In der Zeit der Bürgerrechtsbewegung spielte Musik, speziell Folkmusik, eine herausragende Rolle. Namen wie Joan Baez, Pete Seeger oder auch Bob Dylan sind für immer mit ihrem Engagement und Liedern für Gleichberechtigung, Umweltschutz und Frieden verbunden. Wie ist das heute – ist noch Platz für Selbstgemachtes und Folkmusik? Eine Suche.
Text: Peggy Luck
Klimastreik, 2019, Leipzig. Fridays for Future haben aufgerufen, ich laufe mit Tausenden anderen den Ring entlang für eine klimagerechte Politik, gegen das Artensterben, das uns letztlich selbst treffen kann. Bässe dröhnen aus dem Rave-For-Peace-Wagen, knallige Reden, Schilder, Parolen. Das Antifa-Logo auf der Bühne ist genauso groß wie das der Fridays, der schwarze Block läuft mit. Wir flanieren an einem Grüppchen älterer Menschen vorbei, die genervt und abweisend wirken, und ich denke: Wenn es mir selbst schon zu laut ist hier, zu anstrengend, wie muss diese Demo dann denen vorkommen, die sich vier Jahrzehnte vor uns schon für ähnliche Fragen engagiert haben? Merken sie, dass das etwas mit ihnen zu tun hat? Wo fängt Protest an und hört Jugendkultur auf?
Seitdem umtreibt mich dieses Bedürfnis: Kann Protest nicht auch mit Gemeinschaft, Schönheit, Gesang und Tanz verbunden sein? Kann er Generationen zusammenbringen? Wo ist das „We Shall Overcome“ von heute, das alle mitsingen? Oder ist die selbst gemachte Musik so sehr in der Nische verschwunden, dass sie keine Rolle mehr spielt? Schweigen die Bard:innen angesichts der überfordernden Größe der Krise?
Die kurze Antwort ist: Nein. Die längere: Nein, aber es scheint in einer hyperindividualisierten Gegenwart wenig kulturelle Schnittmengen zu geben, sogar zwischen Menschen, die sich für die gleiche Sache einsetzen.
Das beobachtet auch Erik Stenzel, Liedermacher aus Nürnberg, der die Klimakatastrophe ins Zentrum seines Schreibens und Schaffens gestellt hat. „Die Klimajugend ist divers und nicht in eine Schublade zu stecken. Dennoch verändern sich die Hörgewohnheiten der jüngeren Generation natürlich immer wieder. Da spielt meines Erachtens akustische Musik aktuell keine große Rolle. Der gängige Soundtrack und die Playlists auf Spotify beinhalten eher Rock, Hip-Hop, Pop.“ Das bedeutet für Menschen, die – dazu noch in deutscher Sprache – Inhalte in altmodischer Manier in Liedform fassen, mitunter eine Enttäuschung. „Ich selbst habe vor der Veröffentlichung meines ersten klimapolitischen Liedermacheralbums 2020 gedacht, dass die Fridays mir die Lieder aus den Händen reißen werden, weil ich ja genau ihre Themen anspreche. Das hat sich als krasse Fehleinschätzung herausgestellt. Es sind dann doch eher die Parents oder Oldies for Future, die meine akustische Musik hören. Dabei gibt es aber immer auch Ausnahmen.“
Dota Kehr, eine der bekanntesten engagierten Liedermacherinnenstimmen, sieht die Zeit für akustische Musik im Protest keineswegs vorüber. Seit dem Bildungsstreik Ende der Nullerjahre spielt sie regelmäßig auf Klimastreiks und bei Protesten. „Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr genau. Ich wurde angefragt. Wahrscheinlich, weil ich zum Thema passende Lieder geschrieben hatte.“ Ihr Lied „Keine Zeit“ vom Album Einfach so verloren (2021) gilt als eine der heimlichen Hymnen der Klimabewegung. „Keine Zeit für die Leugner und Fatalisten, | Für die Bequemen, die | Die sich nicht interessieren, obwohl sie es eigentlich müssten“, singt sie und beschreibt die Situation eindringlich: „Hier stehen wir | Mit dem Kummer und mit der Wut | Über sterbende Arten und Meere voll Müll und der Angst vor der kommenden Flut. | Ein begrenzter Planet und unendliches Wachstum, dass das nicht geht, ist doch trivial. | Jetzt Verzicht oder später Vernichtung – | Ist das echt eine schwierige Wahl?“
„Protest braucht neben Wut unbedingt
auch gute Laune und Leichtigkeit.“
Die Rolle von Musik im Klimaengagement schätzt sie eher pragmatisch ein. „Ich glaube, Lieder können sehr verbindend sein und Menschen in ihrem Engagement bestärken. Sie können mit treffenden Metaphern oder einer eingängigen Formulierung die Lage auf den Punkt bringen und dies musikalisch mit einer Emotion verbinden. Natürlich darf auf Demos Musik nicht fehlen für gute Stimmung. Ich glaube, Protest braucht neben der ganzen Wut, die der Motor ist, unbedingt auch gute Laune und Leichtigkeit.“
Ein neues „We Shall Overcome“ wird „Keine Zeit“ wahrscheinlich schon wegen des komplexen, sich nicht einmal im Refrain wiederholenden Textes nicht werden, und auch keines der Lieder von Erik Stenzel. Zum gemeinsamen Musizieren, Singen, Spielen auf Demos gehört nämlich vor allem eines: Einfachheit. Die Sprüche die skandiert werden, sind normalerweise kurz. „What do we want?“ – „Climate Justice!“ – „When do we want it?“ – „Now!“
Dennoch habe ich 2023 begonnen, Menschen im Netzwerk Folk for Future zu versammeln, um genau das zu versuchen: gemeinsame Protestmusik. In diesen beinahe eineinhalb Jahren gab es Aktionen zum Mitsingen, Mitspielen und Tanzen bei drei Klimastreiks, einer Straßenblockade, einer Ausstellungseröffnung, zwei „Salons der Zukunft“ der Scientists for Future, einem Folk-for-Future-Festival und einer Protestflügel-Aktion. Das Netzwerk hat einen Schwerpunkt in Leipzig, wo wir etwa zwei Dutzend musizierende Menschen sind, plus singfreudige Chor- und Omas-for-Future-Peripherie. Inzwischen hat sich in Greifswald ein Folk-for-Future-Ableger gegründet. Die Idee ist einfach und übertragbar, das Problem ist vor allem das fehlende Repertoire.
Inzwischen gibt es Folk-for-Future-Liederbücher, quasi für jede Aktion wieder ein neues, aktualisiertes, mit umgedichteten Kanons wie „Hejo, es ist endlich Zeit / für die Wende, für Gerechtigkeit / gehn wir auf die Straße, alle auf die Straße!“, aber auch ganz alten Liedern in neuem Gewand wie das halbernste „Das Wandern ist des Klimas Schutz“. Durch den Kontakt mit der Leipziger Bal-Folk-Szene finden vereinzelt europäische Tänze ihren Weg ins Buch, etwa der finnische „Emma-Walzer“. Eine Klarinettistin aus dem Netzwerk dichtete dazu einen Text anlässlich der Straßenblockade: „Wenn die Emma tanzt und sich lachend dreht, / dann kommt alles um sie zur Ruh. / Denn die Emma tanzt mitten auf der Chaussee, / und immer mehr kommen dazu. Emma, Emma, oh Emma, / wirbel umher, bis sich was bewegt! / Emma dreht sich auf leichtem Fuß, / während sie doch felsenfest steht.“
Die bisher größte Aktion, der „Protestflügel“, kam durch den Kontakt mit der Letzten Generation zustande. Sarah Kaden von deren Leipziger Ableger war frustriert, dass in der Kultur, speziell der schwer geförderten Hochkultur wie Oper, Theater, der Hochschule für Musik und Theater, das Thema Klimagerechtigkeit und seine Dringlichkeit kaum sichtbar sind. Dagegen entwickelte sie mit – unter anderem – Mitgliedern von Greenpeace die Idee, einen Konzertflügel auf einem Anhänger auf einer Demoroute durch Leipzig zu schieben, symbolisch passend nur mit Muskelkraft bewegt. Und zwar als mahnender Auftakt zu einem Highlight der Hochkultur: der Eröffnung des internationalen Bachfestes. Das Motto der Demo: „Wohltemperiert?! – 2 Grad sind zu viel!“.
Und hier kam die Kraft des generationenübergreifenden Arbeitens von Folk for Future zum Tragen. Wolfram Behmenburg, Künstlername Wolfram II., auf die siebzig Jahre zugehender, liedermachender Ex-Pfarrer, setzte sich mit Sarah Kaden zusammen, und sie schrieben einen Brief an den Intendanten des Bachfestes, der sich kooperationsbereit zeigte – die Demo durfte am Markt zur offiziellen Eröffnung des Bachfestes enden und bekam nach dem Eröffnungskonzert des Babylon Orchestra Zeit, mit den Menschen zu sprechen und zu singen.
Die Protestflügel-Demo selbst versammelte unterschiedlichste musikalische Beiträge, was Behmenburg sehr bewegte. „Wie bereit viele Musiker und Musikerinnen dafür gewesen sind, ein gemeinsames Zeichen zu setzen gegen den herrschenden Zeitgeist der Transformationsverdrängung. Und zwar über Genregrenzen hinweg – der Musikprofessor neben der Hip-Hopperin, die Opera-Metal-Band mit den Bal-Folk-Tänzern, die Liedermacherin neben dem Gewandhausgeiger und dem Gospelchor einer Kirchgemeinde.“
Einer der Höhepunkte der Aktion war für mich und andere allerdings der Moment, als wir mit dem Protestflügel-Anhänger auf die Sachsenbrücke einbogen, wo die Šarka Fiddlers aus Prag im Trio unverstärkt zum Tanz aufspielten. Die Tanzenden aus dem „Fröhlichen Kreis“ (Cercle Circassien) schlossen sich danach zu den Klängen von Mara Menzels „Stay Together“ zu einer langen Hanter-dro-Reihe zusammen. „Stay together / and stay strong“, sangen wir, während wir einander an den Händen hielten und uns gemeinsam bewegten. Ein Gänsehautmoment der Gemeinschaft und Schönheit inmitten einer Zeit, die Meinungen gegeneinander ausspielt. Oder wie Wolfram II. es für die gesamte Aktion formulierte: „Musik überbrückt Gräben. Dann können auf einmal die berüchtigten ‚Klimakleber‘ und leitende Vertreter der Hochkultur gemeinsame Sache machen. Musik kann so die versteinerten Verhältnisse der aktuellen Verdrängungsgesellschaft zum Tanzen bringen.“
Sehr berührt war ich auch, als zwei Mitglieder der Leipziger Omas for Future nach dem ersten Klimastreik mit gemeinsamem Gesang zu mir kamen und mich fragten, ob ich die ererbten Mandolinen ihrer Mütter für Folk for Future haben möchte. „Die sind genau für Typen wie euch!“ So geht generationsübergreifendes Engagement angesichts einer Krise, die keine Generation alleine lösen können wird und die uns alle angeht.
Ein ausführlicher Rückblick auf eineinhalb Jahre Folk for Future erschien Ende Juni bei ostfolk.de.
Zur Autorin:
Peggy Luck (*1990) ist Liedkünstlerin, Forscherin, Klima- und Folk-Aktivistin. Sie singt, denkt, dichtet und wohnt zwischen Frankfurt (Oder) und Leipzig. peggyluck.de
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