Jörg Fröse

Virtuoses Multitalent

30. Dezember 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Nur wenige Session- und Studiomusikschaffende sind vielseitiger einsetzbar als Jörg Fröse aus Ostfriesland. Egal, ob er mit Geige und Mandoline, mit Cister, English Concertina, 5-String-Banjo oder Tin Whistle auf sympathisch zurückhaltende Weise aus der zweiten Reihe seine Kunst beisteuert: Er ist immer ein Gewinn. Ob als Instrumentalist, Tunelieferant, Arrangeur oder Sänger. Fröse brilliert nicht nur auf diesen und weiteren Instrumenten, er kennt sich obendrein bestens in den jeweils zugehörigen Genres aus. Irish Folk, Blues, Ragtime, Bluegrass, Countryrock oder internationale Volkstänze sind ihm genauso geläufig wie die (plattdeutsche) Liedermacherszene. Das alles macht ihn sozusagen zum musikalischen Schweizermesser.
Text: Ulrich Joosten

Jörg Fröse, im Mai 1959 in Bremervörde geboren, wächst mit handgemachter Musik in einer Familie auf, in der alle Mitglieder ein oder mehrere Instrumente spielen. „Nicht virtuos, und meist beschränkt auf drei bis vier Leib- und Magenlieder, die bei Geburtstags- und sonstigen Familienzusammenkünften zum Besten gegeben wurden“, sagt Fröse, „aber wir hatten Spaß daran. Einer der Gründe dafür, dass ich vergleichsweise spät mit dem ernsthaften Musizieren anfing, war, dass Musik zu machen in unserer Sippschaft so normal war. Ich dachte damals, dass das in allen Familien so ist, und hielt es für völlig uncool. Das änderte sich mit siebzehn, als ich feststellte, dass die Mädels auf Jungs standen, die Gitarre spielen können.“

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„Ich sehe mich eher als Komponist, weniger als Songwriter.“

Als Fröse zehn Jahre alt wird, schenkt der Vater ihm eine Mundharmonika und bringt seinem Sohn mit Kinderliedermelodien bei, wie sie funktioniert. „Das machte mich nicht zum ernsthaften Mundharmonikaspieler“, erzählt er. „Aber jedes Mal, wenn mich etwas packte, zum Beispiel Scott Joplins ‚The Entertainer‘, buddelte ich das Teil wieder aus und versuchte, die Melodie hinzukriegen. So erfuhr ich auf praktische Weise etwas über Tonleitern und Intervalle – Gehörbildung sozusagen –, was mir später auf anderen Instrumenten das Lernen nach Gehör und das Improvisieren erleichtert hat.

Das erste Musikinstrument, das der junge Jörg Fröse ernsthaft lernt, ist die Gitarre. „Unser Musiklehrer in der zehnten Klasse versprach allen, die am Schuljahresende ein Instrument spielen könnten, automatisch eine bessere Note. Das führte dazu, dass wir oft mit sechs oder sieben Klampfen zusammensaßen und uns gegenseitig die neuesten Songs, Zupftechniken und Sonstiges beibrachten.“

Zu dieser Zeit spielt er in verschiedenen Bands. Meist gibt es darin zu viele Gitarren. Also wählt Fröse, nachdem er Pete Seeger gehört hat – Überraschung! – ein 5-String-Banjo. Eine „günstige Gelegenheit“ verleitet ihn zur Anschaffung der ersten Geige und zum Einstieg in die Fiddlemusik. Begegnungen und Sessions auf Folkfestivals bringen ihm zudem neue Erkenntnisse, zum Beispiel, dass eine Fiddle die gleiche Saitenstimmung hat wie eine Mandoline. „Die hat aber zusätzlich Bünde“, erklärt er, „was ich damals hilfreich fand beim Lernen von Stücken, die ich ursprünglich auf der Geige spielen wollte.“ Eine weitere Erleuchtung ist, „dass die Melodiesaite der Ziehharmonika nach dem Prinzip der Mundharmonika aufgebaut ist – mit der ich mich ja schon auskannte. Sobald wieder Geld und Gelegenheit da waren, habe ich zugegriffen, wenn Instrumente erhältlich waren, und so gerieten auch Tin Whistle, English Concertina und Cister in mein Arsenal.“

Natürlich, meint Fröse, sei jedes Instrument in der Anfangsphase das Hauptinstrument, dessen Möglichkeiten sich erst einmal erschließen müssen, während man vom Klang der neuesten Anschaffung völlig fasziniert ist. „In meinem Fall kam hinzu, dass ich zu dieser Zeit in vielen unterschiedlichen musikalischen Zusammenhängen. Es gab eine Countryrockgruppe, eine Bluegrassband, ein Duo, das sich an Oldtimern wie Woody Guthrie und Cisco Houston orientierte, ein Ensemble, das mit Dubliners-Songs angefangen hatte und später plattdeutsche Lieder entdeckte, Volkstanzmusik mit und ohne Grenzen (allerdings mit lokalen Vorlieben) in der sich damals neu entwickelnden Mitmachtanzszene.“

Überall ist ein anderes Instrument angesagt, mit dem er sich zumindest zeitweise ernsthafter beschäftigen muss, um darauf das spielen zu können, was gefragt ist. „Ich musste Tanzmelodien lernen, zuerst auf der Mandoline, dann auf der Geige, auf der Ziehharmonika und der Concertina. Für die Bluegrassband galt es, sich Instrumentals erst auf der Gitarre draufzuschaffen – Begleitung und Solos improvisieren – und später Zupfmuster auf dem Banjo auf zwölf Töne pro Sekunde zu bringen. Natürlich nicht alles auf einmal. Das ist ein Prozess, der bis heute anhält und hoffentlich viele Jahre so weitergeht. In manchen Gruppen stehen bestimmte Instrumente eine Weile im Vordergrund, bis jemand dazukommt, der es besser spielt. Ich suche mir dann ein anderes Gerät aus meinem Arsenal und entdecke ein Stück, das ich oft schon jahrelang spiele, auf diese Weise immer wieder neu. Und hoffe, dass sich diese Methode als vorbeugende Maßnahme gegen Altersdemenz und ähnliche Erscheinungen eignet …“

Die Grenzgänger mit Frank Baier, 2007; Jörg Fröse 1. v. l.

Foto: Ingo Nordhofen

1986 tritt Jörg Fröse ein Lehramtsstudium in Lüneburg (mit Musik als erstem Fach) an. Doch der Weg zum Profimusikanten beginnt 1991 mit einem Theaterstück am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, das in den Fünfzigerjahren in Dublin spielt. Der Regisseur sucht dafür „irische“ Musiker. An ihnen herrscht in der Hansestadt zwar kein Mangel, sagt Fröse, „aber die wenigsten waren Profis und aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage, für sechs Wochen Vollzeitproben zur Verfügung zu stehen. Ich war einer der Mucker, der auf diese Bedingungen eingehen konnte, und so bekam ich den Job. Das habe ich dann ein Jahr lang gemacht.“

Während dieser Zeit lernt Fröse auch die Bremer Musikszene kennen. Er trifft auf ein Duo, bestehend aus Michael Zachcial und Klaus Levin, die ihr Bühnenprogramm mit deutschen Auswandererliedern öffentlich ausprobieren. Levin, der hauptsächlich Mandoline spielt, sind aus privaten Gründen mehrtägige Konzertreisen nicht möglich und beschließt, seine Mitarbeit am Projekt zu beenden. Das ist der Moment, in dem Jörg Fröse ins Spiel kommt, zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Von 1991 bis 2013 wirkt er in der (bis heute) überaus erfolgreichen Gruppe Die Grenzgänger mit. Als Duo gewinnt er mit Zachcial 1995 den Deutschen Folkförderpreis beim Tanz- und Folkfest Rudolstadt. Zachcial und Fröse produzieren die Alben Die Schiffe nach Amerika – Emigrantenlieder (1995, ausgezeichnet mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik [PdSK]) und Knüppel aus dem Sack – Die garstigen Gesänge des H. Hoffmann von Fallersleben (2001, ebenfalls PdSK).

Laway, Jörg Fröse v. r.

Foto: Felix Wurm

In seiner Bremer Zeit entwickelt sich Fröse zum gefragten Gastmusiker für Gruppen aus der Region, übernimmt immer wieder Studiojobs und wird später erneut eingeladen, seine Parts live auf der Bühne beizusteuern. Er zieht nach Emden und steigt bei Gerd „Ballou“ Brandts plattdeutscher Band Laway ein. „Danach“, sagt er, „habe ich nahezu ausschließlich für sein Label Artychoke gearbeitet und meine Mitarbeit bei den Grenzgängern fortgesetzt. Damit war ich ausgelastet. Vor allem mit Laway haben wir – bedingt durch unsere Auftragslage in der Theaterszene – fast jedes Jahr ein neues Album aufgenommen.“ Bislang ist Fröse an zehn Alben der Band beteiligt. „Und wenn kein Theaterwerk anstand, kam irgendeiner der mit Ballou verbundenen Künstler – beispielsweise der ostfriesische Liedersänger Jan Cornelius – und fragte, ob ich ihn im Tonstudio unterstützen könnte. Auch mit dem platt- und hochdeutschen Liedermacher Günter Gall war ich mehrere Jahre intensiv auf Tour und habe ihn auf einigen seiner Alben begleitet.“

„Die meiste Zeit bin ich als Arrangeur und Musiker unterwegs.“

Fröse sieht sich als Musiker und Arrangeur, weniger als Songwriter. „Es gab ein paar Versuche, aber als Komponist sehe ich mich schon eher. Ich vertone gern gute Gedichte. Wenn Günter Gall auf einen Text ohne Melodie stieß und ihm selbst dazu nichts einfiel, schob er ihn mir zu. Des Weiteren habe ich einige hundert Tanzmelodien komponiert, und manchmal findet eine davon ihren Weg auf eine Laway-CD. Die meiste Zeit bin ich als Arrangeur und Musiker unterwegs. Wenn man ständig mit neuen Songs und Tunes konfrontiert wird, aus denen man etwas machen soll, bleibt das nicht aus. Und als Musiker muss ich das auf der Bühne umsetzen können. Das ist die Tätigkeit, die ich als Alltagsgeschäft betrachte. Alles andere ist dann eher Urlaub davon.“

Eine längere Fassung des Artikels samt Auswahldiskografie und Videolinks findet sich als f+-Beitrag auf folker.world.

www.laway.de
www.die-grenzgänger.de

 

Auswahldiskografie:

Laway, För all dat – 40 Jahre Friesenfolk (Artychoke, 2019)
Laway & La Kejoca, Winternacht (Artychoke, 2019)
Laway, Brood un Rosen (Artychoke, 2009)
Die Grenzgänger & Frank Baier, 1920 – Lieder Der Märzrevolution (Müller-Lüdenscheidt-Verlag, 2005)
Die Grenzgänger, Knüppel aus dem Sack (Müller-Lüdenscheidt-Verlag, 2001)
Günter Gall, Paradiesäppel (Artyhchoke,1999)
Jan Cornelius, Kandidel (Artychoke, 1996)
Laway, För ’t lieke Deel – Störtebeker 1 (Artychoke, 1996)
Die Grenzgänger, Die Schiffe nach Amerika – Emigrantenlieder (Müller-Lüdenscheidt-Verlag, 1995)

 

Videolinks:

Die Grenzgänger, „1920“, live 2005 (Michael Zachcial und Jörg Fröse): www.youtube.com/watch?v=1Khv50JEujE
Laway, „Dat Störtebeker-Leed/De Seeschlacht van Neeiwark“ (Komposition trad./Jörg Fröse): www.youtube.com/watch?v=OEK4RPb28_0
Frank Baier & Jörg Fröse, „Völker hört die Zentrale“ (Ukulelenduett): www.youtube.com/watch?v=kcLHr8ef2CE
La Kejoca mit Jörg Fröse (Gitarre), „Winternacht“, aus dem Programm „Musik in d’ Lüchterkark“: www.youtube.com/watch?v=xwJmKzXxgVk
Laway-Youtube-Kanal: www.youtube.com/channel/UCX9xWW2kbLueUsxnbINtHvw
Grenzgänger-Youtube-Kanal: www.youtube.com/@Die_Grenzgaenger

 

Aufmacherfoto:

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