1964 attackierte die große Sängerin und Pianistin Nina Simone die Gewalt der weißen Vorherrschaft scharf, nachdem im Jahr zuvor bei einem Bombenanschlag auf eine Kirche in Birmingham, Alabama, vier schwarze Mädchen getötet worden waren. Ihr Lied „Mississippi Goddam“ war ein Schlag ins Gesicht.
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Das Jazzgenie eines Miles Davis oder Dizzy Gillespie war das perfekte Vehikel, um die soziale Ordnung umzugestalten. Die Erzählungen Woody Guthries, der den Staub der Straße und das Leben auf Wanderschaft kannte, und der progressive Humanismus Pete Seegers bereiteten den Weg für die Geschichten der Unterdrückten und Übersehenen. CSNYs 1970er-Breitseite „Ohio“ prangerte das Massaker der Nationalgarde an der Kent State University an, und Merle Haggards viel diskutiertes „Okie From Muskogee“ erzählte die Geschichte eines anderen Amerika, das nicht gegen den Vietnamkrieg protestierte und keine LSD-Trips machte.
Aber es waren die MC5 aus Detroit, die den Soundtrack für das harte Vorgehen der Chicagoer Polizei gegen Demonstranten auf dem Parteitag der Demokraten 1968 lieferten – ein Moment, der die Spannungen jenes hitzigen Präsidentschaftswahljahres widerspiegelte.
„Es fühlt sich nicht mehr so an,
als gäbe es einen Mittelweg.“
Und nun, 56 Jahre später, stehen hier in den USA erneut Präsidentschaftswahlen an, und ich frage mich, welche Rolle Musik in den landesweiten Diskussionen eines tief gespaltenen Landes spielt. Alle bis hierher genannten Künstler und Künstlerinnen sind unabhängig von ihrem Standpunkt ein wichtiger Teil der US-amerikanischen Musikgeschichte. Aber kann Musik heute, in einer Zeit der „alternativen Fakten“, immer noch die starke politische Aussagekraft von einst haben und gleichzeitig Brücke sein zwischen Menschen unterschiedlicher Hintergründe?
Heutzutage laufen Kulturschaffende, die sich politisch neutral verhalten, Gefahr, zaghaft zu erscheinen. Und diejenigen, die ihre Meinung offen äußern, könnten die Hälfte ihres Publikums verprellen. Es ist nicht leicht, für sich den richtigen Weg zu finden, besonders für Musikschaffende auf lokaler Ebene. Ich für meinen Teil bin ziemlich ratlos.
Aufgrund dieser Verwirrung habe ich in letzter Zeit mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die die Gräben der US-Livemusik unmittelbar erleben. Einer meiner engsten Freunde und seit zwei Jahrzehnten musikalischer Partner ist der Schlagzeuger Andrew Lauher aus Flagstaff, Arizona. Er ist ein echter Profi, der praktisch jeden Musikstil in fast jedem Club, jedem Theater und jeder Honky-Tonk-Bar im Südwesten der USA gespielt hat. Er hat viel gesehen, und in letzter Zeit ist ihm aufgefallen, dass ein unübersehbarer Keil in die Livemusikszene getrieben wird. „Es fühlt sich nicht mehr so an, als gäbe es einen Mittelweg“, sagt er.
Früher, so Andrew, sei es nicht ungewöhnlich gewesen, Leute mit Cowboyhüten und Stiefeln in der Hippiebar der Stadt zu sehen, oder Jambandfans, die einen Abend in einem örtlichen Countrymusikclub verbrachten. Jetzt scheine sich jeder in seine eigene Ecke zurückgezogen zu haben. Ein Trend, den er seit dem Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 beobachtet. „Die Musik, die man hört, das Auto, das man fährt, die Art und Weise, wie man seine Flagge hisst – all das polarisiert, und die Musik ist ganz vorne mit dabei.“
Wenn er sich für einen Auftritt in eine potenziell nicht sehr gastfreundliche Gegend begebe, tue er sein Bestes, um nicht zu provozieren. Er halte sich meist bedeckt und mache seinen Job. Aber über einigen Livekonzerten schwebe immer noch eine nervöse Ungewissheit. „Ich will keine Spannungen als Teil des kreativen Prozesses“, sagt Andrew. „Kreativität fließt, und sie kann nicht fließen, wenn ich Widerstand verspüre. Dieser Widerstand besteht darin, dass die Leute mich ansehen und fragen: ‚Wen hast du gewählt?‘ Ich spiele Musik, um in einen Flowzustand zu kommen und kreativ zu sein und, ehrlich gesagt, um Freude zu verbreiten. Und wie soll man Freude verbreiten bei dem, was gerade los ist?“
Andrew ist gewiss nicht der einzige Musiker, der die sich vertiefende Spaltung der amerikanischen Kultur wahrnimmt. Der in Phoenix, Arizona, ansässige Singer/Songwriter Nolan McKelvey spürt das ebenfalls. „Im Moment scheinen die Hysterie und Polarisierung zwischen den Menschen stärker zu sein als je zuvor in meinem Leben“, sagt er. Auch Nolan ist ein alter Freund und genauer Beobachter der amerikanischen Gesellschaft und Politik. Er hat hochaktuelle Songs geschrieben, zuletzt über Eric Garner, George Floyd und andere People of Color, die durch die Polizei zu Tode kamen. „Es ist unvermeidlich, dass eine Präsidentschaftswahl, insbesondere diese, einen Einfluss darauf hat, wie man schreibt, worüber man nachdenkt und was man der Welt präsentiert“, erklärt er.
Nolan spielt mit einer Vielzahl anderer Musikschaffender in der Bluegrass- und Folkszene von Phoenix. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen es einfach vermeiden, über Politik zu sprechen. Für ihn sei das in gewissem Sinne ein Segen, da es der Musik erlaube, ein Refugium zu sein. „Wir müssen lernen, wie wir gemeinsam schöne Musik machen können“, sagt er mit einem Lachen und räumt die scheinbare Naivität dieses Gefühls ein.
Aber vielleicht ist es wirklich so einfach. Vielleicht muss die USA nur darauf warten, dass das Parteienfieber abklingt und die Leute aus dem gesamten politischen Spektrum wieder zusammenkommen und sich gegenseitig als Mitmenschen sehen können. Und wenn es jemals ein perfektes Mittel gab, um scheinbar unüberbrückbare Gräben zu überwinden, dann ist es die Musik. Ich persönlich setze darauf. Aber lassen Sie uns darüber noch einmal nach dem 5. November sprechen.
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