Mit einer leuchtend grünen Drehleier von Ratingen über das Internet zur weltweiten Influencerin: Willkommen in der Taverne von Patty Gurdy.
Text: Martin Wimmer
2025 war die Hälfte der Besuchenden der Leipziger Buchmesse unter dreißig Jahre jung. Während der Manga Comic Con prägen die Kostüme der Cosplayfans tagelang das Stadtbild. Unter dem Hashtag #booktok werden Autorinnen und Autoren von Romantasy und Dark Romance zu Superstars auf den Bestsellerlisten. Selbst bei der traditionellen Frankfurter Buchmesse wurde letztes Jahr erstmals eine ganze Hallenebene dem Genre New Adult gewidmet.
Ähnliche Phänomene gibt es auch in der Folkszene. Oft unbemerkt, manchmal mit Distanz beobachtet aus dem traditionellen Lager, etablieren sich Kulturschaffende, die vor allem bei jungen Zielgruppen enormen Erfolg haben. Patty Gurdy ist eine deutsche Drehleierspielerin, Sängerin, Songwriterin und Influencerin mit über fünfzig Millionen Plays auf Spotify, rund fünfhunderttausend Followern auf Youtube und Posts auf Instagram, die mehr als 30.000 Likes bekommen.
Ihre Musik beschreibt sie selbst als poporientiert: „Ich habe vor allem zentraleuropäische Einflüsse, deswegen nenne ich das, was ich mache, der Einfachheit halber gerne ‚Celtic Folk Pop‘, weil die Leute dann ungefähr die Region erkennen. Mittelalter habe ich auf jeden Fall mit drin. Ich mache viele Collaborations, da sind teilweise Metalkünstler dabei. Ich möchte mich nicht selbst in eine Genrebox stecken.“
Zwischen Tradition und „alter Hut“ ist es nur ein schmaler Grat. Ebenso zwischen Innovation und misslungenem Experiment. Verwandte Bands, auch aus dem Umfeld ihrer musikalischen Partner – darunter Teufel (Tanzwut), dArtagnan, Adaya, Alestorm (Schottland), Scardust (Israel), The Snake Charmer (Indien), Marko Hietala (Finnland) – sind oft nur einen sehr kleinen Fehltritt von plumpester chauvinistischer Saufanimation, naivem Kitsch oder gar dumpfem Germanenkult entfernt.
„Patty Gurdy bedeutet für mich vor allem, dass ich ganz viele Freiheiten als Künstlerin haben darf und mich vielleicht ein bisschen von alten Mechaniken der Musikindustrie lösen kann.“
Patty Gurdy ist hier immer eine Spur authentischer und subtiler, persönlicher, weiblicher und intimer, nicht so direkt auf die Zwölf. Man spürt der 1997 in Ratingen als Patricia Büchler geborenen Frau an, dass sie es ernst meint mit ihrer Unabhängigkeit. „Patty Gurdy bedeutet für mich vor allem, dass ich ganz viele Freiheiten als Künstlerin haben darf und mich vielleicht ein bisschen von alten Mechaniken der Musikindustrie lösen kann.“
Doch diesen eigenen Weg geht sie nicht allein. Alben, Touren und soziale Medien sind ihr wichtig als Hebel, um in Kontakt mit den internationalen Fans zu treten. „In meiner Musik geht es viel um Gemeinschaftsgefühl. Meine Fans nennen sich ‚Gurdians‘. Aus guardian, ‚Beschützer‘, und gurdy, ‚Drehleier‘, wurde Gurdians, weil meine Community aufeinander und auf mich aufpasst. Mental Health ist uns wichtig, einander nicht fallen lassen, füreinander da sein, auch in schlechten Zeiten.“
Gemeinschaft – diese Botschaft ist zentral für das Verständnis ihrer Texte wie auch ihrer Selbstinszenierung. „Für mich ist das Bild eines sozialen Treffpunkts hilfreich, den Soziologen ‚Dritter Ort‘ nennen. Darum heißt mein letztes Album auch Tavern. Ich kann nicht alle Menschen persönlich treffen, also habe ich mir diese Taverne als einen idealen Ort vorgestellt, an dem man sich begegnet, Geschichten hört und gemeinsam zu einer besseren Welt beiträgt.“
Dieser fantastische Sehnsuchtsort wird mit einprägsamen visuellen Elementen, Landschaften, Mode, Accessoires aufgeladen: wallende rote Haare, sexy Kostüme, die viel Haut zeigen, ihr giftgrünes Instrument, dazu Drache, Elfe, Feuer, verschneiter Wald, Burg, Holzkahn, heilige Steine, Nebel, raue Meeresküsten. Und auch wenn die Stiefel der obligatorischen Gothic-Noir-Kleidermarke Killstar nicht fehlen, ist ihre Welt doch bunter und freundlicher als vieles in der schwarzen Szene.
Internet und Bühne bilden eine perfekte Plattform, um in diese Welt eintauchen zu können. Die sozialen Medien sieht sie dabei als „ein ganz starkes Werkzeug, mit dem ich exponentiell Wirkung für meine Arbeit erzielen kann“. Für sie ist die Verbindung von Musik mit Bildwelten Normalität. „Man kann Dinge wirklich besser vermitteln, wenn man Menschen mit mehr als nur einem Sinn anspricht. Das fühlt sich für mich ganz natürlich an. Ich habe Grafikdesign studiert, das war für mich schon immer ein Kommunikationsmittel.“
Auch musikalisch liebt Patty Gurdy die Vielfalt: Neben eher an der Tradition orientierten Versionen von „Whiskey In The Jar“ oder „Molly Malone“ und Kooperationen mit Fiddler’s Green oder Subway to Sally fallen überraschende Einflüsse ins Auge: Coverversionen von unter anderem Ed Sheeran, Kate Bush, Gary Moore, Eurythmics und dem in ihrem Sound allgegenwärtigen Mike Oldfield decken gleich mehrere Generationen ab. Zusammengehalten wird das von ihren Hurdy-Gurdys. Sie verehrt spürbar ihr Instrument, setzt es gezielt in Szene in exzellent gefilmten, aufwendigen und humorvollen Videos und Shorts, ohne bewusst Teil der Bordunszene sein zu wollen. „Ich spiele Hurdy-Gurdys von Barnaby Walters, Wolfgang Weichselbaumer oder Walter Simons. Ich liebe es, dass meine Instrumente starke, eigene Klangfarben haben, die sich auf einer Bühne behaupten können.“ Ihre Drehleiern klingen live wie auf Konserve laut und voll, raumfüllend bis ohrenbetäubend, ohne im Mix ihren ebenso druckvollen wie gefühlvollen Gesang in Englisch, Deutsch und nordischen Sprachen zu übertönen.
Tavern, das letzte Album von 2024, ist eine gut produzierte Sammlung meist gut gelaunter Lieder – marktorientierter, kalkulierter, aber auch unterhaltsamer als der Vorgänger Pest & Power, der eher auf dunkle, nachdenkliche Texte setzte. Patty Gurdy präsentiert sich auf Tavern als eine ebenso selbstbewusste wie verletzliche Künstlerin, der man noch viel mehr Reichweite für ihre Musik und Botschaft wünscht. „Ich glaube, mein Antrieb ist, die Welt zu beobachten, zu sehen, wo Konflikte sind, zu lernen, warum sie da sind, und dann zu gucken, wie ich mit meiner Kunst Aufmerksamkeit darauf lenken und Menschen zusammenbringen kann, um mehr Lebensqualität für alle zu erzielen. Dass Menschen einbezogen werden, die sonst nicht gesehen werden.“
Das komplette Interview mit Patty Gurdy findet sich hier.
Aufmacher:
Links:
Aktuelles Album:
Tavern (Eigenverlag, 2024)







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