Im Herzen von Gent, am Rande des historischen Freitagsmarktes und die Statue des Freiheitskämpfers Jacob van Artevelde fest im Blick, liegt das Lakenmetershuis relativ unscheinbar zwischen den Prachtbauten des historischen Zentrums. Nur ein Festivalbanner über der Eingangstür weist am zweiten Februarwochenende dezent darauf hin, was sich hier in den kommenden drei Tagen abspielen wird: Das VONKfestival ist zu Gast und verwandelt das Haus in einen Hotspot der belgischen Folkmusik. Wer Lust hat, sich bei entspannter Atmosphäre und (bis auf den Eröffnungsabend) freiem Eintritt einen Überblick über die belgische Folkszene zu verschaffen, ist hier mehr als willkommen.
Text: Claudia Assmann; Aufmacher: Broes_Foto: Lieve Boussauw
Man muss es ihnen lassen, den Showcases und Festivals des Folk: Kaum irgendwo sonst fühlt man sich als Besucherin auf Anhieb so herzlich aufgenommen, wird in Gespräche verwickelt und nach kurzer Zeit liebevoll in die Folkfamilie eingemeindet. Die Stimmung ist locker, man kennt sich, und wenn nicht, dann lernt man sich kennen – im bestuhlten Konzertsaal im ersten Stock oder aber an der Bar, gleich neben der Showcasebühne im Erdgeschoss. Dieses typisch familiäre Gefühl, das sich spätestens nach dem ersten Gig des Abends einstellt, mag unter anderem darin begründet sein, dass Folk auch hier in Belgien nach wie vor eine Nischenleidenschaft ist, jenseits des großen Musikkommerzes, zumindest in dem Umfeld, in dem sich dieses Festival bewegt.
Caamaño & Ameixeiras
Foto: Patrick Clerens
VONK, das seinen Schwerpunkt auf belgische Musik legt, eröffnet mit einer Überraschung: Caamaño & Ameixeiras, ein Musikerinnenduo aus Katalonien. Mit starker Stimme, voller sehnsuchtsvoller Klagen, Leidenschaft und mit einer Passion, wie sie nur die katalanische Musik kennt und kann, präsentieren sich die beiden Frauen, kehren das Innen nach außen und bieten ein Tableau aus Liebe und großem Gefühl. Dazwischen leichte, humorvolle Anmoderationen der Stücke. Vor lauter Leidenschaft braucht das Publikum noch einen Moment, ist etwas zurückhaltend vom Taumel, was das Duo augenzwinkert kommentiert mit: „Normalerweise wird an dieser Stelle immer gelacht, nun ja …“
Das große Konzert des Eröffnungsabends, der „true opener“, folgt mit Kadril. Eine Sechs-Mann-plus-Sängerin-Formation, die seit 1976 besteht. Ganz offensichtlich ein Heimspiel: Das Publikum ist ab dem ersten Moment angeschaltet, und es ist spürbar, dass sich viele Fans der ersten Stunde im Raum befinden. Die Band liefert ab – professionell performen sie die Titel, souverän moderiert, perfekt eingespielt. Doch die wirklich authentischen, ja berührenden Momente entstehen, wenn für einige Stücke das ehemalige Bandenmitglied Hans Quaghebeur mit seiner Drehleier die Bühne betritt. Seit fünf Jahren stand der Musiker, der im Übrigen ehrenamtlich als Vorsitzender der Organisation Muziekmozaïek Folk & Jazz tätig ist, die das VONKfestival ausrichtet, nicht mehr mit „den Jungs“ auf der Bühne. Standing Ovations beenden den Abend.
Kadril mit Hans Quaghebeur
Foto: Patrick Clerens
Am darauffolgenden Samstag bei den Showcasepräsentationen fliegen dem Publikum die Bands dann nur so um die Ohren. Es ist ein Fest der Folkmusik, ein Feuerwerk im Zwanzig-Minuten-Takt mit Duos (Duo Clercx, Siger, Ave de Barro), den Bands Fiston und Salopet und dem Highlight des Abends: Broes! Völlig zu Recht haben die fünf Musikerinnen und Musiker Ende Januar den Preis als „Beste Live Band“ des Flanders Folk Network erhalten. In der Jurybegründung hieß es „Broes’ Spielfreude spritzt von der Bühne, und ihr Sound ist sehr virtuos und zugänglich zugleich. Schön zu sehen, dass die fünf nach so vielen Jahren des Zusammenspiels immer noch überraschen können. Ihr Spiel ist prickelnd, und sie geben sich gegenseitig den Raum zum Improvisieren.“ Und auch an diesem Abend ist dies bis in die Fußspitzen zu spüren. Die Sitze wackeln, das Publikum ist voll dabei.
Nach einer Pause endet der Abend ruhiger im Erdgeschoss mit dem Duo Airboxes. Ein Ausklang für die Folktänzerinnen und -tänzer, das Parkett gehört ihnen, eine ganz andere Atmosphäre entsteht hier; mehr kontemplativ als mitreißend, zumindest für diejenigen, die sich aufs Zuhören beschränken.
Der abschließende Sonntag steht voll im Zeichen der offenen Bühne. Junge und/oder unbekanntere Bands haben hier die Möglichkeit, sich einem wohlgesonnenen Publikum zu präsentieren. Absolutes Highlight dieses Tages und ein wirklicher Geheimtipp des gesamten Festivals sind Warmoes, die die Open Stage eröffnen. Die fünf jungen Bandmitglieder, zum Teil Studierende der Musikhochschule in Gent, sind eine echte Entdeckung. Ihre Musik trägt Einflüsse von Jazz und vieler internationaler Stilrichtungen. Eines ist sicher: Von ihnen wird in Zukunft noch zu hören sein. So, wie die fünf es auf ihrer Website versprechen: „… eine Band, … die mit ihren ansteckenden Melodien selbst die steifste Zimmerpflanze zum Tanzen bringt.“
Broes
Foto: Lieve Boussauw
Bereits zum dritten Mal organisierte Muziekmozaïek unter der Leitung von Filip Verneert das VONKfestival. Es ist hochprofessionell aufgezogen, liebevoll konzipiert und bis ins Detail umgesetzt, was mit Sicherheit darauf zurückzuführen ist, dass alle Beteiligten – von der Festivalleitung bis zur Organisation – selbst Musikerinnen und Musiker sind. Sie wissen genau, was Künstlerinnen und Künstler und das Publikum benötigen, um diese freundschaftlich-freudvolle Atmosphäre zu kreieren, die die Folkmusik so besonders macht.
Für 2024 ist geplant, das Festival auf mehrere Veranstaltungsorte der Stadt auszuweiten und dem Untertitel „Stadtfestival für Folk, Roots und akustische Musik“ noch mehr Rechnung zu tragen. Es heißt gespannt sein und sich darauf freuen, wen es dann auf den Bühnen (wieder) zu sehen geben wird.
Es ist doch bemerkenswert und erschreckend zugleich, wie unbekannt uns Deutschen – wenn ich von mir auf andere schließen darf – die belgische Folkszene ist! Und das, obwohl ich doch einige Bands von dort kenne, wie Lais, Naragonia, 1er Etage und Hot Griselda. Danke also für diesen Artikel! Ich werde wohl mal in einem Februar nach Gent fahren müssen!