Vimma

Hoffnungsvolle Dystopien

12. Juni 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Sie sind jung, stark und aktiv – oder aktivistisch? –, die finnische Band Vimma, die mitreißende potenzielle Hymnen für die Umweltbewegung schreibt. Ihr zweites Album heißt Tornadon Silmässä – übersetzt aus dem Finnischen: „Im Auge des Tornados“. Was sowohl inhaltlich als auch klanglich nachvollziehbar ist. Die Texte handeln davon, wie wir unsere Welt zugrunde richten und wie wir mit unseren möglicherweise letzten Jahren auf diesem Planeten umgehen können. Statt aber mit Verhaltensappellen zu nerven, malen sie ein ebenso poetisches wie realistisches Bild von dem, was uns bevorsteht. Vimma schaffen hoffnungsvolle Dystopien, musikalisch vermittelt durch eine einzigartige und theatralische Mischung verschiedener Genres.
Text: Imke Staats

Neben diversen Varianten des Rock sind Folkanteile zu hören, Jazz, Hip-Hop, Kammermusik, und es gibt elektronische Elemente wie Samples aller Art, dazu Gesang und Spoken Word, meist auf Finnisch. Auf Tornadon Silmässa findet sich auch je eine deutsch- und eine englischsprachige Version eines Songs, der wie ein Jahrmarkt des Untergangs klingt: „Apokalypse“. Es ist der Band daran gelegen, dass ihre Botschaft von möglichst vielen verstanden wird. Ihr Stil wird gemeinhin unter Progressive Rock eingeordnet, die Band selbst bezeichnet ihre Musik als Progressive Folk. Progressiv sind sie in ihrer Performance auf jeden Fall.

Vimma gibt es seit 2016, auch wenn die Bandmitglieder sich untereinander schon länger kennen, teilweise noch aus der Schule, aus Partykellern, aus dem Studium. Zusammen Musik zu machen, lag auf der Hand, zumal einige von ihnen das Fach studiert haben oder noch studieren. Geiger Pessi Jouste zum Beispiel wollte sein Instrument 2014 zu Rockmusik spielen, und so fand man sich unter Studierenden und Konservatoriumsalumni zu einer experimentellen Instrumentalband zusammen.

Den entscheidenden Ausschlag für Vimmas Mission aber gab der Schock über den Weltklimaratsbericht 2017, welcher den ruinierten Zustand unseres Planeten anhand Eisschmelze, Überschwemmungen und Dürren aufzeigte. Daraufhin fasste man gemeinsam den Entschluss, mit den eigenen Mitteln etwas zu tun. Pessi Jouste und Sängerin Eeva Rajakangas, die überwiegend für die Texte verantwortlich sind, verstehen sich nicht nur auf eine lyrische Darstellung unseres Weltdilemmas, sondern engagieren sich auch bei der Umweltbewegung Elokapina (Extinction Rebellion Finland).

„Wir wollen den Fokus auf das große Ganze richten.“

So gaben sie ihren Sorgen Ausdruck in wunderschönen Kompositionen zwischen Jazzfusion und Weltmusik und brachten 2019 ihr Debütalbum Meri Ja Avaruus („Meer und Raum“) beim Label Eclipse Music in Tampere heraus. Das – und ihre Auftritte – kamen beim Publikum und der Kritik gut an, und im darauffolgenden Jahr wurden sie mit dem Preis als beste Newcomer des Jahres bei Etnogaala, den finnischen Awards für Folk, Welt- und Rootsmusik, geehrt. 2023 waren sie bei der heimischen Emma-Gala für den Critics’ Choice nominiert.
Moralisch stehen Vimma nicht mit erhobenem Zeigefinger da. „Unsere Songs sagen, dass wir alle zusammen Idioten sind – wir wollen unsere Band nicht moralisch verurteilen oder Greenwashing betreiben, indem wir uns auf Bandentscheidungen oder die einzelner Bandmitglieder und damit auf Einzelpersonen konzentrieren. Wir wollen den Fokus auf das große Ganze richten: das System, das uns, das Leben und den Planeten zerstört,“ sagen Jouste und Rajakangas.

Vimma

Fotos: Pedro Bergamo

Auch der Schaffensprozess ist ein gemeinsamer, der neben der kompletten Band auch das Publikum und die Menschen auf der Straße miteinbezieht. „Wir alle sind beteiligt, auch die Menschen um uns herum. Die positivsten Rückmeldungen geben die Leute oft zu Liedtexten, die wir von Protestschildern, Bannern, aus Büchern und so weiter gestohlen haben. Es handelt sich also um eine Art kollektiven Schaffensprozess. Wir glauben, dass unsere Musik ein natürliches Ergebnis der Kulturen ist, in denen wir leben und die alle gleichzeitig existieren: die kapitalistische Zerstörungsmaschine, aber auch die Protestkulturen, die Hoffnung schaffen, indem sie aktiv bleiben, sowie die verschiedenen Mikrokulturen, aus denen jedes Bandmitglied stammt.“ Abgesehen von ihrem großen, übergreifenden Thema lassen sich Vimma auch inspirieren von Gefühlen wie Liebe, Wut und Furcht, dem Sonnenlicht, Liedern mit Appellcharakter und der japanischen Popband King Gnu.

Die aktuell sieben (vormals neun) Bandmitglieder sind zumeist in ihren Zwanzigern und bringen verschiedene musikalische Prägungen zwischen Klassik, Hip-Hop und Heavy Metal mit in die Gruppe. Pessi Jouste (Komposition, Geige und Text) hat samische Wurzeln; Sängerin und Texterin Eeva Rajakangas arbeitet zusätzlich beim Film; Pianistin Aino Kallio studiert noch am Helsinki Pop & Jazz Conservatory – wie Violinist Roope Jokinen und Schlagzeuger Aapo Lankinen stammen sie alle aus Tampere. Kalle Outila (Gitarre, Mandoline, Bouzouki) ist aus Helsinki und Bassist Santeri Kettu hat karelische Wurzeln. Arrangiert hat die Lieder auf Tornadon Silmässa der Produzent, Tonmeister und Musiker Janne Oinas.

Vimma spielen viel live, allerdings sind sie bislang fast nur im skandinavischen Raum und im Baltikum unterwegs und bekannt, hatten aber auch schon Auftritte in Spanien und in den Niederlanden. Sie haben das Potenzial, Hymnen für die globale Klimabewegung zu kreieren, vermeiden jedoch konsequenterweise Reisen mit dem Flugzeug, prangern aber zu Recht an, dass Fahrten über Land weit teurer sind als Flüge. Während der Treibstoff für Reisebusse mit Steuern belegt wird, ist Flugbenzin weitgehend steuerfrei.

Zurzeit arbeiten Vimma an einem dritten Album. Dafür haben sie bereits Stücke fertig wie das „heiße“ neue Lied „Kapina On Kuumaa“ („Rebellion ist heiß“). Das möchten sie so schnell wie möglich veröffentlichen, denn im Juni werden sie sich an der größten Umweltprotestaktion aller Zeiten in Finnland beteiligen. Für das gesamte Album wünschen sie sich, dass es Anfang 2025 herauskommt. Es wird viele tanzbare Songs mit Folkhooks (im Stil von „Antrasiitille“ auf Tornadon Silmässa) enthalten.

vimmaband.com

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Aktuelles Album:

Vimma

Tornadon Silmässa (Nordic Notes, 2023)

Aufmacherbild:

Vimma

Foto: Pedro Bergamo

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