Das Rad dreht sich weiter

Die Drehleier – Vom Bettelinstrument zum vielseitig eingesetzten Allrounder

17. September 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Audio mp3: »Das Rad dreht sich weiter«, 9:02 min

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Obwohl sich die Geschichte der Drehleier bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen lässt, war das Instrument noch nie so populär wie heute. Werfen wir einen Blick auf die pulsierende Drehleierszene, die einige Überraschungen zu bieten hat.
Text: Björn Kaidel

Die Drehleier ist ein mechanisiertes Streichinstrument. Statt mit einem Bogen die Saiten zum Schwingen zu bringen, dreht man eine Kurbel, die ein Rad bewegt, welches die Melodiesaiten anstreicht. Über eine Tastatur werden Tangenten an die Saiten geführt, die diese verkürzen und die Tonhöhe verändern. Neben den Melodiesaiten verfügt die Drehleier über Bordunsaiten, die einen tiefen Dauerton erzeugen, sowie über Schnarrsaiten. Durch Impulse an der Kurbel können hiermit Schnarrgeräusche erzeugt werden, die das Spiel perkussiv umrahmen.

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Die Drehleier findet sich in Traditionen verschiedener Länder Europas, unter anderem in Frankreich, Ungarn, Österreich, Spanien, der Ukraine, aber auch in Deutschland. Im Mittelalter war sie als Bettelinstrument bekannt, wurde im Barock in Frankreich dann aber beim Adel populär.

Ihren Siegeszug trat sie im zwanzigsten Jahrhundert an. In Deutschland wurde sie durch die Pionierarbeit von Instrumentenbauern wie Helmut Gotschy und Kurt Reichmann wiederentdeckt. Musikschaffende wie aus Frankreich Gilles Chabenat, Valentin Clastrier oder Patrick Bouffard, aus Österreich Matthias Loibner, aus Ungarn Robert Mandel oder aus England Nigel Eaton widmeten sich der Drehleier und sprengten schnell die Grenzen der Spieltechnik.

Christian Mohr Levisen

Foto: Siri Anna Flensburg

Innovative Instrumentenbauer wie der Franzose Denis Siorat und der Österreicher Wolfgang Weichselbaumer entwickelten auch das Instrument selbst weiter. Sie wurde elektrisch verstärkt, ihr Klang verbessert, der Tonumfang vergrößert und vieles mehr. Um alle Neuentwicklungen der letzten Jahrzehnte erläutern zu können, bedürfte es eines eigenen Artikels. Noch immer wird an Verbesserungen getüftelt, zum Beispiel an absenkbaren Rädern, die ein dynamischeres Spiel erlauben. Auch vor neuen Technologien wie 3D-Druckern schreckt man nicht zurück, um erschwinglichere Instrumente bauen zu können (Interessierte suchen im Internet nach „Nerdy Gurdy“). Die musikalische Innovationsfreude der Drehleierspielenden scheint ebenfalls nicht zu enden.

„Es lohnt sich, die Drehleierszene im Auge zu behalten.“

Guilhelm Desq war einer der Ersten, der bemerkenswerte Erfolge mit dem Instrument auf Youtube feiern konnte. Mit seiner Virtuosität und eingängigen Melodien gelang es ihm, Millionen Menschen zu erreichen – und viele zum Spiel der Drehleier zu inspirieren.

Eléonore Fourniau

Foto: Promo

Efrén Lopéz aus Spanien verwendet sie unter anderem erfolgreich in traditioneller Musik des Mittelmeerraums, in der sie historisch nicht bekannt war, etwa in der kretischen Musik. Der eine unfassbare Anzahl an Instrumenten meisterhaft beherrschende Multiinstrumentalist spielt die Drehleier in fast all seinen Projekten, die von Alter Musik bis hin zu genresprengenden Experimenten wie dem Album A æ u å æ ø i æ å, æ i å u å æ ø i æ å? aus dem Jahr 2019 reichen.

Die Französin Eléonore Fourniau lebte viele Jahre in Istanbul und entwickelte dort eine Faszination für anatolische und kurdische Musik. Diese kennzeichnen Vierteltöne, die sich „zwischen“ den Tönen der heutigen westlichen Tonleitern befinden und die auf der Drehleier normalerweise nicht gespielt werden können. Um dieses Problem zu lösen, entwickelte Fourniau eine eigene Spieltechnik, bei der sie die Tangenten ganz bewusst „verstimmt“. Auf ihrem Album Neynik (Mirror) von 2024 ist die Drehleier zusammen mit Saz, Oud und Ney zu hören.

Der schwedische Drehleierspieler Sebastian Falk erarbeitete für sein Examenskonzert an der Academy of Music and Drama in Göteborg eine äußerst spannende Mischung aus schwedischem Folk und Postrock – Polskamelodien treffen auf postrocktypische Klangwände. Auf seinem Youtube-Kanal gibt es empfehlenswerte Videos dieses Konzerts zu sehen.

Francesco Giusta

Foto: Bettina Zajonc, Farbhase Fotografie, farbhase.de

Wenn es um die schwedische Szene geht, darf der Virtuose Johannes Geworkian Hellman nicht unerwähnt bleiben. Mit Projekten wie dem gerade erschienenen neuen Album Migrating mit der finnischen Kantelespielerin Maija Kauhanen sorgt er seit vielen Jahren für Furore. Nicht nur wegen seiner unglaublichen Spieltechnik, sondern auch aufgrund seines Gespürs für Melodien und Atmosphäre. Im Herbst 2025 und Frühjahr 2026 ist er im Duo Symbio mit dem Akkordeonisten LarsEmil Öjeberget in Deutschland auf Tour.

Hierzulande decken Spieler und Spielerinnen wie Sebastian Elsner (Fior), Patty Gurdy oder Stephan Groth (Faun, Zirp) eine enorme Bandbreite an Stilen ab – von Deutschfolk über Pop bis Fusion. In Dänemark verwendet Christian Mohr Levisen die Drehleier für skandinavische und mittelalterliche Musik. In Italien sorgt Francesco Giusta für Aufmerksamkeit, etwa mit seinem Barockdrehleierduo mit dem deutschen Kollegen Ron Höllein. Die Kanadierin Tobie Miller wiederum ist bekannt für ihre Bach-Interpretationen.

Auch in anderen Genres erfreut sich das Instrument immer größerer Beliebtheit, insbesondere im Metal. Hier wird die Drehleier häufig von weiblichen Musikschaffenden gespielt wie etwa Anna Murphy aus der Schweiz (Cellar Darling, Maer), Michalina Malisz aus Polen (Lyrre, Ex-Eluveitie) oder aus Deutschland Fabis Tunes (Storm Seeker) und Annie Hurdy Gurdy (Ex-Eluveitie), wodurch das Instrument einem völlig neuen Publikum bekannt wurde.

Die Liste an interessanten Drehleierspielenden könnte noch ewig weitergeführt werden. Doch wie erlernt man das Spiel des Instruments? In ganz Europa gibt es Kurse, bei denen für ein Wochenende erste Erfahrungen mit Leihinstrumenten gesammelt werden können. Fortgeschrittene haben die Möglichkeit, Workshops bei den genannten Spielern und Spielerinnen zu besuchen. Beispielhaft seien die Kurse des Bordun e. V., der Nürnberger Borduntage und der niederländischen Organisation Stichting Draailier en Doedelzak genannt.

Matthias Loibner

Foto: Max Moser

Der Umgang innerhalb der Drehleierszene ist freundschaftlich und von Hilfsbereitschaft geprägt. Auf Plattformen wie Facebook (Gruppe „Hurdy Gurdy Community“), Discord oder Youtube engagieren sich Aktive an dem Instrument in sehr lebendigen Gemeinschaften, um Neulingen Fragen zu beantworten oder über neue Entwicklungen zu fachsimpeln.

Man darf gespannt sein, wo es dieses altehrwürdige Borduninstrument als nächstes hin verschlägt – es lohnt sich auf jeden Fall, die Drehleierszene im Auge zu behalten.

Zum Autor: Björn Kaidel spielt selbst Drehleier, Nyckelharpa und Waldzither und ist aktiv als Folkmusiker (u. a. mit Akleja, Plønk, Fior) und Organisator (z. B. von Nyckelharpawochenenden oder beim Nord Folk Festival). www.bjoernkaidel.de

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Aufmacher:
Efrén Lopéz

Foto: Pi Photograpy

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