Tinariwen

Mit der Welt in Verbindung

21. Dezember 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Die Tuaregband Tinariwen wurde 1979 in der Sahara zwischen Mali und Algerien gegründet. Sie wurde weltbekannt mit ihrem Stil. Die Musiker selbst nennen ihn Assouf, das bedeutet „Nostalgie“, der Rest der Welt spricht meist von „Wüsten-“ oder „Tuaregblues“. Die Band hat seit ihrem internationalen Bekanntwerden Anfang der Nullerjahre über 1.100 Konzerte in aller Welt gegeben und neun Alben aufgenommen, drei davon waren für einen Grammy nominiert. Für Tassili erhielten sie den Award 2012 für das beste Weltmusikalbum, schon damals war die Musik eine Mischung aus westafrikanischen und arabischen Traditionen und Blues, Folk oder anderen Einflüssen. Tinariwens neues Album Amatssou heißt auf Deutsch so viel wie „Jenseits der Angst“, musikalisch wurde amerikanischer Countrysound integriert (siehe Rezension in folker #3.23). Die Autorin interviewte die Band in Paris und sprach mit Said Ag Ayad aus Kidal auch über die aktuelle Situation in der Sahara und in Mali.
Interview: Martina Zimmermann

Amatssou bedeutet „Angst“?

Die eigentliche Bedeutung handelt von schweren Zeiten. Wir haben viele Probleme bei uns, im Alltag als Nomaden und mit Terrorismus. Unsere Völker haben Angst, sie erleben Dinge wie nie zuvor, es gibt viele Probleme. Deshalb haben wir dieses Album gemacht, um zu sagen: Es ist hart.

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„Musik wird bei uns im Moment heimlich gemacht.“

Tinariwen singen auf allen Alben über die Traditionen und Probleme nomadischer Völker. Das letzte Album habt ihr nun in Algerien aufgenommen …

Wir versuchen seit langer Zeit, ein Album bei uns zu Hause in Kidal in Mali aufzunehmen, aber angesichts der Probleme ist das schwierig. Es braucht Material wie im Westen und Toningenieure. Das geht bei uns nicht. Die letzten vier, fünf Alben haben wir in der Wüste in den USA eingespielt oder in Wüsten in Marokko, Mauretanien sowie das letzte in Djanet in Algerien. Derzeit können wir keine ausländischen Personen zu uns holen angesichts der Probleme. Musik wird bei uns im Moment heimlich gemacht. Öffentlich geht gar nichts, das ist dramatisch. Wir würden gerne wie früher bei uns auftreten, mit allen Leuten aus dem Ausland und der einheimischen Bevölkerung, das ist aktuell leider nicht möglich.

Was bringen euch diese Außenaufnahmen mitten in der Wüste?

Sie inspirieren uns, geben uns Hoffnung dank der Musik, machen uns Lust zu spielen. Wir haben immer im Freien gelebt! Bringst du uns in ein Studio, sind wir im Kopf blockiert. In der freien Luft atmen wir, da haben wir mehr Lust und Ideen, Musik zu erforschen. Alle neun Alben haben wir im Freien aufgenommen.

Eure Videos habt ihr in der Vergangenheit in der Nähe von Los Angeles gedreht.

(lacht) Im Busch von L. A. …

Fiel die Wahl auf Djanet angesichts von Corona und Terrorismus?

Es waren alle Bandmitglieder dabei, das Album nahm in Djanet seinen Anfang und wurde dort auch vollendet. An den Aufnahmen zu Amatssou waren zunächst nur wir Tuareg beteiligt. Die Countrysounds wurden danach hinzugefügt. Wir hörten uns das Ganze hinterher an, samt dem, was hinzugefügt worden war. Die musikalischen Gäste machten Vorschläge, und wir sagten: „Das ist gut, das nicht.“ Der Sound sollte Tinariwen bleiben. Der Sinn der Musik ist der Austausch mit anderen Musikschaffenden, ob sie aus den USA, Deutschland oder Vietnam kommen. Wir mögen diesen kulturellen Austausch mit aller Welt, Kultur ist der Reichtum eines Volkes. Aber wir sehen uns als Botschafter der Tuareg in der internationalen Musikszene. Die Basis ist Tinariwen, und wir sind Musiker, die mit der Welt in Verbindung stehen.

Wie kamt ihr auf die Idee, amerikanische Countrymusik zu integrieren?

Wir kennen ein paar amerikanische Künstler, die sich für uns interessieren, so wie wir uns für sie. Musik kennt keine Grenzen, sie ist endlos. Und die Musik der Tuareg hat etwas von Country und Blues. Wenn wir mit Menschen aus den USA spielen, haben wir den Eindruck, als hätten wir schon immer mit ihnen gespielt.

Es gibt zwei Titel, die aus dem Rahmen fallen. Ein Instrumental mit der einsaitigen Kniegeige Imzad und ein Song mit der Tindi-Trommel, zu dem Frauen singen.

Imzad ist das ursprüngliche Instrument der Tuareg, eine Geige, die nur von Frauen gespielt wird. In der modernen Welt nutzen die Leute E-Gitarren und die Imzad stirbt aus. Wir möchten das Instrument am Leben erhalten. Es gibt heute nur noch wenige Frauen, die es spielen können, noch zwei oder drei in der Region von Kidal oder welche in Djanet. In Djanet haben wir mit den Frauen gespielt, die diese Geige beherrschen, und mit einer anderen, die die Tindi schlug, eine Art Trommel, die von den Kameltänzen her bekannt ist. Wir wollen, dass unsere Kultur bestehen bleibt, und deshalb haben wir die Imzad und Tindi spielenden Frauen auf unser Album eingeladen. Damit die Leute unsere Kultur kennenlernen.

Tinariwen

Foto: Marie Planeille

Die Frauen haben ihre Rolle als Musikerinnen verloren, als die Männer nach den Dürrekatastrophen der Siebzigerjahre im Exil in Libyen zur Gitarre griffen und von da an selbst spielten.

Da war ich jung. Ich habe 1996, ’97 angefangen, Percussion zu spielen, seit 1999 tue ich es mit Tinariwen. Die Älteren waren vor der Trockenheit nach Algerien und Libyen geflohen und ließen sich dort in militärischen Camps ausbilden, um zu überleben. Dort machten sie dann die Musik, die bis dahin von Frauen gespielt worden war. Männer hatten vorher in der Regel um die musizierenden Frauen herumgetanzt. Im Exil griffen die Männer selbst zu Percussion und Gitarren, und das hat funktioniert.

Trotz aller Schwierigkeiten als nomadische Gesellschaft bleibt ihr „zu Hause“?

Wir haben keine Wahl. Wir bringen unsere Botschaft in die Welt und wollen zu Lösungen für die vielen Probleme beitragen.

Ihr seid politisch, aber nicht parteipolitisch?

Wir sind nicht parteiisch. Die Tuareg bei uns haben Kommunikationsprobleme. Manche sind im Busch, fast achtzig Prozent leben als Nomaden in der Wüste. Die haben nicht immer Telefon und Internet und wissen nicht, was woanders los ist. Musik ist da ein Mittel. Tuareg verstehen unsere Musik, mit der wir sagen, dass wir eine harte Zeit erleben und zusammenhalten müssen. Das ist unsere Botschaft. Für den Rest der Welt gibt es einfach die Musik und Übersetzungen. Viele Songs erzählen von unserem Leid. Aber wir bleiben immer in der Sprache der Poesie. Politik ist eine Sache, Musik eine andere. Wir vermitteln unsere Botschaft mit Musik und greifen weder den einen noch den anderen an. Wir wenden uns an unser Volk und sagen, was wir tun können, was wir wollen, was wir brauchen. Das ist Tuaregmusik, darin geht es um unsere Welt, um die Welt, in der wir leben.

Ihr selbst seid ja ein krasses Gegenteil zu den Nomaden, die in der Wüste ohne Strom und Internet sitzen. Mit euren Alben kommt ihr in die ganze Welt. Wie seht ihr idealerweise die Welt von morgen für die Tuareg?

Die Tuareg in Algerien leben in der Welt der Kommunikation, sie hören das Album sofort und verstehen es. Wenn sie zu ihrer Verwandtschaft in den Busch oder in die Wüste fahren, nehmen sie es mit und lassen es sie fern der Stadt hören. So kommt die Botschaft an. Schon früher war die Musik der Tuareg eine Botschaft für alle Völker der Tuareg. Es gibt viele – in Niger, Libyen, Mali, Algerien, Mauretanien, Burkina Faso, überall. Sie sind isoliert, Nomaden in der großen Sahara. Die Botschaften kommen mit der Musik. Musik reist unter uns Tuareg.

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www.tinariwen.com
www.youtube.com/@Tinariwen

 

Aktuelles Album:

Amatssou (Wedge, 2023)
Aufmacherfoto:

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