Wie erlebst du Geschlechtergerechtigkeit in deinem Job?
Ich glaube, der Beruf als Musikerin unterscheidet sich hierin kaum von anderen Jobs. Der Zeitpunkt im Leben, an dem die Karriere losgehen könnte, fällt oft genau zusammen mit dem Zeitpunkt, zu dem Kinder kommen. Und das macht es für Frauen natürlich schwieriger. Es spielt eine sehr große Rolle, ob ein verlässlicher Partner da ist, der sich mit um die Kinder kümmert. Und für Alleinerziehende ist es fast nicht zu schaffen. Da hilft – genau wie bei anderen Berufen – eine gute Kinderbetreuung. Für Selbstständige wäre es auch schön, wenn sich private Kinderbetreuung, die wir logischerweise brauchen, wenn wir abends arbeiten, steuerlich absetzen oder bezuschussen ließe. Ich habe jedenfalls viele Kolleginnen gesehen, die kaum wieder an Erfolg anschließen konnten, den sie vor den Kindern hatten. Dafür gibt es natürlich zahlreiche Gründe. Einer davon ist, dass gerade Popmusik sich vor allem für junge Interpret*innen interessiert – und das trifft dann Männer und Frauen gleichermaßen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen. Na ja, Frauen vielleicht noch einen Deut mehr.
„Der Skandal der Ungleichberechtigung findet woanders statt als im Musikgeschäft.“
Was müsste sich für Frauen im Musikbusiness ändern?
Dass das Thema stärker ins Bewusstsein gerückt ist, ist schon eine positive Veränderung. Bei Festivals zum Beispiel ist es schön, dass manche Booker jetzt darauf achten, auch Frauen im Line-up zu haben. Ich glaube, das Musikgeschäft ist eine Bühne, wo es leicht ist hinzuschauen. Aber der Skandal der Ungleichberechtigung findet woanders statt, zum Beispiel dort, wo klassische Frauenberufe wie Erzieher*in oder Pfleger*in immer noch viel zu schlecht bezahlt werden. Oder da, wo Alleinerziehende im Bewerbungsgespräch praktisch chancenlos sind, wenn es um einen guten Job geht. Na ja, die neue Bundesregierung hat jetzt mit Herrn Lindner jemand, der schon in der Vergangenheit deutlich gemacht hat, dass Pflegekräfte und Erzieher*innen aus seiner Sicht nicht zu den „Leistungsträgern“ des Landes gehören … – es ist zum Heulen.
(Wie) prägt deine Identität als Frau deine Arbeit, deine Musik – spielt dein Frausein hier überhaupt eine Rolle?
Es fällt mir schwer zu sagen, ob ich andere Texte schreiben würde, wenn ich ein Mann wäre. In manchen Aspekten wahrscheinlich. Ich finde diesen omnipräsenten, verkürzten und oberflächlichen Begriff von Identität nervtötend. Es macht sehr viel der eigenen Identität aus, mit welchen Bildungseinflüssen, weltanschaulichen und religiösen Ansichten, welchem sozioökonomischen Status man aufgewachsen ist. Ob Ost oder West, ob Land oder Stadt, ob geprägt von Krankheit oder Gesundheit. Ich erlebe diese Aspekte gleichrangig oder sogar wichtiger als mein Geschlecht.
Erlebst du chauvinistisches Verhalten im Alltag anders/häufiger/weniger häufig als in der Musik? Womit hängt das deiner Meinung nach zusammen?
Ich erlebe praktisch gar kein chauvinistisches Verhalten, weder im Alltag noch in der Musik. Ich bin meine eigene Chefin und habe ein Umfeld, in dem Chauvinismus sehr negativ angesehen ist und kaum vorkommt. Das heißt aber nicht, dass ich mir des Problems nicht absolut bewusst wäre und dass mir nicht klar wäre, welche verheerenden Auswirkungen es für viele Frauen hat – am Arbeitsplatz oder in der Familie etc. Und ja, auch ich habe meine persönlichen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gemacht. Nicht zu knapp. Und jeder Übergriff, der passiert, ist einer zu viel.
Wie ließen sich Frauen und Männer für dich sprachlich formal am besten berücksichtigen – „MusikerInnen“, „Musiker*innen“ …?
Das ist mir tatsächlich gar nicht wichtig. In bin eine gute Feministin. Ich kämpfe für Gleichberechtigung, gleiche Bezahlung und das Recht auf Familienplanung und bin solidarisch mit allen Frauen und queeren Menschen, die von chauvinistischem Verhalten betroffen sind. Aber ich finde den sprachlichen Aspekt uninteressant. Ich kann auch mal „Musiker“ sein. Ist mir egal. Die Verbissenheit, mit der der Nebenschauplatz Sprache von vielen beackert wird, nervt. Es hieß die letzten fünfzig Jahre lang „Lehrerzimmer“ und „Arztzimmer“ und trotzdem sind inzwischen die Hälfte der Lehrkräfte Lehrerinnen und die Hälfte der Ärzteschaft Frauen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Und ich will gar nicht leugnen, dass es noch gläserne Decken zu knacken gibt zu den Chefärztinnensesseln, aber: Das fehlende „Ärzt*innenzimmer“ hat niemand abgehalten. Der Ausschluss von bestimmten (Bildungs-)Karrieren läuft heute – zum Glück – nur noch wenig nach Geschlecht, aber er läuft sehr stark nach dem Bildungsstand, Migrationshintergund und Reichtum des Elternhauses. Das sollte uns als Gesellschaft viel mehr beschäftigen als die Frage, ob die Bürgermeisterin vielleicht „Bürger*innenmeisterin“ heißen müsste. Aber unbestritten gibt es Stellen, an denen der formale Einschluss Sinn macht und wichtig ist: in der Anrede oder bei Stellenausschreibungen. Ich benutze zum Beispiel bei Social-Media-Posts in der Anrede das Sternchen, weil ich es praktisch und höflich finde und weil es – vereinbarungsgemäß – alle anderen/non-binären Geschlechter miteinschließt.
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