Dudelsäcke –Sackpfeifen

Fokus Schottland

13. Januar 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Gemeinhin ist die Dudelsacktradition, die den meisten sich mit Dudelsackmusik nur peripher beschäftigenden Menschen geläufig ist, die schottische. Die, bei der man scheinbar einen Rock tragen muss, damit das Instrument authentisch klingt … Klischees sind widerspenstige Unkräuter!
Text: Thomas Zöller

Der Dudelsack, den man im Film Braveheart sieht („Freiiiiiiheiiiiiiit…“), ist zwar ein schottischer, die Musik die man hört, wird aber auf einem irischen Dudelsack gespielt. Besagter irischer Dudelsack taucht auch immer wieder gerne in Gesprächen auf. So höre ich dann oft, während ich Zeuge eines merkwürdig anmutenden Ententanzes werde: „Der irische Dudelsack ist der, bei dem man mit dem anderen Arm so machen muss …“ – ­denn er wird durch einen Blasebalg mit Luft versorgt anstatt mit Luft, die man hineinpustet.

Wer gewillt ist, die rosarote Brille keltischer Klischees für einen Moment abzulegen – ­um so das Blickfeld zu erweitern –, dem wird gewahr, dass der Dudelsack nicht nur in Schottland oder Irland, sondern in nahezu jedem Land Europas und sogar darüber hinaus beheimatet ist.

Der Planet Erde darf diverse Dudelsacktraditionen sein Eigen nennen. Weithin sind über hundert verschiedene Dudelsackformen weltweit bekannt, die sich durch unterschiedliche Griffweise, Klang, Verzierungstechniken, Aussehen und Lautstärke charakterisieren lassen. Sie haben allesamt ihr eigenes Repertoire und sind eng mit Tänzen und der Sprache der jeweiligen Region (oder des Landes) verbunden.

So spiegelt dieses Instrument in meinen Augen wie kaum ein anderes regionale Identität. Und so ist der Dudelsack für mich, neben der Faszination, die er klanglich auf mich ausübt, auch ein Sinnbild für Zusammenkunft. Zusammenkunft in dem, was uns kulturell als Menschheit seit Jahrhunderten miteinander verbindet.

Wenn man von schottischen Dudelsacktraditionen spricht, muss man zunächst einmal „Schottland“ etwas genauer definieren, denn kulturell gesprochen lässt sich das Land nördlich von England (grob) in drei Regionen einteilen: in einen östlichen und südlichen Teil (in dem verschiedene Dialekte des Scots gesprochen werden), in einen nördlichen und westlichen Teil (in dem die Einflüsse des Schottisch-Gälischen vorherrschend sind) sowie in die Orkney- und die Shetlandinseln, die kulturell weiterhin auch durch die jahrhundertelange Zugehörigkeit zu Norwegen geprägt sind.

Die bereits eingangs erwähnte Dudelsacktradition, die mit dem Tragen von Kilts assoziiert ist, ist die der Great Highland Bagpipe. Sie war ursprünglich mit dem gälischsprachigen Teil Schottlands verbunden, bevor sie vom britischen Militär und diversen anderen Strukturen instrumentalisiert und ihrem natürlichen kulturellen Habitat entzogen wurde.

Dem vorausgegangen waren einige Jahrhunderte, in denen die schottisch-gälische Sprache und das gälische Liedgut eine beachtliche Symbiose mit den Instrumentaltraditionen des schottischen Hochlands eingegangen sind.

Bezogen auf die Great Highland Bagpipe ist hier insbesondere das Genre Ceòl Mòr („Große Musik“) zu benennen, das im Englischen zumeist mit Pibroch betitelt wird, abgeleitet vom schottisch-gälischen Wort pìobaireachd (wörtlich „Dudelsack spielen“). Dieses Genre funktioneller Musik, deren Komponisten einst die Rolle musikalischer Geschichtsschreiber innehatten, besteht aus einem Ùrlar (wörtlich „Boden“, sinngemäß „musikalisches Thema“) gefolgt von einer Vielzahl möglicher Variationen, die von zunehmender technischer Komplexität gekennzeichnet sind. Die behandelten Thematiken reichen von gewonnenen und verlorenen Schlachten über Klagelieder für verstorbene Clanchiefs bis hin zu Stücken, die der Zusammenkunft dienten.

Ursprünglich wurde die Ceòl Mòr – ­und auch Ceòl Beag („Kleine Musik“, zum Beispiel Jigs, Reels, Märsche) –, wie in so vielen Folktraditionen üblich, mündlich überliefert. Die Dudelsackspieler des schottischen Hochlands entwickelten hierzu eine eigene, kodierte Lern- und Lehrsprache, das sogenannte Canntaireachd (wörtlich „singen“). Die größte primäre Quelle für die Ceòl Mòr ist der Campbell Canntaireachd, eine verschriftlichte Form dieser per se mündlichen Tradition. In den Jahren 1797 bis 1819 archivierte Colin Campbell mittels seines Canntaireachd-Systems 168 Stücke. Darin finden sich viele faszinierende Nuancen und Variationen, die Zeugnis musikalischer Vielfalt und stilistischer Freiheit sind, beruhend auf kultureller Tiefe.

Die sich im Anschluss daran einige Dekaden später etablierenden Notensätze und die mit diesen einhergehenden Festlegungen und Standardisierungen der Dudelsack-Wettbewerbsmentalität (Competitions) vermochte die einstige Bedeutsamkeit und Vielfalt dieses musikalischen Genres sowie dessen natürliche Verbundenheit zu anderen Aspekten der Kultur, insbesondere der gälischen Sprache, nicht mehr adäquat widerzuspiegeln.

3
Aufmacher:
Der schottische Komponist und Musiker Allan MacDonald, Schirmherr der Dudelsack-Akademie in Hofheim

Foto: Promo

Zum Autor:

Thomas Zöller ist Leiter der Dudelsack-Akademie in Hofheim am Taunus, der ersten professionellen Dudelsackschule Deutschlands (seit 2005). Zuvor studierte er schottische Musik mit dem Hauptfach Dudelsack in Glasgow. Als Berufsmusiker war und ist er mit Bands wie Estampie, Qntal oder ASP aktiv.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat der Artikel gefallen?

Dieser Artikel ist für Dich kostenlos. Wenn Du unsere Arbeit unterstützenswert findest, magst Du unserem Team vielleicht mit einem einmaligen Betrag oder mit einer regelmäßigen Spende über Steady supporten. Das Wichtigste ist: Danke, dass Ihr uns lest!"

Unterstütze uns einmalig mit Paypal (an unseren Verlag: Fortes Medien GmbH)

Werbung

L