapoutty (mit Georges Urwald; Eigenverlag 2025)

Aufmacher:
Serge Tonnar

Foto: Michael A. Schmiedel

1 Kommentar

  1. Schöner Beitrag, danke Dir Stefan Backes. Ich höre mir mal die Sachen von Serge Tonnar an…

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