Dialektmusik in allen Himmelsrichtungen (1)

Plattmusik im Norden – Die Szene lebt

8. Oktober 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Die Situation für Mundartmusik ist je nach Region in Deutschland unterschiedlich. Mancherorts werden die heimischen Dialekte nach wie vor gepflegt, im Alltag wie in der Kultur. Woanders sind sie vom Hochdeutschen weitgehend verdrängt und werden nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Musik. Wir haben vier Fachkundige der jeweiligen Großregionen gefragt, wie es um die Dialektmusik im Norden, Osten, Süden und Westen der Republik steht. Ein Überblick, der durchaus Hoffnung macht.
Text: Gerd Brandt

Plattdeutsch wird heute noch im Norden der BRD von der niederländischen Grenze im Westen Ostfrieslands und des Emslands bis zur dänischen Grenze im Norden von Schleswig-Holstein und bis zur östlichen, polnischen Grenze Mecklenburg-Vorpommerns gesprochen. Dies ist ein riesiger Sprachraum mit drei Bundesländern und den beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Auch in den nördlichen Bereichen von NRW wird noch das westfälische Platt gesprochen. Ebenso wird in den an Niedersachsen angrenzenden niederländischen Provinzen Groningen, Drenthe und Twente ein Dialekt gesprochen, der dort Niedersächsisch genannt wird und viel Verwandtschaft mit den Dialekten auf deutscher Seite aufweist. Dabei finden sich in den Regionen jeweils eigene Dialekte des Plattdeutschen, die aber alle etwas Verbindendes haben. Hier kann nur auf den niedersächsischen Raum inklusive Bremen und Hamburg eingegangen werden.

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Durch die Europäische-Sprachen-Charta von 1992, die 1999 in Deutschland in Kraft trat, wurden den Regional- und Minderheitensprachen weitgehende Sonderrechte eingeräumt, womit sich vielfältige Fördermöglichkeiten auch für musikalische Projekte ergaben. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Förderung von Kindergärten und Grundschulen. In Ostfriesland etwa gibt es heute sechzig mehrsprachige Kindergärten, in denen Platt und Hochdeutsch bilingual angeboten werden. Bereits in den Neunzigern wurde diese Arbeit auch mit Kinderliedprojekten unterstützt. Die damals entstandenen Alben Kandidel von und mit Jan Cornelius sowie Nu gifft dat Musik in d’Boo mit Kunterbunt um Jens-Peter Müller sind heute noch täglich gebrauchte Hilfsmittel des Kitapersonals und werden auch in Grundschulen gerne eingesetzt.

Die plattdeutsche Musikszene in Norddeutschland teilt sich in Plattfolkies und Singer/Songwriter, Plattrock- und -popmusikschaffende sowie in volkstümliche Schlageracts. Daneben gibt es aber auch Interpretinnen wie Ina Müller, die aus dem Landkreis Cuxhaven stammt, oder Annie Heger, die in Oldenburg aufwuchs, aber familiäre Wurzeln in Ostfriesland hat. Beide sind eher kabarettistisch unterwegs und lassen sich nicht einem bestimmten Genre zuordnen.

Jan Cornelius

Foto: Didi43, Wikipedia CC BY-SA 4.0 Deed

Wurde die frühe Phase des Plattrevivals in Norddeutschland in den Siebzigern geprägt durch Interpreten und Gruppen wie Helmut Debus, Liederjan, Moin, Lilienthal und Fiedel Michel, kamen später Jan Cornelius, Laway, Spillwark um Wolfgang Meyering (heute Malbrook) und Edzard Wagenaar (später Liederjan) dazu. Sie versuchten traditionelle Musik aus Norddeutschland mit eigenen neuen Liedern, zum Teil auch mit irisch-schottischen und bretonischen Melodien zu verbinden – und sind heute immer noch da.

Helmut Debus wurde kürzlich erst mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet für sein Album Angst legg di slapen, Jan Cornelius hat mit Dagen flegen vörbi gerade sein fünfzehntes Album veröffentlicht, und Laway feierten 2019 vierzigjähriges Bestehen mit ihrem opulenten Friesenfolkalbum För all dat. Alljährlich sind sie zudem im Winter mit dem Programm „Musik in d’ Lüchterkark“ unterwegs, mit zuletzt wieder über fünftausend Besuchenden zwischen Rhein und Elbe.

In Ostfriesland mit Laway, Jan Cornelius und Otto Groote, im Oldenburger Land mit Helmut Debus, Iko Andrae, De Deichgranaten (Annie Heger, Insina Lüschen) und Sabine Hermann sowie im Osnabrücker Land mit dem Folkrock von Wippsteert findet man die aktuell bedeutendsten Interpreten der Plattszene, die sich dem Folk- und Singer/Songwriter-Genre zuordnen lassen. Zudem gab der Venner Folk Frühling der plattdeutschen Szene von Anfang an stets eine Bühne. Die regionalen Kulturinstitutionen in Niedersachsen (Landschaften) haben inzwischen alle regionalsprachliche Fachkräfte und veranstalten alljährlich den Wettbewerb Plattsounds, der sich an junge Musikschaffende bis dreißig Jahre richtet. Gesucht wird der beste neue plattdeutsche Song. Hier läge auch eine Chance zur Mitwirkung für junge Folkmusikleute, bislang beteiligen sich überwiegend junge Acts aus den Bereichen Rock und Pop.

Der NDR mit seinen Landesfunkhäusern in Hamburg, Kiel, Schwerin und Hannover, die jeweils eigene NDR-1-Programme senden, haben wöchentliche Sendungen mit viel Plattmusik. Sie spielen alle Genres und geben auch der Folkmusik eine öffentliche Plattform. Insgesamt lässt sich sagen, dass die plattdeutsche Musikszene im Norden lebt, wenn auch aktuell wenig neue Folkies dazugekommen sind.

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