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Es war 1995 der Überraschungserfolg in Cannes: Der Film Underground des Serben Emir Kusturica gewinnt die Goldene Palme. Während das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien damals mehr und mehr vom Krieg zerfetzt wurde, feierte man auf dem Filmfestival die Politsatire, in der die Geschichte des Vielvölkerstaates erzählt wird. Und das Boban Marković Orkestar wurde mit der Filmmusik dazu schlagartig über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt.
Text: Petra Rieß
„Die Familientradition wird weitergegeben.“
Wilde Akkorde fegten in irrem Tempo durch die Kinowelt, es war ein Sound, wie man ihn außerhalb Jugoslawiens auf diese Weise noch nicht gehört hatte. Die Musik hatte, wie schon zwei Jahre zuvor für Kusturicas Arizona Dream, der Bosnier Goran Bregović geschrieben, und er hatte das Boban Marković Orkestar angeheuert, sie zu spielen.
Balkan Brass wurde zum populären Begriff – allerdings zunächst mithilfe einer ganz anderen Band, der rumänischen Fanfare Ciocarlia, die der Musikproduzent Henry Ernst auf Reisen entdeckt und mit dem Berliner Piranha-Label zusammengebracht hatte, bevor er sie 2002 mit den neu gegründeten Asphalt Tango Records selbst unter seine Fittiche nahm (siehe auch Artikel zum RomArchive ab Seite 24).
Für den serbischen Trompeter und Flügelhornspieler Boban Marković lief es zunächst nicht ganz so märchenhaft mit der internationalen Karriere. Obwohl er in seinem Heimatland als der führende Musiker seines Genres und Star des berühmten Guča-Trompetenfestivals galt, waren es die Filme, die seine Aufnahmen auch außerhalb seiner gemarterten Heimat bekannt machten.
Geboren wurde Marković 1964 in der Kleinstadt Vladičin Han, an der Bahnstrecke der alten großen Kulturstadt Niš. Sein Sohn Marko kam 1988 zur Welt. Auch er ist ein brillanter Trompeter und Flügelhornspieler. Die Familientradition wird also weitergegeben. Ab 2004 operierten die beiden gemeinsam im Boban i Marko Marković Orkestar, um heute mit dem Boban Marković Orkestar und der Marko Marković Brass Band ihre jeweils eigenen Ensembles zu leiten. Die aber auch schon mal zusammen auftreten – wie zum Beispiel zur Eröffnung des Rudolstadt-Festivals in diesem Jahr.
Boban und Marko Marković
Foto: Hype Stab
„Da wird geloopt und gesampelt, gerockt und geschwoft.“
Die beiden Musiker können auf eine lange Vorfahrenreihe zurückblicken. Vater beziehungsweise Großvater Marković stammt aus einer Romafamilie mit einer langen Musikantentradition. Bereits dessen Großvater war im Serbien der Dreißigerjahre ein gefeierter Trompetenspieler gewesen, der sogar vor Königen gespielt hatte.
Populär wurde Boban Marković in seiner Heimat als mehrfacher Gewinner der Goldenen Trompete beim Festival in Guča. Die Kleinstadt in Zentralserbien mit nur dreitausend Einwohnern beherbergt damit eines der größten Volksmusikfestivals der Welt. Für Musiker des Landes gibt es kaum eine größere vorstellbare Ehre, als hier zu gewinnen. Boban Marković gelang das so oft, dass er seit seinem Sieg 2001 nur mehr außer Konkurrenz antritt und 2006 zum Botschafter des Festivals ernannt wurde. Das sich übrigens gern mit dem Zitat eines berühmten Besuchers schmückt, des großen Miles Davis, der bei seinem Aufenthalt dort gesagt haben soll, dass er nicht wusste, dass die Trompete auf diese Art gespielt werden könne.
Seit geraumer Zeit beziehen Vater wie Sohn Marković verstärkt internationale Einflüsse in ihre Musik mit ein. Auch die jüngste Veröffentlichung des Boban Marković Orkestars, das Album Mrak aus dem Jahr 2019, macht in dieser Hinsicht besonderen Spaß. Mrak ist das serbische Wort für „dunkel“. Was die Musik allerdings ganz und gar nicht beschreibt. Das Orkestar mixt Balkan Brass mit Jazz, Hip-Hop, Klezmer und Elektronik, da wird geloopt und gesampelt, gerockt und geschwoft. Manchmal hackt einer auf sein Keyboard ein, dass es klingt, als sei man auf dem Berliner Kiez in Kreuzberg und höre improvisierte Popmusik. Dann wieder liegt ein Hauch von Orient und Wüste in der Luft.
Doch es gibt auch weiche, melancholisch-nachdenkliche Stücke. Der Titel „Duša“ („Seele“) zum Beispiel ist zum Weinen schön. Da mischt sich ein Akkordeon unter die Bläser, die tangoartig an- und miteinander reiben. Dann wieder ist es ein Basar, der das Ohr lockt und die Gewürze und Gerüche des Orients heraufbeschwört.
Die Einflüsse, die sowohl Boban als auch Marko Marković verarbeiten, sind unvorhersehbar. Da walten fantasievolle Geister, das ist mal sicher. Es sind begeisternde Spielkinder, die alles aufsaugen, was sie hören, und dann ihre eigene, verführerische, groovende Mischung daraus machen. Auch das berühmte „Ederlezi“ wird immer wieder aufgegriffen und variiert. Es scheint, als sei keine Melodie vor dieser Vater-Sohn-Synthese sicher.
Auf früheren Aufnahmen klang das alles noch traditioneller. Wild, aber ohne Einflüsse anderer Musikkulturen. Die Wurzeln solcher Blaskapellen vom Balkan reichen bis ins Osmanische Reich, wo sie als Militärkapellen für Glanz und Gloria des Herrschers sorgten. Dann wanderten die Blechblasinstrumente ins alltägliche Leben der Menschen, begleiteten ihre Geburten, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Es sind bewegliche kleine Musikgruppen, wie sie vor allem in den Gemeinschaften der Roma gepflegt werden. Jeder weiß, was zu spielen ist. Noten braucht man meistens keine. In der mitteleuropäischen Kultur gibt es diese Tradition ebenfalls, auch wenn sie lange Zeit vergessen war.
Marko Marković kennt das gut. Schon im Alter von zehn Jahren hat er bei Konzerten des Orchesters seines Vaters oder auf Hochzeiten, an denen sie auftraten, mitgespielt. Er wurde festes Mitglied der Band, deren Leitung ihm sogar mit nur achtzehn Jahren übertragen wurde. Damit war auch der Sohn bereit, am Guča-Festival teilzunehmen. Seit einigen Jahren hat er nun sein eigenes Orchester, die erwähnte Marko Markovic Brass Band.
Was den Vater betrifft, wurde diesem 2014 die Ehre zuteil, dass das britische Songlines-Weltmusikmagazin ihn als einzigen Trompetenspieler auf die Liste der fünfzig besten Instrumentalisten der Welt setzte. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Aktuelles Album:
Mrak (Fonó, 2019)
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