Black Country

Gegen die Rückkehr zur „amerikanischen Apartheid“

20. September 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Auf der Basis der Wiederbesinnung auf die schwarzen Wurzeln der Countrymusik engagieren sich afroamerikanische und weiße Musikschaffende gegen „Make America Great Again“.
Text: Thomas Waldherr

Als Anfang diesen Jahres 35 Americana-Musiker und -Musikerinnen in ein Studio in Nashville gehen und den Song „Tennessee Rise“ aufnehmen, zeigt sich, dass die Musikszene sich in diesen Zeiten vor den Wahlen im November 2024 nicht vor den politischen Entwicklungen verschließt, sondern eingreifen will. Auf Initiative der aus Kanada stammenden und in Nashville lebenden afroamerikanischen Singer/Songwriterin Allison Russell nehmen neben vielen anderen Amanda Shires, Emmylou Harris, Brittney Spencer, Mary Gauthier, Maren Morris, Brandi Carlile, Brittany Howard und Langhorne Slim unter der Bezeichnung The Tennessee Freedom Singers den Song gegen die republikanische Senatorin von Tennessee, Marsha Blackburn, auf. Die Politikerin ist eine große Trump-Unterstützerin, leugnet die Benachteiligung von Schwarzen im Justizsystem, lehnt schärfere Waffengesetze ab und wurde bereits 2020 von Taylor Swift als queerfeindlich kritisiert.

In einer Erklärung zur Veröffentlichung im März dieses Jahres heißt es: „Das Lied wurde von Bewegungen für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit und den Kandidierenden, die diese unterstützen, inspiriert, darunter Gloria Johnson [die demokratische Herausforderin Blackburns; Anm. d. Verf.] und ihre Kampagne für den US-Senat“, so die Pressemitteilung. Und weiter: „Die Botschaft an die Bürger und Bürgerinnen von Tennessee, insbesondere an die jungen Leute, ist einfach: Registrieren Sie sich. Wählen Sie. Stehen sie auf.

Allison Russell

Wikimedia Public Domain Mark 1.0 Universal 2

Gegenüber dem Magazin Nashville Scene hat Russell ihre Beweggründe für das Engagement in Tennessee dargelegt: „Bei jedem Massenmord und jeder Gewalt in unserem Bundesstaat und Land übt meine Familie großen Druck auf mich aus, nach Kanada zurückzukommen“, sagt Russell. „Aber Nashville ist unser Zuhause. Wir leben hier. Wir arbeiten hier. Die Stadt hat uns enorme Geschenke gemacht. Ich möchte meiner Tochter nicht zeigen, dass wir vor schwierigen Dingen davonlaufen, ich möchte ihr zeigen, dass wir uns ihnen stellen und sie gemeinsam ändern.“

Handelt es sich hier um ein gemeinsames Projekt von weißen und schwarzen Musikschaffenden, so ist der African American Community im Musikbusiness durchaus bewusst, dass ein Sieg der republikanischen „Make-America-Great-Again“-Bewegung Donald Trumps (MAGA) einen Rückschritt in Sachen Gleichstellung und Bürgerrechte in den USA darstellen würde. Längst ist Black Lives Matter wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Gleichzeitig dringen die afroamerikanischen Beiträge zu Geschichte und Gegenwart der Countrymusik mehr denn je ins öffentliche Bewusstsein.

„Die Countrymusik gehört
der afroamerikanischen
Community genauso wie dem
weißen Teil der Bevölkerung.“

Es sind mehrere bemerkenswerte Veröffentlichungen im Frühjahr und Frühsommer, die den Blick auf die afroamerikanische Countrymusik verdichtet haben. Als Pop- und RnB-Superstar Beyoncé im Februar zwei Songs ihres neuen Albums vorab veröffentlicht, die Countryelemente enthalten, führt dies zu wilden Diskussionen. „Texas Hold ’Em“ ist ein hüpfender Country Stomp, der exakt auf das Linedance-Parkett passt (das Banjo spielt hier niemand Geringeres als die Folkmusikerin und Mitbegründerin der Carolina Chocolate Drops, Rhiannon Giddens). Auch der zweite Song, „16 ­Carriages“, ist ein Countrysong und kommt als Westernballade daher.

Beyoncé

Foto: Promo Cowboy Carter, Blair Caldwell

Doch für viele weiße Countryfans ist so etwas schlichtweg nicht hinnehmbar, die Kommentare in den sozialen Medien sind entsprechend gereizt. Und es sind nur kleine Schritte von geschmäcklerischer Ablehnung über verdeckten bis hin zu offenem Rassismus. Dass anerkannte Countrymusiker wie die Old Crow Medicine Show fast umgehend „Texas Hold ’Em“ zur großen Begeisterung ihres Publikums in ihre Konzertsetlists aufnehmen, wird dabei weitgehend ignoriert.

Die Spirale der Empörung dreht sich nach der Veröffentlichung des Albums Cowboy Carter noch weiter. Hinter der Diskussion, ob Beyoncés Longplayer nun ein Countryalbum ist oder nicht, steckt die eigentliche Frage: „Dürfen Schwarze überhaupt Countrymusik machen?“

Doch während People of Color vor allem im Süden ganz selbstverständlich Country hören und auch selbst spielen, sind es nach wie vor nur sehr wenige, die im Countrybusiness anerkannt sind und Erfolge feiern. Als seien hier die Genre- und Rassengrenzen zwischen weißer Countrymusik und schwarzem Blues, Hip-Hop oder RnB für ewig unüberwindbar.

Dann wird im April das Buch My Black Country von Alice Randall veröffentlicht, die zuvor als Co-Autorin von Trisha Yearwoods „XXX’s And OOO’s (An American Girl)“ für den ersten Nummer-eins-Countryhit einer schwarzen Songwriterin verantwortlich zeichnete. In ihrem Buch verknüpft Randall nun ihren persönlichen Weg als schwarze Nashville-Songwriterin mit der Geschichte der schwarzen Countrymusik – von dem frühen Grand-Ole-Opry-Star DeFord Bailey und Lil Hardin, die mit ihrem Mann Louis Armstrong 1930 den Countrymusiker Jimmie Rodgers bei dessen „Blue Yodel No. 9“ begleitete, bis hin zu Charley Pride in den Sechzigern und Darius Rucker heute. Aussage: Die Countrymusik gehört der afroamerikanischen Community genauso wie dem weißen Teil der Bevölkerung.

Alice Randall

Foto: Oh Boy Records

Ergänzend zum Buch erscheint das gleichnamige Album, auf dem die großen Nashville-Erfolge Alice Randalls erstmals von afroamerikanischen Musikschaffenden interpretiert werden. Mit dabei sind unter anderem Rhiannon Giddens, Valerie June und auch hier wieder Allison Russell. Kurz danach erscheint im Mai das Album Blackgrass: From West Virginia To 125th St von Swamp Dogg, das an die schwarzen Wurzeln des Bluegrass erinnert. Und es kommt die erweiterte Neuauflage von From Where I Stand: The Black Experience In Country Music heraus. Die Sammlung erschien ursprünglich 1998 als Boxset mit drei CDs und wurde damals mit großer Begeisterung und Lob der Kritik aufgenommen. Die 4-CD-Box erzählt nun die Geschichte von fast hundert Jahren Countrymusik schwarzer Künstler und Künstlerinnen – von den Stringbands in den 1920ern bis zu den aktuellen schwarzen Countrymusikschaffenden. Im Juni bringt dann auch noch die Bluegrass-Hip-Hop-Band Gangstagrass ihr neues Album mit dem beziehungsreichen Titel The Blackest Thing On The Menu auf den Markt. Es geht Schlag auf Schlag.

Doch zurück zu Allison Russell. Die hat mit ihrem Song „Eve Was Black“ von dem im September 2023 erschienen Album The Returner in diesem Jahr im Februar einen Grammy gewonnen, wurde aber im Gegensatz zu der ebenfalls in Tennessee beheimateten Band Paramore auf Geheiß der republikanischen Parlamentsmehrheit im Bundesstaat dafür nicht mit einer Resolution geehrt. Darauf reagierte die Musikerin recht süffisant: „Ich betrachte es als Kompliment.“ In einem Interview mit CBS Mornings erklärte sie: „Ob ihr Problem mit mir ist, dass ich schwarz bin oder dass ich queer bin oder dass ich eine Immigrantin in den USA bin, weiß ich nicht. Vielleicht ist nichts von alledem so, aber man kann spekulieren, dass es etwas damit zu tun hat.

„Die Countrymusik gehört
der afroamerikanischen
Community genauso wie dem
weißen Teil der Bevölkerung.“

Die Künstlerin ist eine der entschiedensten und klarsichtigsten Aktivistinnen in der Americanaszene. Im irischen Magazin Hot Press brachte sie es im November 2023 auf den Punkt: „Amerika befindet sich in der Anfangsphase einer sehr beängstigenden faschistischen Übernahme der Demokratie. Tennessee ist zum Ground Zero der neofaschistischen extremen Rechten geworden. Es ist der Bundesstaat mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Das ist kein Zufall, sondern Absicht und geht auf Jahrzehnte der Wahlkreismanipulation und Unterdrückung der schwarzen, eingewanderten und queeren Gemeinschaften zurück.“

Doch Russell ist als afroamerikanische Künstlerin in ihrem Engagement gegen den Trumpismus nicht alleine. Auch Alice Randall oder Rhiannon Giddens haben sich hier schon eindeutig gegen Trump und seine Bewegung positioniert.

Und auch die Jungs von Gangstagrass, weiße und schwarze Amerikaner, die in einzigartiger Weise Bluegrass mit Hip-Hop verbinden, sehen politisches Engagement als notwendig an und beantworten Fragen dazu sehr eindeutig. Der afroamerikanische MC und Sänger Dolio the Sleuth: „Ich denke, es ist definitiv unsere Verantwortung, uns zu engagieren. Als Künstler haben wir die Fähigkeit, über kulturelle Grenzen und sogar Landesgrenzen hinweg Verbindungen zu Menschen herzustellen. Da unser übergeordnetes Ziel eine integrative Gesellschaft ist, in der jeder gut leben kann, nutzen wir alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um diesem Ziel näherzukommen.“

Dabei weiß er ganz genau, was er von einem Sieg von Trump und seiner MAGA-Bewegung zu erwarten hat. „Als jemand, dessen Eltern unter der amerikanischen Apartheid, in den Zeiten der ‚Jim-Crow’-Gesetze zur Rassentrennung geboren wurden, zu der seine Anhänger so hartnäckig zurückkehren wollen, bin ich mir der Gefahr, die Trump für meine Familie, meine Lieben und den Rest der Welt darstellt, voll bewusst.“

Auch dem weißen Mitglied der Band Rench – für Gesang, Gitarre, Beats und Produktion der von ihm 2006 mitgegründeten Formation zuständig – ist das politische Engagement wichtig, er setzt jedoch noch mal einen anderen Akzent. „Da wir an der Entpolarisierung arbeiten, haben wir eine größere Wirkung, wenn wir Themen ansprechen, anstatt über Kandidierende zu sprechen. Unser Fokus ist langfristiger, auf den Aufbau von mehr Vertrauen und Zusammenhalt ausgerichtet, was den Autoritarismus untergraben wird.“

Und doch auch wenn Trump erneut an die Macht kommen sollte, hegt Rench weiterhin Hoffnung. „Diese Macht wird meiner Meinung nach ins Wanken geraten, da die Gemeinschaften eine gemeinsame Basis in gegenseitiger Hilfe und Unterstützung finden. Wir werden die Kraft der Solidarität finden müssen, um uns gegenseitig vor Angriffen zu schützen. Einiges davon habe ich während seiner früheren Amtszeit als Präsident gesehen – es fanden viele Koalitionen und Mobilisierungen statt, die viele der schlimmsten Vorschläge seiner Regierung vereitelten.“

3
Aufmacher:
Gangstagrass performs live at the Hifi Indy

Foto: Melodie Yvonne

Literatur zum Artikel:

Alice Randall, My Black Country (Atria/Black Privilege ­Publishing, 2024)

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Werbung

L