Lieder aus sechzig Jahren – wer kann das schon vorweisen! Graham Nash hat einen riesigen Fundus, aus seiner Zeit als Mitgründer der Hollies 1962, in den verschiedenen Besetzungen als Duo, Trio oder Quartett mit Crosby, Stills, Nash & Young, dann noch sieben Soloalben. Das letzte des 81-Jährigen erschien erst 2023 und wird hoch gelobt. Now stieg sogar bis auf Platz eins der UK-Independent-Charts.
Text: Piet Pollack
Viele dieser Lieder gehören zum Soundtrack meines Lebens, und es war schön, sie nochmals live und in toller Qualität zu hören. Das Konzert begann mit „Wasted On The Way“ von Crosby, Stills & Nash. „Bus Stop“ wurde als Song für Allan Clarke, seinen alten Kumpel von den Hollies, anmoderiert – ein sehr frisch wirkender Song, keine Spur von Patina nach 57 Jahren. Nash spielte auch sein Antikriegslied „Military Madness“ und ließ das Publikum mitsingen: „No more war.“
Erst nach einigen Titeln fällt auf, dass kein Schlagzeug dabei ist. Und man vermisst es überhaupt nicht, weil über die Gitarren und das Piano viel Druck und Dynamik erzeugt wird. Das hört man bei „Buddy’s Back“, einer Hommage an Vorbild Buddy Holly, unterlegt mit dem treibenden Beat von „Peggy Sue“. Musikalischer Höhepunkt war für mich eine ausgiebig zelebrierte Variante des Crosby-Nash-Songs „To the Last Whale (A. Critical Mass/B. Wind On The Water)“, gleich gefolgt von „Chicago“.
Bei vielen Stücken, die man kennt, denkt man sich im Hintergrund immer die Stimme des kürzlich verstorbenen David Crosby mit. Man hatte die Hoffnung, dass das ewig zerstrittene Dream-Team des Harmoniegesangs sich einmal wieder findet. Nash sagte im Konzert, dass es kurz vor Crosbys Tod im Januar wieder eine Annäherung mit Mailverkehr und Anrufen gegeben hätte. Vor der Pause spielte er dann noch Stephen Stills’ „Love The One You’re With“ mit Mitsingrefrain.
Graham Nash eröffnete das zweite Set mit „A Case Of You“ von Joni Mitchell. Er spielte auch seine beiden eigenen Songs für sie, „Simple Man“ und als Konzertfinale „Our House“. Als Zugaben dann „Everyday“ von Buddy Holly als beeindruckende A-cappella-Version und natürlich das unverwüstliche „Teach Your Children“.
Nash, weißhaarig und schlank, mit charmantem englischem Humor, spielte Akustikgitarre oder Piano und bei vier Titeln auch Mundharmonika. Hervorzuheben sind die großartigen Begleitmusiker, die reichlich Raum zum Brillieren bekamen. Todd Caldwell am Keyboard lieferte Flächen, dazu eine sehr schöne Hammondorgel und setzte Akzente. Shane Fontane, der als Leadgitarrist schon bei Sting und Bruce Springsteen gespielt hat, gab das Rhythmusfundament und glänzte mit Soli. Beeindruckend auch der Harmoniegesang – nicht so wunderschön wie bei den Herren Stills, Crosby und Young, aber immer solide, präzise und zweckdienlich. Auffällig waren immer mal kuriose Liedenden: entweder abrupter Schluss oder offene Akkorde.
Was kann man noch sagen? Graham Nash ist eine Folkrocklegende. In Würde gealtert, weitgehend absturz- und skandalfrei Zeit seines Lebens. Noch immer kreativ mit Musik und Fotografie. Und immer gesellschaftlich aktiv – gegen den Vietnamkrieg in den Siebzigern, in der Anti-Atomkraft-Bewegung und im Einsatz für Bürgerrechte. Wie in „A Better Life“ vom neuen Album, wo es um ein besseres Leben für die Kinder geht. Und beim vorletzten Lied des Konzerts, „Just A Song Before I Go“ wünscht man ihm und sich selbst, dass er noch viele Lieder schreiben möge.
Leider standen uns keine Livefotos aus Berlin zur Verfügung, dies ist eine Aufnahme vom Konzert Grahams Nashs am 30.8.2023 im De La Warr Pavilion in Bexhill on Sea im britischen Sussex. (Foto: Raph_PH, Wikipedia CC BY 2.0)
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