Audio mp3: »Zwischen Tradition und Moderne«, 6:34 min
„Der Sackpfeifen gibt es vielerlei Arten“, schrieb 1619 der Musiker und Musiktheoretiker Michael Praetorius. Seit Langem denken aber die meisten Menschen, wenn sie das Wort „Dudelsack“ hören, an die Great Highland Bagpipe, den schottischen Militärdudelsack. Vor ein paar Jahrzehnten kam als zweiter Assoziationskandidat der sogenannte Marktsack hinzu – ein in den Achtzigern im Zuge der frühen historischen Märkte entstandenes Instrument.
Text: Merit Zloch
Es wäre spannend zu ermitteln, welches von den beiden heutzutage in Deutschland beliebter ist. Vielleicht ist es aber auch ein ganz anderes Instrument der Gattung Dudelsack, beispielsweise die Smallpipe oder das Hümmelchen. Oder der Dudelsack mit halbgeschlossener Griffweise und zwei Daumenlöchern, ein modernes Instrument, das sich auf Basis von historisch und traditionell belegten Dudelsäcken entwickelt hat.
Auf dem halbgeschlossenen Dudelsack, um den es hier gehen soll, ist es nicht nur möglich, mehr als eine Oktave Tonumfang zu erreichen – anderthalb, um genau zu sein –, man kann auf ihm auch fast alle Halbtöne spielen. Beides ist interessant für Menschen, die ursprünglich für andere Instrumente geschriebene Tanzmusik spielen möchten oder eher pop- und rockmusikalisch unterwegs sind. Er ist also ein vielseitig einsetzbares Instrument, das inzwischen in ganz Europa verbreitet ist. Man könnte ihn als das Paradebeispiel eines sich den musikalischen Gepflogenheiten seiner Zeit anpassenden traditionellen Instruments bezeichnen. Allen, die mehr über die Entstehung dieser Sackpfeifenform erfahren möchten, sei der Artikel über Matthias Branschke innerhalb dieses Bordunschwerpunktes der folker-Ausgabe 3.25 empfohlen.
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass noch nie so viele Menschen wie heute Dudelsack gespielt haben.“
Das Instrument ist sowohl auf großen Festival- als auch auf kleineren Tanzmusikbühnen im Bal Folk beziehungsweise Bal Trad zu finden. Es findet sich ebenso in den Händen unzähliger Hobbymusikschaffender wie in denen erfahrener Profis. Insgesamt ist es sehr wahrscheinlich, dass noch nie so viele Menschen wie heute Dudelsack gespielt haben – alle Instrumente dieser Gattung eingeschlossen. Ebenso steht zu vermuten, dass das Spielniveau darauf noch nie so hoch war wie jetzt, genau wie Qualität und Zuverlässigkeit der hergestellten Instrumente. Ein Bespiel dafür, wie zügig diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten vor sich ging, findet sich in Sepp Pichler, einem Musiker aus Österreich, der vor etwa dreißig Jahren ein Tanzmusikmanuskript auf Dudelsacktaugliches durchsah, dabei aber nicht viel fand. Nur zehn Jahre später durchforstete der Drehleierspieler Simon Wascher dasselbe Manuskript und fand ein wunderbar auf dem Dudelsack spielbares Stück im begehrten Sechsachteltakt. Pichler, darauf aufmerksam gemacht, hatte das Stück keinesfalls übersehen. Es galt zehn Jahre zuvor selbst für ihn als exzellenten Dudelsackspieler als unspielbar!
Im Zuge der Entwicklung des modernen halbgeschlossenen Instruments aus der historischen Schäferpfeife und traditionellen Dudelsäcken aus Frankreich hat sich der Klang vereinheitlicht, was von manchen bedauert wird. Man sollte bei Vergleichen mit den Ursprungsinstrumenten allerdings nie aus den Augen verlieren, dass es sich bei dieser modernen Variante um ein eigenständiges Instrument mit Fokus auf möglichst viel Tonumfang und Zuverlässigkeit handelt und nicht um einen Ersatz für die ebenfalls noch vorhandenen traditionellen Bauformen.
Werfen wir einen genaueren Blick auf das natürliche Habitat des halbgeschlossenen Dudelsackes hierzulande. Die größte Gruppe der Spielenden sind wohl die Laienmusikschaffenden. Man trifft sie auf Instrumentalkursen, in kleinen Tanz- oder Konzertbands sowie in Großbesetzungen und Brauchtumspflegevereinen.
Ein wunderbares Beispiel für gemeinsames Laienmusizieren auf dem Dudelsack ist das Pipenbockorchester mit etwa zwanzig Musikschaffenden aus ganz Deutschland. Das Repertoire besteht zu großen Teilen aus Dudelsackmelodien des 16. und 17. Jahrhunderts und Stücken aus Tanzmusikhandschriften des deutschsprachigen Raums. Gegründet und lange geleitet wurde das Ensemble vom Musikethnologen und Sackpfeifer Ralf Gehler (zu einem eigenen Beitrag Gehlers zur historischen Entwicklung der Bordunmusik geht es hier). Für die Verbreitung des Dudelsacks, beim Ausgraben von Dudelsackmelodien aus historischen Quellen und beim Unterrichten des Instruments spielte und spielt Ralf eine führende Rolle vor allem in Nord- und Ostdeutschland. Ähnlich verhält es sich mit der Leiterin des größten Spielkurses für traditionelle Musik in Deutschland, Andrea Hotzko, Musikerin und Lehrerin auf diesem Instrument. Unzählige Laien-, aber auch viele bekannte Musikschaffende haben die ersten Schritte auf dem Dudelsack mit ihr gewagt.
Eine ähnliche Strahlkraft hat Christoph Pelgen für den Süden und Westen unseres Landes. Sein Fokus liegt auf dem Spielen, Arrangieren und Unterrichten von Musik verschiedener französischer Regionen und dem Komponieren für den halbgeschlossenen Dudelsack, oft in mehrstimmigen Sätzen.
Wenn der halbgeschlossene Dudelsack hierzulande in Tanzkapellen zum Einsatz kommt, wird oft das erwähnte „französische“ Repertoire gespielt. Ausnahmen sind beispielsweise Silja (siehe eigenen Beitrag hier) und Fior (Rick Krüger). Beide Formationen spielen fast nur Stücke aus dem deutschsprachigen Raum und Eigenkompositionen. Fior tourten in den letzten Jahren nicht nur hierzulande, sondern auch in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz und wurden dort sehr gefeiert.
Deutschland hat sogar einen Übersee-Exportschlager zu bieten – die Pagan-Folk-Band Faun mit Adaya De Baïracli Levy am halbgeschlossenen Dudelsack. In den Händen der Sängerin und Multiinstrumentalistin ist das Instrument weit mehr als nur eine Klangfarbe im vielfältigen Instrumentarium der Band. Ebenso wie die Mittelalterrockband Schandmaul (Birgit Muggenthaler) haben Faun es geschafft, als deutschsprachige Band den halbgeschlossenen Dudelsack auf große Festivalbühnen zu holen, unter anderem in Nord- und Südamerika.
Ganz am Schluss und unbedingt erwähnenswert: Die Chefs der beiden Noten- und CD-Vertriebe in Sachen historische Musik und Deutschtrad hierzulande, Jonas Böttcher vom Verlag der Spielleute und Marcel Friedmann vom Deutschtradshop, spielen halbgeschlossenen Dudelsack!
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