Die Situation für Mundartmusik ist je nach Region in Deutschland unterschiedlich. Mancherorts werden die heimischen Dialekte nach wie vor gepflegt, im Alltag wie in der Kultur. Woanders sind sie vom Hochdeutschen weitgehend verdrängt und werden nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Musik. Wir haben vier Fachkundige der jeweiligen Großregionen gefragt, wie es um die Dialektmusik im Norden, Osten, Süden und Westen der Republik steht. Ein Überblick, der durchaus Hoffnung macht.
Text: Tim Liebert
Es gibt die gängige Lehrmeinung, nach der schwer zugängliche Regionen für das Bewahren von Traditionen prädestiniert sind. Zu solchen dialektmusikalischen Enklaven gehören im Osten der Republik der Thüringer Wald, das Erzgebirge, das Vogtland und der Harz. Im Erzgebirge ist die Gemengelage besonders spannend und exemplarisch. Die Ikone des Volksgesangs dort war Anton Günther. Er begann als Emigrant in Prag, handgemalte Postkarten mit selbst verfassten Liedtexten zu verkaufen. Ein Geschäftsmodell, welches im ausgehenden 19. Jahrhundert den Nerv der Zeit traf. Sein Repertoire wurde in der Folge zum Kanon erzgebirgischer Vokalmusik. Einen Querschnitt seiner Lieder, aufgenommen von Vertretern diverser Genres, ist das opulente Vierfachalbum Sänger des Erzgebirges – 100 Heimatlieder. Als folkaffiner Interpret ist hier unter anderem Stefan Gerlach präsent, der mit seiner Band Wind, Sand & Sterne zu den Pionieren des DDR-Folkrock zählt.
Stefan Mösch von De Krippelkiefern
Filmstill aus der Doku ‚Krippelkiefer‘
Eine weitere folkloristische Komponente der Montanregion Erzgebirge sind Bergmannslieder. Ein eifriger Sammler war Manfred Blechschmidt. Aus seinen Veröffentlichungen schöpfen heute Folkbands wie die Chamtzer Bossen und das Geschirrkammerorchester Schönheide. Neben solchen Bearbeitenden von Historischem gibt es eine Reihe Liedermachende, die im Dialekt schreiben. Hörenswert sind De Krippelkiefern, auch wenn sie nicht mehr aktiv konzertieren. Mastermind Stefan „Sterni“ Mösch ist Autor spritzig-ironischer Texte und Protagonist eines anrührenden Dokumentarfilms aus dem Jahr 2014, der zeigt, wie schwierig es ist, mit dem Nischenprodukt Dialektlied seine Brötchen zu verdienen. Aufgehender Stern der jüngeren und eher folkrockigen Mundartgarde ist die Gruppe Fei aus Eibenstock, die technisch versiert und mit hohem Spaßfaktor ihren Dialekt pflegt. Wer das alles live erleben will, dem sei die jährliche Erzgebirgische Liedertour ans Herz gelegt.
Fei
Foto: Zuzanna Wiszowaty
Vom Erzgebirge ist es geografisch und sprachlich nur ein kleiner Schritt ins Vogtland. Doch merke: Vogtländisch ist ein fränkischer Dialekt. Zu den engagiertesten Feldforschenden hier gehörte Hermann Dunger. Aus seinen Rundas und Reimsprüchen wird sich heute noch sattsam bedient. Die Band, welche hier Basisarbeit verrichtete, waren die Folkländer (ja aus „Folk“ und „Vogtland“ gebastelt) um den Barden Jürgen B. Wolff. Er machte den Dialekt hoffähig. So etwa mit seiner markerschütternden Übersetzung von Eric Bogles „Waltzing Matilda“. Weggefährten des frisch gekürten Ruth-Preisträgers sind die Landluper, die dem Vogtland einen Schuss Balkan verpassten. Später kam die Band Liedvogt um den Plauener Musiker Frank Fleissig dazu, einen echten Aktivisten regionaler Folkmusik. Er vertont Gedichte in Mundart und veranstaltet jährlich im September ein kleines Vogtland-Folkfestival.
Folkländer
Foto: Silvia Hauptmann
Dort durfte ich mit meinem Hüsch!-Kollegen Nico Schneider bereits gastieren. Hüsch! versuchen die Thüringer Waldzither zu reaktivieren und Dialektlieder zu modernisieren. Zudem arbeite ich solistisch und mit der Band Lind vogtländische Rundas auf. Diese einfachen Tanzlieder basieren auf Schleifern und Drehern, wie sie schon in der Seibiser Sammlung des Heinrich Nicol Philipp von 1784 zu finden sind. Sie sind improvisierter Gesang mit viel Ironie und etwas Anarchie, und gute Rundasänger waren die Stars bei Tanzveranstaltungen.
Hüsch! haben zusätzlich Lieder in Hennebergisch im Repertoire. Im südlichen Thüringen ist die Pflege von Liedgut in diesem fränkischen Dialekt vergleichsweise intakt und geschieht oft auf Berghütten entlang des Rennsteigs. Auch diese Region hatte einen eifrigen Forscher: Horst Traut. Sein wundervoll illustrierter Hallodri ist heute so etwas wie das Standardwerk der südthüringischen Musik. Als Lehrer und Chef der Gruppe Kantholz hat er bahnbrechende Nachwuchsförderung betrieben.
Hüsch!
Foto: Joachim Rosenbrück
Neben dem Erhalt von Dialektalem in ländlichen Regionen gibt es auch Mundartmusik in den Metropolen. Wunderbar schrullig und doch fast akademisch wird das für den Raum Berlin von Peter „Schulle“ Schulze präsentiert. Sein Auftritt beim diesjährigen Rudolstadt-Festival war ein Lehrbeispiel in Traditionspflege und zeigte, dass die städtischen Dialektlieder oft Adaptionen sind. So basieren Gassenhauer häufig auf klassischen Themen. Die zweite Ostmetropole mit intakter Dialektpflege ist Dresden. Doch wird die Aufarbeitung historischer Quellen häufig überlagert von kabarettistischem Ansinnen à la Tom Pauls. Ersteres ist die Spielwiese des unverwüstlichen Duos Unfolkkommen (siehe eigener Artikel hier).
Gruppe Kantholz
Leider können viele ambitionierte Projekte wie Henner aus dem Eichsfeld oder Sagenhaft aus der Röhn nur erwähnt werden. In der Summe: Musik im Dialekt ist im Osten noch sehr lebendig, auch wenn das oft niederschwellig passiert und die großen Aushängeschilder fehlen. Das Interesse ist generationsübergreifend ungebrochen.
www.chamtzerbossen.de
www.facebook.com/rhoensagen (Sagenhaft)
www.fei-musik.de
www.folklaender.com
www.gruppe-kantholz.de
www.land-ueber.de (Land Über & Doc Fritz = Lind)
www.liedvogt.de
www.songs-of-heimat.de (Hüsch!)
www.unfolkkommen.de
www.windsandundsterne.de
Zu Anton Günther ist einiges bei B.T. Music erschienen (www.bt-music.de), zum Beispiel:
Diverse, Mei Haamit läßt mich grüßen – Klingende Jahrhundert-Chronik aus dem Silbernen Erzgebirge (u. a. mit auch Originalaufnahmen von ihm selbst; B. T. Music, 2012)
Diverse, Es Laabn is e Büchel – Die schönsten Lieder von Anton Günther (2) (B. T. Music, 2022)
Annett Illig, Frei will ich bleibn – Zu Ehren Anton Günthers (B. T. Music, 2020)
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