Chanca Via Cicuito
La Estrella
(Wonderwheel Recordings/ Groove Attack)
Argentinien/ Electronic Cumbia
In Buenos Aires gibt es bekanntlich schon länger eine Szene des Electronic oder Digital Cumbia um das Label ZZK Records herum, in der Sounds traditioneller lateinamerikanischer Musik wie Cumbia mit Hip-Hop, Reggaeton, Dance Hall, Techno oder Dub gemischt wird. Pedro Canale alias Chanca Via Cicuito stammt aus dieser Generation, entwickelte seinen „Chanca Sound“ und lud sich für sein neues Album etliche Gäste ein. Irgendwo zwischen südamerikanischer Folklore, Trip-Hop-Grooves, Dub und Exotica lässt sich diese Musik ansiedeln. Damit emanzipiert sich diese Szene von der reinen weltmusikalischen Zuordnung, verwendet aber dennoch viel lateinamerikanisches Instrumentarium wie Steel Drums, Andenflöten, Harfen oder Xylophon. Zudem legt man auch Wert auf überzeugende Melodik wie in „Vedanta“ und setzt nicht wie so oft in dieser Szene nur auf Effekte und Rhythmik. Auch das interessanteste Projekt aus dieser Szene, die Meridian Brothers aus Bogotá, sind mit ihren psychedelischen Klängen auf dem Album zu hören. Zeitgemäß und unverbraucht.
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Lucas Santtana
O Paraíso
(No Format!/ IDOL/ Indigo)
Brasilien/ MPB
Während in Brasilien die gottesfürchtigen evangelikalen Fanatiker um Bolsonaro das Paradies ins Jenseits projizieren, meint Lucas Santtana, dass sich das Paradies im Diesseits befindet und wir verhindern müssen, dass es verlorengeht, denn im Jenseits gibt es kein zweites. Vergleichsweise deutlich sind daher die ökologisch mahnenden und bissigen Aussagen in Santtanas Texten. Musikalisch setzt er seine Verbindung von Singer/ Songwriter und Electronica, versetzt mit brasilianischer Perkussion, fort. Diese Szene hat höchstens noch bezüglich einer gewissen Coolness mit der einstigen Bossa Nova zu tun. Man hört zwar auch träumerisch-melancholische Sounds, aber oftmals anders konstruiert: Entweder sind es getragene Bläserklänge oder subtile Electronica-Tupfer, passend zur Ausdrucksform des Brasilianers. Trotzdem sich diese Musik meist sanft ins Ohr schleicht, spielt die Perkussion eine Rolle. Manche Titel sind sogar tanzbar. Mal blubbert der Beat, mal ist es ein Latin-Rhythmus. Als Fremdkompositionen tauchen Stücke von Jorge Ben oder Paul McCartneys „The Fool On The Hill“ auf, in welchem ein stärkeres rhythmisches Element eingebaut wurde. Als Single wurde ein tanzbarer Titel zusammen mit Flava Coelho ausgewählt: „Muita Pose, Pouca Yoga“. Schön, dass Santtana weiterhin präsent ist, lediglich einige Ausblendungen hätten kürzer sein können.
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- Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=ZmQ5r7ZzD50
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Djavan
D
(Sony)
Brasilien/ MPB, Smooth Jazz
Endlich kann man wieder mit Djavan zusammen „Dabb dabi du dih“ scatten. Sein neues Album knüpft nahtlos an seine alten Qualitäten an. Allein sein „Num Mundo de Paz“ zeigt, dass er zurück zu seinem funky Swing gefunden hat, für den er bekannt wurde. Dazu hat er teilweise sogar seine vorzügliche frühere Band rekrutiert und etliche Bläser eingesetzt. Jazzigen Brazil-Pop, das kann er am besten, auch wenn viele seiner Alben der letzten Jahre niemals Mittelmaß waren, aber zu sehr das rein Balladeske betonten. Da wirkte zwischendurch sein Remix-Album Na Pista, etc. schon wie eine Erlösung. Auch die dezenteren Stücke überzeugen hier mit beseelten Melodien und sein Duett mit Milton Nascimento bringt noch mal eine neue Note in den Sound. Auch „Nada Mais Sou“ zeigt seine Qualitäten, mit ungewöhnlichen Rhythmen zu spielen, es ist ein jazziger 6/8-Walzer.
„Ich möchte, dass die Leute nach der schrecklichen Pandemie an die Zukunft glauben“, sagte Djavan jüngst. Mit diesem Album könnte man schon mal anfangen.
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Gal Costa
Gal Costa
Brasilien/ MPB
Die Generation der brasilianischen Stars der 1960er kommt so langsam in die Jahre. Nun ist am 9. November 2022 mit Gal Costa die erste der zentralen Figuren der Tropicália-Bewegung mit 77 an den Folgen einer Nasenhöhlenoperation gestorben. Costa gehörte zu den Doces Barbaros, der einzigen, wenn auch kurzlebigen brasilianischen Supergroup mit Caetano Veloso, Gilberto Gil, Maria Bethânia und Costa selbst. Auch auf dem wichtigsten Album der Tropicalisten, Tropicália Ou Panis Et Circenses war sie mit vier Liedern vertreten. Musikalisch bewegte sich Costa anfangs zwischen brasilianischen Stilrichtungen und amerikanischen psychedelischen Einflüssen, später kamen Funk- und Rockelemente hinzu. Ein Aufreger war 1973 das Cover ihres Albums Índia. Hier sah man lediglich ihr knappes Bikiniunterteil, umgeben von indigenem Schmuck – Symbole für sexuelle Befreiung wie für die Einbeziehung der Musik der Urbevölkerung. Die Militärdiktatur fand das damals für zu anstößig und verbot das Cover umgehend. Seitdem galt sie jedoch als Brasiliens Sexsymbol. Interessanterweise hat Costa offen lesbisch gelebt und zeigte sich damit wie überraschend viele ihrer Musikkolleg*innen im völligen Kontrast zur zuletzt ultrakonservativen Politik in Brasilien. Besonders gut gelangen ihr leicht bluesige Balladen. Ihr größter Hit nach „Baby“ von 1965 wurde allerdings 1982 die Temponummer „Festa Do Interior“. Obwohl sie eine der bekanntesten Sängerinnen Brasiliens war, stand sie international immer etwas im Schatten von Maria Bethânia. Dennoch: Im für 2023 geplanten Film Meu Nome É Gal wurde zuletzt ihr Leben verfilmt.
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Monty Alexander
These Love Notes
(Eigenproduktion)
Jamaika, USA/ Reggae-Jazz
Der 78-jährige jamaikanische Pianist Monty Alexander hat sich in den letzten Jahren zu einer meiner Lieblings-Reggaemusiker gemausert. Er spielt Jazz und Reggae oder beides gleichzeitig und auf seinem neuen Album „These Love Notes“ singt er auch mal wieder. Als Jazzer ist er für meine Begriffe einer der melodischsten, die ich kenne, ein Ohrwurm-Jazzer sozusagen, und als Reggaemusiker versieht er Reggaeklassiker mit tollen Improvisationen wie kein zweiter. Beim Titelstück sind neben Alexander auch die inzwischen verstorbenen Klavierkollegen Ramsey Lewis (Piano-Solo) und Joe Sample (Fender Rhodes) dabei, die ja auch sehr melodische Jazzmusiker waren. An der Gitarre glänzt zudem George Benson. Obwohl ihn Carmen McRae schon vor 50 Jahren ermutigte, auch als Sänger einzuspielen, brauchte Alexander derart lange Zeit, um endlich Mut zu fassen. 75 Alben hat er als Pianist eingespielt und eines jetzt als Sänger. Es handelt sich um die ersten Songs, die er je gehört und geliebt hat. Das Spektrum reicht von Henry Mancini über Nat King Cole bis hin zu Harry Belafonte.
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