In puncto Klimawandel gibt es für die Musikbranche eine gute und eine schlechte Nachricht. Auf der einen Seite verursacht sie nur einen geringen Anteil an den CO2-Emissionen. Auf der anderen Seite muss sie handeln, weil sie großen Vorbildcharakter hat. Eine Branche im nachhaltigen Wandel.
Text: Erik Prochnow
Neil Young hat es bereits 2016 auf den Punkt gebracht: „Respektiert Mutter Erde und ihre Großzügigkeit oder ihr verkauft die Zukunft unserer Kinder“, mahnt der kanadische Singer/Songwriter in seinem Lied „Mother Earth“. Sieben Jahre sind seitdem vergangenen, und trotz der Fridays-for-Future- oder Letzte-Generation-Bewegungen steht die Mehrheit der Bevölkerung sowie der Politik dem Thema Nachhaltigkeit noch immer zögerlich gegenüber. „Es bleibt aber nur kurze Zeit, um noch etwas zu tun“, drängt Ralf Weiß, Vorsitzender des Netzwerks Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K Deutschland e. V.) und Koordinator der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Initiative Culture4Climate.
Durch das Ziel der Bundesregierung, die Klimaneutralität bereits bis 2045 zu erreichen, ist auch die Musikwirtschaft unter Handlungsdruck. Noch steckt der Branche die Erschütterung durch die Coronapandemie in den Knochen, da rücken die Klimaherausforderungen wieder in den Vordergrund. „Die Musikwirtschaft ist aber nicht in der Schmuddelecke, die großen CO2-Emittenten sind ganz andere“, sagt Weiß. Laut Klimabericht umfasst das die Sektoren der Energieerzeugung (32 Prozent), der Industrie (24 Prozent), des Verkehrs (19 Prozent) und des Gebäudebereichs (15 Prozent). Während etwa die Branchen Automobil, Maschinenbau oder Chemie zwischen 200 und 450 Milliarden Euro pro Jahr umsetzen, erwirtschaften die rund 84.000 Beschäftigten des Musiksektors laut des Monitoringberichts Kultur- und Kreativwirtschaft 2022 der Bundesregierung gerade einmal 6,1 Milliarden. Dabei macht der bis zur Pandemie größte Bereich der selbständigen Musikschaffenden sowie Konzert- und Theaterveranstaltenden nur noch etwa 20 Prozent aus. Den meisten Umsatz in der Branche erzielen mit 36 Prozent die Hersteller und Händler von Musikinstrumenten. Danach folgen die Musikverlage sowie der Handel mit Tonträgern, die rund 30 Prozent ausmachen. Den verbleibenden Umsatz teilen sich die Dienstleister wie etwa Musikschulen, Ensembles und Tonstudios. Aufgrund der geringen Bedeutung für die allgemeine Treibhausgasemission hat die Bundesregierung daher keine Klimaziele für die Branche festgelegt. Dennoch spielt die Musikwirtschaft eine wichtige Rolle, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. „Die Kultur generell, aber gerade die Musik und deren Künstler bieten ein großes Potenzial, den Kulturwandel zu forcieren, weil sie die Menschen unmittelbar erreichen, vor allem dort, wo es Alternativbewegungen und grüne Lebensweisen gibt“, bekräftigt Experte Weiß.
Die Branche sollte daher Vorreiter sein und sich mit ihrem Verhalten an die Spitze der Nachhaltigkeitsbewegung setzen. „Gerade auch Veranstalter sollten bei dem Thema vorneweggehen, denn wenn das Bewusstsein für die Dringlichkeit nachhaltiger Maßnahmen da ist, öffnen sich auch Fördertöpfe und es fließen notwendige Gelder vom Staat“, fordert Weiß, der mit dem 2N2K-Netzwerk und der Culture4Climate-Initiative Verbände, Einrichtungen und Kulturtreibende zu Selbstverpflichtungen bewegen will, indem sie eine von der Bundesregierung verfasste Deklaration unterzeichnen. Diese Nachhaltigkeitsdeklaration konkretisiert den von der Agenda 2030 der Vereinten Nationen festgelegten siebzehn Punkte umfassenden Klimarahmen für den Kunst- und Kulturbereich. Klimaschutz ist dabei nur eines der fünf angestrebten Ziele. Die anderen lauten „nachhaltige Städte und Kommunen“, „nachhaltige Produktion und verantwortungsvoller Konsum“, „hochwertige Bildung“ sowie „Partnerschaften“.
Ralf Weiß
Foto: Promo
Wie sehr die Musikbranche einen entscheidenden Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann, zeigt die aktuelle Studie „Plant a Seeed“ der Berliner Nachhaltigkeitsberatung The Changency in Zusammenarbeit mit der Berliner Hochschule für Technik. Dabei wurde im August 2022 die Klimabilanz von fünf ausverkauften Konzerten der populären Berliner Band Seeed in der 17.000 Zuschauende fassenden Parkbühne Wuhlheide untersucht. Ziel war es, den ökologischen Fußabdruck der Veranstaltungen zu ermitteln. Das Konzept geht auf den Schweizer Ingenieur Mathis Wackernagel sowie den kanadischen Ökologen William E. Rees zurück und berechnet die biologisch notwendige Fläche, die erforderlich ist, um den Lebensstandard eines Menschen dauerhaft aufrechtzuerhalten. Da die Messung schwierig ist, konzentrierte man sich auch in der vorliegenden Studie vor allem auf den CO2-Ausstoß der Veranstaltungen. „Wir wissen, dass ein Konzert nicht nachhaltig ist und viel Energie verbraucht. Wir können daher nur versuchen, herauszufinden, wie es etwas nachhaltiger werden kann“, sagt Professor Thomas Sakschewski, wissenschaftlicher Leiter der Studie. So verursachte ein Seeed-Konzert allein etwas über 1.003 Tonnen CO2, so viel wie 19 Menschen in Deutschland im gesamten Jahr produzieren. Auch der Wasserverbrauch jeder der fünf Veranstaltungen entsprach mit 73.350 Litern dem von 10 Personen in einem Jahr.
Als die drei Haupthandlungsfelder in Sachen Nachhaltigkeit identifizierte die Studie die Themen Mobilität, Energie und Gastronomie. „Rund 88 Prozent der CO2-Emissionen sind durch die An- und Abreise der Fans entstanden“, sagt Sarah Lüngen, eine der beiden Gründerinnen von The Changency. Die Mobilität ist bei allen Konzerten und Festivals sowie der Branche generell nicht nur das Hauptproblem, weil viele Besuchende von weit her anreisen oder es oft nur geringe ÖPNV-Angebote gibt. Auch der Transport per Flugzeug, Lastwagen oder Bus von Musikschaffenden, Equipment, Material für den Bühnenaufbau oder Essen trägt maßgeblich zum CO2-Ausstoß bei. Der zweite große Nachhaltigkeitshebel ist die Energieversorgung. Vor allem bei Festivals wird Strom häufig mit Dieselgeneratoren erzeugt, was hohe Emissionen verursacht. Wo der Bezug von Ökostrom nicht möglich ist – der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien beträgt derzeit nur 40 Prozent –, versuchen Bands deshalb innovative Wege zu gehen. Die britischen Superstars von Coldplay zum Beispiel arbeiten mit der Rotterdamer Firma Energy Floors zusammen. Das Team um Gründer Michel Smit hat auf dem Prinzip des Fahrraddynamos einen Boden entwickelt, der Tanzen unmittelbar in Energie für die Veranstaltung umwandelt.
Mike Keller
Foto: Sebastian Madej
Viel tun lässt sich darüber hinaus beim Catering. Die industrielle Tierhaltung vor allem für den Verzehr von Fleisch verursacht allein 14,5 Prozent der globalen Treibhausgase. Zudem benötigt die Produktion von einem Kilogramm Fleisch 15.000 Liter Wasser. Diese zunehmende kostbarer werdende Ressource steht deshalb auch im Fokus zweier für das Thema CO2-Ausstoß nicht so bedeutender Handlungsfelder, dem Abfall und dem Merchandising. „Eine Kippe kann bis zu 60 Liter Grundwasser verseuchen“, sagt Beraterin Lüngen. Auch die Produktion von T-Shirts verschlingt Unmengen von Wasser. Für den Experten Weiß ist darüber hinaus die Gebäudesanierung ein wesentlicher Baustein im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Da die meisten Veranstaltenden aber nicht Eigentümer der Konzerthäuser sind, kann die Branche hier nur begrenzt aktiv werden.
„Bevor man allerdings loslegt, sollte zuallererst eine Klimabilanz erstellt werden, um überhaupt die Dimension des Handlungsbedarfs zu kennen“, rät Weiß. Für Mike Keller war das eine Selbstverständlichkeit. Der Geschäftsführer der Hamburger Markthalle und Beauftragte für Nachhaltigkeit des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft lässt regelmäßig eine Klimabilanz erstellen. „Neben der Mobilität haben wir die Gastronomie als größten CO2-Verursacher identifiziert“, sagt der Manager. Mit seinem Restaurantpächter hat er daher auch vegane und vegetarische Angebote vereinbart. „Doch letztlich ist es auch eine wirtschaftliche Frage und hängt davon ab, was die Besucher gerne verzehren.“ Preise über 15 Euro für einen Snack sind daher genauso wenig möglich wie der Verzicht auf Fleisch. Daneben versucht Keller jedoch alles umzusetzen, was möglich ist. Der Bezug von Ökostrom gehört genauso dazu wie eine klare Mülltrennung, ein Mehrwegsystem sowie die Organisation eines ressourcenschonenden Büros. Da die Markthalle direkt am Hamburger Hauptbahnhof liegt, ist die Anreise der meisten Besuchenden bereits ökologisch vorbildlich, da sie den ÖPNV oder die Bahn nutzen können. „Durch den Ökostrom haben wir rund 100 Tonnen CO2 eingespart, was nicht viel ist“, berichtet Keller. Aber es setzt ein Zeichen genauso wie die inzwischen verliehenen Ökoprofit- und die Gemeinwohlökonomie-Zertifizierungen für den beliebten Veranstaltungsort.
Wie wichtig eine solche Vorbildfunktion ist, unterstreicht die „Plant-a-Seeed“-Studie, die auch die Einstellung im Publikum untersuchte. 94 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bereit wären, für Nachhaltigkeitsmaßnahmen wie etwa ein faires Merchandising mehr zu bezahlen. Außerdem würden sie einen Aufschlag von 1 Euro auf die Tickets akzeptieren, um Menschen in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Überraschend sprachen sich 72 Prozent für ein rein vegetarisches Gastronomieangebot, 55 Prozent sogar für ein rein veganes Catering aus. Letzteres wurde in dem Projekt für die Kunstschaffenden umgesetzt. Dabei sollen laut Studienorganisation rund 1,18 Tonnen CO2 eingespart worden sein. Eine Buche hätte über 94 Jahren wachsen müssen, um diese Emissionen zu kompensieren, wenn sie angefallen wären.
Das Thema Nachhaltigkeit ist aber nicht nur eine Herausforderung für Veranstaltungen. Sie betrifft letztlich alle Aktivitäten in der Musikwirtschaftsbranche. So müssen sich alle Musikschaffenden oder Mitarbeitenden damit auseinandersetzen, ob sie Ökostrom beziehen oder auf Fleisch verzichten. Für Instrumentenbauer stellt sich zudem die Frage, woher sie ihre Ressourcen wie etwa das Holz beziehen. Ein weiterer Punkt, der alle Musikerinnen und Musiker betrifft, ist die Frage, wie sie künftig ihre Werke der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Noch immer werden CDs und inzwischen auch wieder Vinyls produziert. Doch mehr und mehr Hörende streamen ihre Musik über die Clouds von Plattformen wie Apple Music, Spotify oder Youtube. Welches der unterschiedlichen Angebote ist aber am nachhaltigsten? Der Musikwissenschaftler Kyle Devine von der Universität Oslo hat 2019 gezeigt, dass die Produktion einer CD oder Vinyl viele Ressourcen wie Öl und Wasser verbraucht sowie Mengen an Müll etwa in Form von Kunststoff erzeugt. Der CO2-Fußabdruck einer CD liegt bei 172 Gramm, während die Langspielplatte in der Herstellung sogar das Zwölffache, also über 2 Kilogramm verursacht. Dagegen erzeugt eine Stunde Streaming gerade einmal 55 Gramm CO2. Zudem fällt dabei so gut wie kein Müll an.
Eines der Seeed-Konzerte auf der Parkbühne Wuhlheide
Foto: Nadine Kunath
Doch ist das Streaming damit automatisch die nachhaltigere Form des Musikhörens? Die beiden Umweltdozentinnen Sharon George und Deirdre McKay von der Keele University im englischen Stafforshire zeigten 2021, dass das nicht der Fall sei. Es komme darauf an, wie oft man ein Album streame und wie die Energie erzeugt werde. In ihren Datenauswertungen kamen die beiden Wissenschaftlerinnen etwa zu dem Schluss, dass das fünfmalige Hören eines Albums per Streaming genauso viel CO2 produziert wie die Herstellung des Kunststoffes, den man für eine CD benötigt. Zählt man dazu noch die Energie, die man für den Betrieb der Produktionsmaschinen braucht, das Plastik für die Verpackung, den Transport sowie den Betrieb der Abspielgeräte, dann kann man ein Album 27-mal streamen, bis es mehr CO2 verbraucht als die Produktion der entsprechenden CD.
Der Grund dafür, dass auch das Streaming viel CO2 erzeugen kann, liegt darin, dass diese Art des Musikhörens mehrere Stufen durchläuft, die alle Energie erfordern. Da sind auf der einen Seite etwa die in der Welt verstreuten Server, auf denen die Daten gespeichert sind. Das Kühlen und Betreiben dieser Festplatten verbraucht besonders viel Energie und damit Ressourcen. Um einen dort gespeicherten Song zu streamen, muss er via Kabel unter der Erde und dem Meer zu lokalen Netzwerkservern übertragen werden. Von dort wird das Lied per WLAN oder anderen Internetverbindungen auf das eigene Smartphone, Tablet oder den Laptop übertragen. Wie viel CO2 dabei ausgestoßen wird, hängt also davon ab, in welcher Qualität man das Lied hört, ob man nur eine Audiodatei oder auch ein Video streamt, wie lange man es hört, wie weit weg sich die Server befinden und welche Form der Energie verwendet wird.
Das Beispiel Streaming zeigt die Komplexität des Themas Nachhaltigkeit. „Generell erfordert es eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft“, sagt Ralf Weiß. „Ein paar Klimaschutzmaßnahmen reichen nicht aus.“ Das bestätigt auch Markthallen-Chef Mike Keller: „Nachhaltigkeit ist letztlich ein strukturelles Problem und betrifft die innere Einstellung jedes Einzelnen sowie die Organisation einer Wirtschaft insgesamt.“ Themen wie Konsum, individueller Wasserabdruck, die Produktion von Lebensmitteln, Klimagerechtigkeit, sozialer Ausgleich, Bildung, Zugang für Menschen mit Mobilitätsbeschränkungen oder Lärmbelästigung seien diesbezüglich ebenfalls wichtige Aspekte. Laut des Umweltvordenkers Weiß könne man zudem auch nicht einfach sagen, dass das nachhaltigste Festival das sei, das nicht stattfinde. „Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil einer Gesellschaft, etwa um den Zusammenhalt zu fördern, und sie kann nicht einfach abgeschafft werden.“
Veranstalter Keller weist darüber hinaus noch auf einen anderen Punkt hin: „Wir können letztlich nur tun, was in unserem Kontext möglich ist, denn niemand wird ein Ticket kaufen, nur weil wir Ökostrom beziehen oder eine hohe Recyclingquote haben. Nachhaltigkeit muss sich am Ende auch wirtschaftlich rechnen und zum Publikum passen, das zu uns kommt.“ Die Notwendigkeit zu handeln setze außerdem voraus, dass man Fehler mache. „Unternehmen, die sich heute nicht in Richtung einer Nachhaltigkeitskultur bewegen, werden es in Zukunft sicherlich schwerer haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden sich in dieser Richtung ständig weiterentwickeln.“
Zahlreiche Organisationen und Bewegungen wie der Deutsche Musikrat, die Green Music Initiative, das Orchester des Wandels mit seiner Stiftung NaturTon oder Julie’s Bicycle in Großbritannien haben sich deshalb diese umfassende Sicht auf das Thema auf ihre Fahnen geschrieben. Für sie und alle anderen Angeführten braucht es eine ganz neue Wirtschaft, eine echte Kreislaufwirtschaft, wenn die Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts tatsächlich erreicht werden soll. Weiß: „Wir müssen endlich unsere seit Luther und Kant auf Individualität ausgerichtete Kultur hinterfragen und wirklich global denken. Das wäre eine echte Zeitenwende.“
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