Zugegeben, die Dortmunder Nordstadt gehört nicht zu den Bezirken, mit denen das Stadtmarketing gerne Werbung treibt. Doch schon ein kurzer Blick hinter die grafittiverzierten Fassaden reicht, um eine Musikszene zu entdecken, die an Vielfalt und Intensität ihresgleichen sucht. Wichtiger Teil dieses Milieus ist die Veranstaltungsreihe „Dortmund Unplugged“ – am 12. Dezember fand die letzte Ausgabe 2024 statt.
Text: Florian Stary, Fotos: Andy C.
Der Ort des Geschehens hieß auch diesmal Langer August, ein altehrwürdiger Kulturtreff im Herzen der Nordstadt, der sich vielleicht nicht ganz mit der Carnegie Hall messen kann, dafür aber durch maximale Publikumsnähe besticht. Wer einen Platz in der ersten Reihe ergattert, muss nur den Arm ausstrecken, um den Auftretenden die Setlist zu stibitzen.
Allerdings soll es hier nicht um maklermäßige Werbung für die Location gehen, sondern um Musik – und die unterliegt bei „Dortmund Unplugged“ einem gestrengen Reglement: Zum einen sollen die Musikschaffenden aus Dortmund und Umgebung kommen – auch wenn 2024 gelegentlich Gäste aus exotischeren Orten auf der Bühne standen. Zum anderen sind elektrische Instrumente bei Höchststrafe verboten – obwohl sich zumindest diesmal ein E-Bass auf der Bühne erspähen ließ. Alles halb so wild also. Hauptsache, die Musik ist gut und selbst komponiert, denn Coversongs sind ebenfalls tabu!
Los ging es pünktlich um 19.30 Uhr. Durch den Abend führte Moderator Boris Gott, eingefleischten Musikfans auch bekannt als umtriebiger Ruhrgebietsbarde mit bissigen Texten. Ein kurzes Intro, dann hieß es Bühne frei für den ersten Act.
Hans Blücher oblag es, das Publikum auf Touren zu bringen, und das gelang dem ortsansässigen Singer/Songwriter gewohnt routiniert. Insbesondere deshalb, weil er jede Menge neues Material im Gepäck hatte. Es ging los mit „3 Tage Hütte“, einem Song, der klingt, wie eine Nacht am Lagerfeuer. Danach folgte mit „An der Bude“ ein alter Bekannter – allerdings hat das Lied anlässlich des im Revier zelebrierten Tages der Trinkhallen einen komplett neuen Text erhalten. Song Nummer drei war das Liebeslied „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ – anders, als andere Vertreter dieser Gattung dabei nicht schmalzig, sondern einfühlsam und intelligent. Weiter ging es mit „So klingt die Nordstadt“, wobei „So singt die Nordstadt“ vielleicht treffender gewesen wäre, denn der Song ist eine absolute Mitmachnummer. Den Abschluss bildete das sehr intime Stück „Durch die Nacht“ – Zeit für die Landung.
Fünf Lieder, alle neu. Aber wer sie verpasst hat, muss sich nicht grämen: Blücher kündigte an, dass sie im Frühjahr 2025 gemeinsam auf seiner neuen EP mit dem Titel Nachts erscheinen werden. Und dann wurde es auch schon Zeit für die nächste Künstlerin.
Mit ihrer Gitarre betrat Leonie Sky die Bühne, ebenfalls im Singer/Songwriter-Genre zu Hause. Irgendwer soll mal gesagt haben, dass ihre Stimme klänge wie geräucherter Honig. Wem das zu metaphorisch ist, der kann sich gerne Judith Holofernes zu ihren besten Zeiten vorstellen – mit dem feinen Unterschied, dass Sky auch mühelos in die tieferen Tonlagen vordringt und Noten über viele Takte halten kann. Zehn Songs hatte die Künstlerin mitgebracht, darunter die drei Weltpremieren „Stille bleibt“, „Vakuum“ und „Breadcrumbs“. Jede Nummer sorgte für Gänsehaut, aber besonders heraus stach „Glasklar“, das Sky zum ersten Mal live performte.
Einmal schlucken und unauffällig die Augen trocknen. Auch Boris Gott schien mitgenommen von so viel Melancholie und verpasste seinen Einsatz. Dennoch als dritte auf der Bühne: Tante Matta.
Zwischen Teddy Schulze, Philipp Kerst, Ralf Bourdieck-Thiem, Dirk Schulte und Hans Blücher wurde es ein wenig eng auf der Stage, einmal riss es sogar denn Bass vom Ständer. Aber: nichts Schlimmes passiert. Sieben Songs hatte die Tante mitgebracht – und weil die dominierende Haarfarbe der fünf Herren an den Instrumenten sich tendenziell eher ins Gräuliche bewegt, wurde es richtig nostalgiegeladen: „Ford Taunus“ erzählt von verrückten Jahrzehnten, die sich die Generation Smartphone kaum noch ausmalen kann, „Sag, was bleibt?“ wirft einen wehmütigen Blick in den Rückspiegel, und „Bretonische Flaggen“ stellt klar, dass auch erfahreneres Alter kein Garant für Ponyhofbeziehungen ist. Zu schwermütig? Dann ist es gut, dass mit „Das Leben hier ist Dortmund“ eine neue Nummer vorgestellt wurde, die locker im Stadion abgefeiert werden könnte.
Auch Tante Matta planen den Release einer EP Anfang des kommenden Jahres. Es folgten Applaus, die für „Dortmund Unplugged“ obligatorische Gratispizza und, wie es sich für die Jahreszeit gehört, ein paar letzte gemeinsam gesungene Weihnachtslieder. Was dann noch blieb, in dieser Nacht im Dortmunder Norden, war die Aussicht, dass es bereits im Februar weitergeht im Langen August – mit „Dortmund Unplugged“ und neuen Künstlerinnen und Künstlern.
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