Vom Flüstern der Heimat

Deutschfolk als Rechtsruckprävention?

26. Juli 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Das deutsche Volkslied trägt, wie das Land, ein schweres Erbe. Kann es, wo es dennoch gepflegt wird, zu einer heilsamen und vorsichtigen Heimatverbundenheit beitragen, die weniger anfällig macht für nationalistische Radikalisierung?
Text: Peggy Luck

Wir Menschen haben eine Heimat, ob wir wollen oder nicht. Dazu gehören die Landschaften, die uns geprägt haben, und – im Personalausweis unweigerlich festgeschrieben – die Identifikation als Deutsche, folglich auch mit der deutschen Geschichte.

Ich wurde in der DDR gezeugt, aber in der BRD geboren, hinein in ein kulturell uninteressiertes Elternhaus in einem sehr kleinen Dorf in Thüringen. Zusammenfassend lässt sich etwa sagen: Wir hatten ja nüscht. Die Liste dessen, was es im Dorf nicht – oder nicht mehr – gab, ist lang: Kino oder Theater, Jugendklub, Chöre, Sportzentrum, sichtbare alternative Lebensformen, einen Bahnhof (die Linie wurde allerdings in einen sehr schönen Radweg umgebaut). Gemeinsamen Gesang gab es nur bei den beiden großen „Kir“ – Kirche und Kirmes. Wobei die Anteile an Inbrunst und Freiwilligkeit stark schwankten, bei Zweiterem auch gerne die Singenden selbst. Nach dem Weggang der engagierten Pfarrersfrau war der Kinderchor Geschichte, in dem ich musikalisch aufgewachsen bin. Inzwischen ist auch die Eisdiele geschlossen, der Trachtenverein aufgelöst. Beharrlich hält eine letzte Dorfgaststätte durch. Und der Dönerladen. Mit Rainald Grebe gefragt: „Was soll man auch machen mit 17, 18 in Südthüringen?“

In Familien wird kaum mehr gemeinsam musiziert, die Zeiten, in denen in den Stuben selbstverständlich Gitarren, Mandolinen oder Zithern hingen (respektive lagen), wurden von Radio, TV und Youtube weggeschwemmt. Das schulisch gezähmte Volkslied klammert alles Aufsässige, Lebensfrohe oder Zotige aus – schon im Folkrevival der Siebziger, Achtziger wurde das angeprangert und gegengesteuert. Die Popmusik produziert eine käufliche Welle nach der anderen, von der kaum eine geeignet ist, Generationen über das allen Gemeinsame, Zeitlose zu verbinden – Liebe, Abschied, Tod, Jahreszeiten, Feste, Arbeitskämpfe.

Heute sehe ich: Ich bin in einem der Landstriche aufgewachsen, den man kulturell hat ausbluten lassen. Individueller Medienkonsum ersetzt, was es vor meiner Zeit an Dorfgemeinschaft vielleicht mal gab. Damals, ohne diesen Überblick, waren wir einfach wütend und frustriert, insbesondere in den Lebensjahren, in denen man sich nicht ständig von (Groß-)Eltern zu Feiern oder Veranstaltungen kutschieren lassen will. Ich erinnere mich an eine über allem schwebende bleierne Endzeitstimmung, die vor Fridays for Future noch keine Erklärung, keine Bewegung hatte. Bei mir und anderen im Dorf äußerte sich das in einer intensiven Hingezogenheit zu den extremeren Spielarten des Heavy Metal: Über die am Fernsehen auf Kassette aufgenommenen Songs von Papa Roach oder Metallica war es vor diesem Hintergrund ein kurzer Weg zu den norwegischen Darkthrone, Burzum und anschließend zu dem NSBM (National Socialist Black Metal) zugerechneten rechtslastigen Bands wie Absurd, Totenburg oder Rechtsrockbands wie Landser oder Sleipnir. Zwischen dreizehn und siebzehn war ich in fragwürdiger Gesellschaft auf sehr fragwürdigen Veranstaltungen unterwegs. Konzerte, aber auch Vorträge und Demonstrationen. Die Projektion von Frust auf Minderheiten fällt leichter, wenn es von diesen vor Ort wenige gibt.

Meine Jugend am rechten Rand der Metalszene endete sehr plötzlich – mit einem Folkkonzert. Über die Mutter einer Freundin, die einige DDR-Platten besaß, gelangte ich zur Abschiedstour der Ostfolkband Wacholder. Dieses Ereignis verschob mein Koordinatensystem. Scarlett O’, Matthias Kießling und Jörg Kokott spielten eine Musik, die ich nicht kannte: deutschsprachig, traditionell, poetisch. Kritisch. Virtuos. Am musikalischen Miteinander merkte ich – ohne irgendetwas über den Ostfolk zu wissen –, dass sie die Lieder nicht nur spielten, sondern mit ihnen gelebt hatten. An diesem Abend begriff ich schlagartig, dass man „Heimat“ nicht grölen muss, sondern es auch flüstern kann. Dass es eine Frage sein darf. Es gibt einen Weg zwischen Musikantenstadl, der Rechtsrockversion von „Wer jetzig Zeiten leben will“ und dem verschämten, verpflichteten Volksliedsingen im Musikunterricht. Dieser Weg öffnete in mir Türen, denn er führte directement in musikalische Bewegungen, mit denen ich mich sehr wohl identifizieren konnte – im Gegensatz zu so ziemlich allem, was wir in der Schule über Deutschland gelernt hatten (Nazi-Großeltern, Stasi-Eltern).

Nebenbei war es das erste Mal, dass ich bei öffentlich agierenden Menschen eine Art Ostbewusstsein wahrnahm, eine kritische Haltung zur Wende und die Bereitschaft, nicht restlos alles wegzuwerfen und zu verteufeln, was die DDR ausgemacht hatte.

Was dann passierte? Ich grub im Netz und in der Stadtbibliothek alles aus, was ich zu Folk und Liedermachermusik finden konnte, von Wader und Wecker über Zupfgeigenhansel zu Wenzel, Gundermann und Folkländer, begann Gitarre und Mandoline zu spielen, Texte und Lieder zu schreiben. Ich entschied mich gegen ein Ingenieurstudium in der Kleinstadt, ging stattdessen nach Berlin. Dort studierte ich alle möglichen Geisteswissenschaften, kam jedoch in größtstädtischen Hörsälen dem Geist nicht recht auf die Spur, der mich damals ergriffen hatte: Es war der Folk.

Provokant gefragt: Hält es Menschen davon ab, AfD zu wählen, wenn sie zweimal monatlich gemeinsam das „Bürgerlied“ oder „Wenn alle Brünnlein fließen“ singen? Vielleicht, vielleicht nicht. Ich habe aber erfahren, dass der musikalisch-muttersprachlichen Folktradition eine gemeinschaftsbildende Kraft innewohnt, und diese Kraft sollte man ganz unbedingt nicht jenen überlassen, die damit nationalistisches Schindluder treiben. Tim Liebert von der DeutschFolk-Initiative formulierte es sehr treffend: „Man kann offener für das Fremde sein, wenn man das Eigene kennen- und schätzen gelernt hat.“ Es gilt, die alten Lieder schöner, sanfter, inbrünstiger und informierter zu singen als jene, die damit einen andere „Völker“ ausschließenden Nationalstolz heraufbeschwören.

Peggy Luck (*1990) ist Liedermacherin und Folk- und Klimavernetzerin (Profolk, DeutschFolk-Initiative, AG Ostfolk, Zukunftsbilder). Sie wohnt, lebt, musiziert und denkt in Leipzig. donotloiter.net

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