Kein schöner Land

Das Volksliederfestival, Eichener Hamer, Kreuztal, 17.2.2024

27. März 2024

Lesezeit: 5 Minute(n)

Volksliederfestival? Was ist davon zu erwarten? Ein Festivalbesucher, schätzungsweise in seinen Siebzigern, wollte sich nicht festlegen: „Warten wir es ab“, sagte er dem folker, und öffnete seine Ohren.
Text und Fotos: Michael A. Schmiedel

Sieben Auftrittsorte hatte sich Hans Emmert vom Konzertbüro Emmert ausgesucht, also relativ wenige im Vergleich zur Anzahl an Locations etwa bei einer Festivaltour wie dem Irish Folk Festival. Dabei ist die Aufmachung ganz ähnlich: Drei Bands treten nacheinander auf und am Schluss noch einmal alle zusammen. Nur hat Deutschfolk derzeit nicht mehr oder noch nicht wieder einen vergleichbaren Bekannt- oder Beliebtheitswert wie Irish Folk. Ob dieses Festival daran etwas ändern kann?

Nachdem in der Zeit der Coronalockdowns das Sang-und-Klang-Onlinefestival nicht nur erstmals Gudrun Walther & Jürgen Treyz mit den Grenzgängern in persönlichen Kontakt gebracht, sondern auch die dritte Band des Volksliederfestivals, Bube Dame König, dabei ein schönes Wohnzimmerkonzert geboten hatte, schien die Zeit reif zu sein für eine Tournee mit Festivalcharakter. Der folker besuchte diese an ihrer zweiten Station, dem Eichener Hamer, einer ehemaligen Kantine der Stahlarbeitskräfte Eichens, heute ein Stadtteil von Kreuztal im Siegener Land. Wo damals gegessen wurde, gebe es heute geistige Nahrung, meinte Michael Zachcial von den Grenzgängern in seiner Anmoderation des Abends, in welcher er auch die erste Formation ankündigte, nämlich Gudrun Walther & Jürgen Treyz.

Gudrun Walther & Jürgen Treyz

 

Dieses pfälzisch-schwäbische Ehepaar ist auch unter dem Bandnamen Deitsch bekannt, doch seitdem sich Deitsch zum Quartett erweitert hat, treten sie im Duo unter ihren bürgerlichen Namen auf. Darüber hinaus sind sie noch in anderen Konstellationen aktiv, zum Beispiel seit über zwanzig Jahren in der Irish-Folk-Band Cara. Gudrun Walther war zudem eine der Hauptakteurinnen des Sang und Klang Festivals. Hier nun begannen Sie mit „Wie schön blüht uns der Maien“ und hüllten mit diesem altbekannten Frühlingslied die Halle in ein wohliges Gefühl. Der Ermutigung mitzusingen kam das Publikum zuerst bei „Es waren zwei Königskinder“ nach, wenn auch ein wenig zurückhaltend. Treyz umspielte die Lieder mal sanft, mal pointiert mit seiner Gitarre, Walther griff bei den Zwischenspielen zu Geige oder Akkordeon. Auch reine Instrumentalstücke waren dabei, auf die man hätte tanzen können. Mit dem „Schwäbischen Wirtshauslied“ hatten die beiden zudem das erste von drei Mundartliedern des Abends im Programm.

Jan Oelmann von Bube Dame König übernahm die zweite Ansage zum Auftritt der Grenzgänger. Das Bremer Quartett um Bandleader und Gründungsmitglied Michael Zachcial ist bekannt für seine Konzeptalben, die sich um historische Themen oder Dichter drehen, die die Gruppe musikalisch aufarbeitet. Hier nun gab es eine Mischung aus ihrem reichhaltigen Fundus, beginnend mit „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, bei dem man die bekannte Melodie von Friedrich Silcher durchaus erkannte, die aber auch auf typisch zachcialsche Weise ein wenig verfremdet war, was einige ältere Zuhörer und Zuhörerinnen zu befremden schien. Aber noch mehr als Gudrun Walther brachte Zachcial das Publikum zum Mitsingen, und zwar den Refrain zu „Wem hamse de Krone jeklaut“, dem zweiten Mundartlied, diesmal auf Berlinerisch: „Dem Wilhelm, dem Doofen, dem Oberjanoven, / Dem hamse de Krone jeklaut!“ Und hier sowie bei vielen anderen Liedern erklärte Zachcial den historischen Hintergrund, der in diesem Fall in die Zeit der Novemberrevolution nach dem Ersten Weltkrieg zurückreichte.

Die Grenzgänger

 

Michael Zachcial sang und steuerte Akustikgitarre bei, begleitet und unterstützt von Frederic Drobnjak ebenfalls an der Gitarre, auf welcher er bisweilen an Django Reinhardt erinnerte, sowie von Annette Rettich am Cello und Felix Kroll am Akkordeon. Zusammen zauberten sie einen orchestralen Klang und swingten manchmal jazzig, gerade weil die Nazis den Swing hassten. Die Grenzgänger waren in Moderation und Liedern der politischste Act des Abends und passten so am ehesten in das, was Bernhard Hanneken in seinem Deutschfolk-Buch [Link: https://folker.world/intensiv/mein-michel-was-willst-du-noch-mehr/] beschreibt, auch was die Ernsthaftigkeit angeht. Mit Schillers und Beethovens „Ode an die Freude“ bekannten sich die Grenzgänger zum Abschluss zu einem geeinten, demokratischen Europa.

Nach einer Pause waren dann Bube Dame König aus Halle an der Saale wieder mit einem romantischeren Repertoire an der Reihe, anmoderiert nun von Gudrun Walther. Juliane Weinelt sang mit noch viel höherer Stimme als ihre Kollegin vom Duo Walther & Treyz altbekannte Weisen wie „Nun will der Lenz uns grüßen“, „Wenn alle Brünnlein fließen“ und „Dat du min Leevsten büst“. Das letztgenannte war das dritte und letzte Mundartlied des Festivals, und zwar in norddeutschem Platt. Aber das Trio spielte auch eigene, vom Textdichter Thomas Kolitsch geschriebene Lieder wie das herzergreifende „Stille Nacht im August“ über den Hallenser Straßenmusiker Zither-Reinhold, der rund ums Jahr „Stille Nacht“ spielte – wobei die Melodie des Bube-Dame-König-Songs eher an Irish Folk erinnerte. Tatsächlich zur Melodie eines schottischen Liedes, nämlich von „Bonnie Ship The Diamond“, ist der Text von „Ebereschbaum“ geschrieben, welcher von einem Weitgereisten handelt, der trotz aller wunderbaren Orte, die er besucht hat, sich immer wieder mit seiner Liebsten im Schatten des Eberschbaumes liegen sieht. Außer dass sie sang, spielte Weinelt Querflöte und Maultrommel, zu ihrer Rechten bediente Till Uhlman die Drehleier und links von ihr Jan Oelmann die Akustikgitarre, der zudem bei „Stille Nacht im August“ seine Stimme zum Einsatz brachte. Die Drehleier übrigens musste dem Publikum offenbar eigens vorgestellt werden, was das Los vieler Drehleierspielender ist. Ob es mal wieder so weit kommt, dass das Instrument so vertraut ist, wie es bis ins neunzehnte Jahrhundert der Fall war?

Bube Dame König

 

Wie es sich für ein Festival gehört, gab es zum Abschluss eine gemeinsame Session aller Musikerinnen und Musiker auf der Bühne. Sie sangen „Kein schöner Land“, teils mit den Originalstrophen Wilhelm von Zuccalmaglios, teils mit Strophen aus der Anti-AKW-Bewegung der Achtziger, „Kein wacker Mädchen“ als frühes feministisches Lied aus dem neunzehnten Jahrhundert und „Die Gedanken sind frei“ mit der auf die rhythmische Spielweise gemünzten, nun doch einmal scherzhaften Anmerkung Michael Zachcials, das Lied stamme ursprünglich aus Mexiko. Die drei Lieder waren je eines aus dem Repertoire jeder der drei Bands. Den Abschluss bildete passenderweise „Ade zur guten Nacht“, bei dem das Publikum wieder kräftig mitsang.

alle Bühnenaktiven

 

Die Resonanz auf den Abend war überwiegend positiv. Der eingangs erwähnte ältere Herr war teilweise zufrieden, zwei junge Männer outeten sich, eh schon Fans von Deitsch und Bube Dame König gewesen zu sein, und ein mittelaltes Ehepaar war eigens aus Essen angereist als Weihnachtsgeschenk von ihm an sie und total begeistert. Insgesamt ist diesem Tourneeformat nur zu wünschen, die alten Lieder und Tänze aus fünf Jahrhunderten, die demokratischen, freiheitlichen Texte und die Einflüsse in die Volksmusik von überallher wieder bekannt zu machen und Volkslieder aus den Klauen der Ewiggestrigen und Neurechten zu entreißen! Was die Iren können, müssten wir doch eigentlich auch hinbekommen …

Anm. d. Red.: Wer nach diesem Artikel Appetit bekommen hat, sich das selbst live anzuhören, hat die Möglichkeit, dies bei zwei noch ausstehenden Terminen der Festivaltour zu tun. Und zwar am 19. April in Buchholz und am 20. April in Osterode.

www.volksliederfestival.de
www.walthertreyz.com
www.die-grenzgänger.de
www.neue-volkslieder.de
www.kbemmert.de
www.kreuztal-kultur.de

Volksliederfestival 2024

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