Bróna McVittie

Spielen und entdecken

4. März 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Spätestens mit ihrem dritten Album hat die Nordirin Bróna McVittie zu einem eigenen Stil gefunden. Das liegt neben ihrer Stimme vor allem daran, dass sie in ihre Musik außer Harfe und Gitarre auf geschmackvolle Weise Elektronik einbindet.
Text: Guido Diesing

Für eine Sängerin aus der Grafschaft Down ist die Wahl des Openers auf den ersten Blick nicht übermäßig originell. Bróna McVittie eröffnet ihr neues Album The Woman In The Moon mit dem bekannten Traditional „The Star Of The County Down“. Aber was heißt schon „bekannt”? Folkfans, die das Stück etwa in den Versionen der Chieftains mit Van Morrison, der Wolf Tones oder der Pogues kennen, werden sich verwundert die Ohren reiben. In McVitties Interpretation hat der Song wenig mit deren pubtauglichen Aufnahmen zu tun. Die Sängerin wählt ein extrem langsames Tempo, baut mit gutem dramaturgischem Gespür aus Klangflächen und sanften elektronischen Beats Stimmungen auf, in die sie die vertraute Melodie mit mehrstimmigem Gesang einbettet. Gitarre und Harfe fügen sich in die dichte Atmosphäre, ohne das Stück zu überladen. Nach fünfeinhalb Minuten ist klar: Hier präsentiert sich eine Künstlerin, die einen neuen Blick auf traditionelle Wurzeln wirft. „Ich hatte das Gefühl, dass dieser Song gut den Rahmen absteckt“, bestätigt McVittie. „Es ist ein Lied, das die meisten kennen, aber hier hoffentlich auf eine neue Art hören. Ich mag es, die Dinge zu verlangsamen, und finde es interessant, was man in einer Melodie entdecken kann, wenn man sich mehr Zeit nimmt. Es gibt dir auch größere Möglichkeiten, dich auf die Geschichte einzulassen.“

Das Klischee einer irischen Kindheit mit Folksongs von klein auf erfüllt die Frau aus Rostrevor ganz und gar nicht. „Ich bin nicht mit traditioneller Musik aufgewachsen“, erklärt sie. „Erst als ich nach London ging, um dort zu leben und Musik zu machen, kam ich durch die dortige irische Community in Kontakt mit der Musik meines Heimatlandes und war zehn Jahre Mitglied der Folkband The London Lasses.“ Die Umwege in ihrer musikalischen Sozialisation schlagen sich in ihren Stücken nieder und geben ihnen einen eigenen Charakter. „Mit meinem Ansatz des Songwritings kann man meine Musik ins Folkgenre einordnen, aber sie ist offensichtlich weiter gefasst. Als ich sechzehn war, habe ich Prince und Kate Bush gehört, Portishead ist auf jeden Fall eine meiner Lieblingsbands. Überhaupt mag ich elektronische Musik und Jazz. Meine persönliche Reise mit dem Soloprojekt hat all diese Einflüsse zusammengebracht. Ich würde meine Musik Electronic Folk nennen, weil ich zwar viele elektronische Elemente nutze, das aber trotzdem eher subtil bleibt.“

Bróna McVittie

Foto: Mark Thompson 2

Live spielt sie eine E-Harfe, weil diese sich besser mit den Effektpedalen verbinden lässt, mit denen sie den Klang weniger perkussiv macht. An der Gitarre bleibt sie dagegen bei einem akustischen Modell, und die Stücke auf dem Album, in denen dies im Vordergrund steht, klingen fast konventionell. Ist sie also so etwas wie eine getarnte Folksängerin? „Wenn ich Gitarre spiele, passe ich eher in diese Schublade“, stimmt sie zu. „Gitarristisch bin ich von Bert Jansch und John Martyn beeinflusst und bevorzuge den Fingerpicking-Style. Du kannst mich also beschuldigen, eine Folksängerin zu sein“, sagt sie lachend. Aber eben eine, der es nicht in erster Linie darum geht, Traditionen zu bewahren. „Ich bin mehr daran interessiert, was ich einem Song hinzufügen kann. Wenn er wirklich in dir widerklingt, bringst du etwas anderes ein. Wenn man ein Lied an einen anderen Ort bringt, ist das wie eine Reise, ein Spiel. Und es macht Spaß. Du spielst und entdeckst, siehst, was dabei herauskommt, ohne Angst davor, dich von Konventionen zu befreien.“

Wie sehr sie traditionelle Elemente dennoch verinnerlicht hat, zeigt das Lied „The Fairy Glen“ über das gleichnamige Tal in ihrem Ort, um das sich viele Feengeschichten ranken. „Mein Haus ist gleich gegenüber“, sagt sie. „Ich saß eines Tages auf der Schwelle, als mir diese Melodie in den Kopf kam. Ich hatte das Gefühl, sie kam von den Feen.“ In dem Lied erzählt sie die Geschichte einer Begegnung mit der Leannán Síthe, einer mystischen Muse, von der sie geküsst und in einen Vogel verwandelt wird. Melodie und Text könnten problemlos als traditionell durchgehen. „Der Song entstand teils aus Kindheitserinnerungen und teils aus meinem Interesse an der hiesigen Folklore. In der gibt es viele Metaphern und Allegorien – etwas, was auch ich anstrebe. Seit ich meine Solokarriere begonnen habe und aus London zurück nach Nordirland gekommen bin, habe ich viel Inspiration aus der Natur gezogen.“

Mit den Vorgängen in der Natur kennt sie sich auch aus anderer Perspektive aus. McVittie hat einen Universitätsabschluss in Biologie und sieht überraschende Parallelen. „In der Biologie geht es darum zu beschreiben, was du siehst. Beim Songschreiben beschreibe ich Beobachtungen, die nicht unbedingt physisch greifbar sind, aber der grundsätzliche Prozess ist derselbe. Viele Leute halten Wissenschaft und Kunst für völlig unterschiedliche Unterfangen, aber ich sehe definitiv Ähnlichkeiten. In beiden Fällen geht es um Entdeckungen.“

„Ich fühle mich am Anfang eines Abenteuers und will definitiv nicht, dass es endet.“

Durch den Kontrabassisten Oli Hayhurst und den brasilianischen Drummer Marius Rodrigues macht sich in einigen Stücken des neuen Albums auf dezent federnde Weise das Interesse der Musikerin an Jazz bemerkbar, was die Stilmischung zu einem wiedererkennbaren individuellen Klang abrundet. Darauf angesprochen, ist die Sängerin hocherfreut: „Das ist das größte Kompliment, das einem als Künstlerin gemacht werden kann, dass man nicht wie eine andere klingt, sondern wie man selbst. Ich habe das Gefühl, das, was ich mache, kommt aus mir selbst, und fühle mich sehr wohl dort, wo ich musikalisch stehe. Ich fühle mich am Anfang eines Abenteuers und will definitiv nicht, dass es endet.“

www.bronamcvittie.corkbots.com

 

Aktuelles Album:

The Woman In The Moon (Company of Corkbots, 2022)

 

Videos:

„The Star Of The County Down“: www.youtube.com/watch?v=LKw0EA-4kAQ

„The Fairy Glen“: www.youtube.com/watch?v=-yTb6Sg8NpQ

„Tiocfaidh An Samhradh“: www.youtube.com/watch?v=RdQoAugUvFE

 

Aufmacherfoto:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Werbung

L