Ramesh Shotham

Vom Glück des richtigen Timings

13. Dezember 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Ramesh Shotham sitzt mir gegenüber, und ich lausche den reichen Erfahrungen des Mannes, der mir vor fast dreißig Jahren die Spieltechnik der Kanjira vermittelt hat und den ich durch seine feinfühligen und humorvollen Erklärungen der indischen Rhythmik unmittelbar als Gleichgesinnten ins Herz geschlossen habe. Mir wird klar, dass ich nur wenige Menschen kenne, die mit ihrem Leben so zufrieden sind und von sich selbst sagen, dass sie zu 95 Prozent Kolleginnen und Kollegen gehabt haben, zu denen eine Freundschaft entstanden ist. Aber der Reihe nach …
Text: Christoph Schumacher

Geboren 1948 in Madras im Süden Indiens, dem heutigen Chennai, war Ramesh Shotham längst ein erfolgreicher Rockschlagzeuger, als er von Nordindiens weltberühmtem Sitarspieler Ravi Shankar, aber auch von John McLaughlins indischer Band Shakti dazu inspiriert wurde, sich mehr auch auf die reichen musikalischen Traditionen seiner südindischen Heimat zu besinnen. Ramesh studierte in Madras die Tavil, eine in Südindien und Sri Lanka verbreitete Tempelmusiktrommel, und später am Karnataka College of Percussion unter Leitung des Meisters T. A. S. Mani die klassischen Schlaginstrumente Ghatam, Mridangam, Kanjira und Morsing, von denen letzteres der bei uns bekannten Maultrommel entspricht.

„Ich habe zu 95 Prozent Kolleginnen und Kollegen gehabt, zu denen eine Freundschaft entstanden ist.“

Sein Studium der klassischen südindischen Musik in Bangalore war für den weltoffenen Musiker ebenso ein Wendepunkt in seinem Leben wie die Begegnung mit Deutschlands erster Weltmusikgruppe, Embryo, Ende der Siebzigerjahre, die schließlich dazu führte, dass er Anfang der Achtziger in der deutschen Musikszene Fuß fasste und sich schließlich in Nordrhein-Westfalen niederließ. Als er noch neu in Deutschland war, musste er seine Instrumente jeweils vorstellen. „Niemand wusste, was eine Tavil oder eine Gatham ist“, erzählt mir Ramesh und merkt an, wie wichtig die „Szene“ damals war. So bekam er zum Beispiel die Empfehlung für Rabih Abou-Khalil über Christian Burchard, den Gründer von Embryo. Ein Türöffner für die Jazzszene in Deutschland war auch Charlie Mariano, den er schon Mitte der Siebziger kennengelernt hatte.

Ramesh Shotham

Foto: Jürgen Bindrim

Ursprünglich war das Ziel seiner Wünsche New York gewesen, auch weil sein Bruder dort am Berkeley College studierte. Dass er dann doch in Deutschland blieb, hing nicht nur mit der Attraktivität zusammen, in der hiesigen Szene als südindischer Musiker gut beschäftigt zu werden, sondern auch damit, dass er hier seine Frau kennenlernte. Nach einer dreimonatigen Tournee mit der Indo-Jazz-Fusion-Band Jazz Yatra Sextett durch Europa, die in Deutschland auch zu Aufnahmesessions mit ausschließlich Rameshs Kompositionen führte, erschien 1982 auf dem Kölner Label Eigelstein das Album Sangam. Und Ramesh bekam als einziger professioneller Vertreter südindischer Percussion Einladungen aus ganz Europa, wo er auf vielen Festivals spielte und so auch zur Verbreitung der neuen „Weltmusik“ beitrug.

Diese begann in Europa populär zu werden, sodass der bis heute unglaublich umtriebige Percussionist und Schlagzeuger nach eigenem Bekunden gar nicht mehr nach New York musste. War er in den folgenden Jahren noch mehrheitlich in Bands anderer Musiker und Musikerinnen unterwegs, so suchte er parallel immer nach einem eigenen Stil. Ende der Achtziger entstanden daraus erste internationale Projekte, zum Beispiel Bhavani mit den armenischen Musikern Arto Tunçboyacıyan und Ara Dinkjian sowie eben Charlie Mariano. Der amerikanische Saxofonist, der seit 1986 in Köln lebte, versuchte auch Ramesh das Unterrichten als Dozent im entstehenden Jazzdepartment der dortigen Musikhochschule schmackhaft zu machen. Da zu diesem Zeitpunkt aber schon eine rege Tourneetätigkeit mit dem Jazzflötisten Chris Hinze vereinbart war, mit über dreißig Konzerten allein in den Niederlanden, erteilte Ramesh allen Unterrichtsanfragen bis auf weiteres eine Absage.

Ramesh Shotham

Foto: Niclas Weber

„1994“, erinnert sich Ramesh, „habe ich das erste Mal mit einer Band im Stadtgarten in Köln gespielt und damit auch hier eine neue Sparte im Jazz eröffnet. Und natürlich“, setzt er nach, „habe ich es nie bereut, den Hochschuljob nicht angenommen zu haben.“ Vielleicht auch weil er mittlerweile mit „GlobalTala“ sein eigenes Rhythmus- und Groovekonzept mit Einführung in das indische Konnakol in Workshops vermittelte. Er wolle keines seiner Konzerte, keine Begegnung mit anderen Musikschaffenden, aus denen nicht selten enge Freundschaften entstanden sind, und keine Tournee durch ein fremdes Land missen.

Immer wieder betont Ramesh, wie sein Engagement als Begleitmusiker auch für seine eigenen Projekte inspirierend wirkte. Zudem ist er in den meisten Bands prägendes Mitglied und übernimmt dank seiner Erfahrung auch Aufgaben und Verantwortung in den Bereichen Organisation und Technik, fungiert als Bandleader und Musikvermittler. Als die WDR Big Band ein Projekt des Musikers und Komponisten Mike Herting realisierte, war Ramesh nicht nur der Percussionist. Er stellte die Verbindung zum Karnataka College of Percussion in Bangalore her und analysierte gemeinsam mit den Musikern die Rhythmen. Sogar im Kölner Karneval wurde Ramesh Shotham schon engagiert, nämlich beim alternativen Humba Efau, der auf seiner 1994 erschienenen Compilation Humba 1 – Fastelovend-Roots-Project auch viele Kölner Jazzmusikschaffende versammelte.

Auch dieses Treffen blieb für Ramesh nicht ohne Folgen, kam er doch mit den Bläsern der Kölner Saxophon Mafia zusammen. Auf etwa dreihundert Alben hat er bisher die südindische Musik mit Jazz und anderen Musikkulturen zusammengebracht. Und wenn er sogar beim Kölschrocker und Liedermacher Wolfgang Niedecken im Rahmen einer WDR-Big-Band-Produktion auf der Musikerliste auftaucht, dann scheint es für Ramesh Shotham keine Genregrenzen mehr zu geben. Allerdings gibt er zu, dass er selten für sogenannte kommerzielle Jobs gebucht wird. Im Großen und Ganzen hat er nach eigenem Bekunden Glück gehabt und durfte sich im kreativen Bereich der Jazzszene einbringen. Letztendlich sei ein Job ein Job und da käme es auch schon mal vor, dass auf einer Durststrecke von der „Hand in den Mund“ gelebt werde, aber auf keinen Fall würde er mit einem Blick zurück eine Entscheidung anders treffen. Was für ein Timing!

www.shotham.org

 

Anspieltipps:

Jarry Singla Eastern Flowers, Tendu (JazzSick, 2020)
Ramesh Shotham Madras Special, Here It Is (Eigenverlag, 2018)
WDR Big Band Köln/Charlie Mariano/Karnataka College of Percussion/Mike Herting, Sketches Of Bangalore (Permission Music Productions, 2001)
Siebert/Frey/Shotham, Tri (Araucaria Music, 1999)
Schäl Sick Brass Band, Majnoun (Network Medien, 1996)
Steve Coleman and The Mystic Rhythm Society, Myths, Mods And Means (BMG, 1995)
Karnataka College of Percussion, Kiran (Edition Naam, 1994)
Bhavani, Open Hand (Keytone Records,1993)
Rabih Abou Khalil, Blue Camel (Enja, 1992)

 

Audiolink:

„Meister der südindischen Percussion im Jazz: Ramesh Shotham“, Beitrag vom 11.5.2023 bei WDR 3 Jazz, Moderation Antje Hollunder:
www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-jazz/der-wahre-weltmusiker-der-perkussionist-ramesh-shotham-100.html

 

Aufmacherfoto:

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