Gerd Schinkel

Der musikalische Journalist

23. September 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Das politische Lied ist ohne ihn kaum denkbar. Seit den Siebzigern demonstriert Gerd Schinkel eindrucksvoll abseits des Rampenlichts, dass Journalismus und Musik eine fruchtbare Symbiose bilden können.

Text: Erik Prochnow

Es ist völlig absurd. Wer sich nur ein wenig mit ihm und seinem musikalischen Werdegang befasst hat, weiß, dass kaum jemand weiter entfernt von Antisemitismus und rechtem Gedankengut ist als Gerd Schinkel. Doch genau diesen Vorwürfen muss sich der Liedermacher bis heute stellen. Und dass nur, weil er auf einer Kundgebung gegen den Abriss des von der Braunkohleindustrie begehrten Ortes Lützerath Ende Oktober 2021 die Wörter „Blut“ und „Gene“ in einem seiner Protestlieder über die Gewalt der Polizei verwendete. „Nach dem Konzert kamen zwei vermummte weibliche Aktivistinnen der Initiative ‚Lützi lebt‘ und warfen mir vor, angeblich wissenschaftlich belegte antisemitische Codes zu benutzen“, erinnert sich Schinkel. Der Vorwurf hat ihn tief getroffen, zumal das Wort schnell die Runde machte und schließlich sogar kolportiert wurde, er singe antisemitische Lieder.

Doch der mittlerweile 74-jährige Musiker lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Als mehrere Versuche scheiterten, den Vorwurf aus der Welt zu schaffen, machte er das, was er immer tut. „Ich habe meine Lieder darüber auf meinem Videokanal maskiert vorgetragen.“ Darin kritisiert er wie immer scharfsinnig und pointiert, dass auch der linke Protest diejenigen ausgrenzen würde, die nicht auf gleicher Wellenlänge seien.

Seit mehr als fünfzig Jahren erhebt der gebürtige Glückstädter seine Stimme für Gerechtigkeit und eine humanere Welt. Obwohl er sich im politischen Spektrum eher links einordnet, zeichnen sich seine fundiert recherchierten Texte durch eine kritische Bobachtungsgabe aus. „Ich war nur einmal in einer Partei, nämlich als es Anfang der Siebziger darum ging, Willy Brandt zu wählen“, blickt Schinkel zurück. „Meine politische Arbeit habe ich nach meinem baldigen Austritt dann ausschließlich in der Musik gesehen.“

Durch meine ­Unabhängigkeit
kann ich es mir erlauben,
deutlich Stellung zu beziehen.

Gerd Schinkel in Lützerath

Foto: Barbara Schnell, verheizte-heimat.de

Sein Output ist unvorstellbar. Erst diesen Sommer hat er sein 104. Album, Schätzenswertes, wie gewohnt selbst mit der Gitarre eingespielt. Sämtliche Aufnahmen vermarktet Schinkel nur auf seiner Website. Das sind mehr als 1.800 eigene Kompositionen plus über 600 Übersetzungen von Songs anderer

Musikschaffender – seine unzähligen Kinderlieder noch gar nicht mitgezählt. Es gibt so gut wie kein Thema, dass Schinkel, der Rechtswissenschaften studierte, nicht umfassend verarbeitet hat. Dabei dominieren seine Kommentierungen politischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Das Spektrum reicht von Klimawandel, dem Stopp des Kohleabbaus und dem Ausstieg aus der Atomkraft über Antikriegssongs und der Gefährdung des Rechtsstaates vor allem durch die rechte Szene bis zum Umgang mit der Coronapandemie und der Flüchtlingskrise.

Sein bekanntestes Lied „Katastropheneinsatzplan“ über die Gefahren der Atomkraft stammt bereits aus dem Jahr 1976. Neben seinen politischen Songs setzt er sich aber auch mal humorvoll, mal ernst mit dem Auf und Ab menschlicher Beziehungen auseinander, er besingt das Pilgern auf dem Jakobsweg, oder er thematisiert mit einem Augenzwinkern seine Diabeteserkrankung sowie seinen Tremor, der ihm inzwischen das Livespielen erschwert.

Schinkel liebt es, weiter unaufhörlich neue Lieder zu schreiben. Im Rentenalter kann er endlich seine beiden Leidenschaften vollständig vereint ausleben: die Musik und den Journalismus. „Ich empfinde mich als musikalischen Journalisten“, sagt der Liedermacher. Auch wenn er durchaus auf dem Sprung zum professionellen Musiker war, sah er darin nie seine Berufung. „Mir war klar, dass ich von der politischen Musik nicht leben konnte, und ich wollte nicht enden wie Phil Ochs, der genau daran zerbrach“, reflektiert Schinkel. Seit der elften Klasse war sein Traumberuf Journalist, und nach dem ersten Juraexamen begann er 1979 ein Volontariat bei einem schwäbischen Lokalblatt, wo er anschließend als Redakteur arbeitete. Von seinem eingeschlagenen Weg konnten ihn auch seine beiden von Knut Kiesewetter produzierten Alben Kein Grund zur Aufregung und Abrechnung abbringen. Musik wurde für Schinkel zunehmend zum Hobby. Zwar spielte er noch auf Kundgebungen, setzte sich musikalisch für die Kriegsdienstverweigerung ein oder brachte das Buch Überlebenslieder mit 60 seiner Songs heraus. Doch im Mittelpunkt stand für ihn der Journalismus.

So wurde er bald Nachrichtenredakteur beim Süddeutschen Rundfunk und wechselte 1985 nach Köln zum WDR. Drei Jahre später wurde er dort zum Parlamentskorrespondenten im Bonner Hörfunkstudio berufen. Nach seiner Rückkehr 1994 in die Kölner Politikredaktion des WDR stieg er bis zum Redaktionsleiter auf, bevor er 2001 auf jegliche Leitungsfunktion verzichtete. „Ich wollte wieder mehr eigene Musik machen“, sagt Schinkel, der das Spielen der Gitarre autodidaktisch erlernte. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt seine beiden Adoptivkinder Anneli und Jannik aus Korea erwachsen und er hatte seit 1999 gemeinsam mit seiner Frau Martina im eigenen Wohnzimmer die erfolgreiche Hauskonzertreihe „Besenkammer“ gestartet. Seit 2013 findet sie unter dem Namen „Jokis Bühne“ in der Kölner Johanneskirche ihre Fortführung.

Seit seinem Ruhestand scheint er noch rastloser in seinem Output. Das politische Lied ist für ihn wichtiger denn je. „Auf Kundgebungen merke ich immer wieder, dass ich mit Musik ein Thema viel emotionaler präsentieren kann als ein Redner“, stellt Schinkel fest. Auch wenn das von den Veranstaltenden oft nicht so verstanden werde, sehe er dennoch bei der Jugend ein Interesse für politische Songs. „Meine Lieder sind vielleicht anachronistisch, aber die junge Generation nutzt für ihre Themen einfach andere Stile wie Hip-Hop oder Rap, die ich nicht verstehe“, so der Liedermacher. Um die Jugend mehr einzubeziehen, tritt Schinkel inzwischen öfter mit der Musikerin Tomke Winterboer auf, mit der er auch Songs gemeinsam schreibt. „Ich versuche so, meine Songs weniger aggressiv zu machen, weil sie oft sofort Gegenreaktionen auslösen.“

An seiner journalistischen Herangehensweise, die gesellschaftlichen Ereignisse mit Musik zu kommentieren, wird er jedoch festhalten. Schinkel: „Durch meine Unabhängigkeit kann ich es mir erlauben, deutlich Stellung zu beziehen.“

gerdschinkel.jimdofree.com

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Aktuelles Album:

Gerd Schinkel

Schätzenswertes (Eigenverlag, 2024)

Aufmacherbild:

Gerd Schinkel

Foto: Guido Boslar

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