Neue Trends in der Folkmusik

Podiumsgespräch des Preises der deutschen Schallplattenkritik / Stadtbibliothek, Rudolstadt, 6.7.2025

3. Dezember 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

folker präsentiert: Rudolstadt-Festival

Folkmusik unterliegt genauso dem Wandel wie andere Musikgenres, eventuell sogar noch mehr, was der Vorstellung von traditioneller Musik, mit der der Begriff „Folkmusik“ gerne schon mal gleichgesetzt wird, zu widersprechen scheint. Auf dem Rudolstadt-Festival unterhielten sich zwei Mitglieder und Jurorinnen des Preises der deutschen Schallplattenkritik (PdSK), zwei Musiker und eine Musikerin und Musikwissenschaftlerin über die aktuelle Situation der jungen Folkszene in Deutschland und neue Trends im Genre.

Text und Fotos: Michael A. Schmiedel

Von links nach rechts saßen auf dem Podium: Marcus Fabian (Familie Gerstenberg, Jugendfolkorchester), Sabrina Palm (PdSK sowie diverse Bands, u. a. Palm Bay Frost, Reel Bach Consort, im Team des Jugendfolkorchesters), Mitra Behpoori (Universität Weimar, Aban Ensemble), Petra Rieß (PdSK sowie Journalistin beim NDR, folker), Melf Torge Nonn (u. a. Hepta Polka, Trad Quartett). Die Zusammensetzung der drei Interviewten repräsentierte zwei Subgenres der Folkmusik, nämlich die iranische und die deutsche, wobei Mitra Behpoori zudem in Transcultural Music Studies forscht und lehrt. Alle drei waren in den vergangenen Jahren mit Formationen auf dem Rudolstadt-Festival vertreten, Marcus Fabian mit dem Jugendfolkorchester auch 2025. Zudem ist das aktuelle Album der Familie Gerstenberg derzeit für den PdSK nominiert.

Marcus Fabian stammt aus Frankfurt an der Oder. Die Mitwirkung im Jugendfolkorchester empfindet er zum einen wegen des guten Zusammenspiels zwischen Teilnehmenden und Dozierendenteam und zum anderen wegen der sich daraus ergebenden bundesweiten Vernetzung mit anderen Musikschaffenden als großartig. Folkmusik liebt er, weil sie Menschen aus seiner Sicht auf niederschwellige Art auf einer tiefen Ebene berühren kann.

Torge Nonn erzählte, seine Band Hepta Polka habe zuerst als Partyband angefangen, ohne dass sie gewusst hätten, was genau sie da machen. Mit der Zeit sei aber ein Interesse an der Herkunft der Stücke aufgekommen, die von Skandinavien bis in die Türkei reicht, und das Interesse an den regionalen Unterschieden der Musiktraditionen sei gewachsen.

Im Iran, so Mitra Behpoori, gebe es ganz unterschiedliche Wörter für das, was wir „Folkmusik“ nennen. Am häufigsten werde der Begriff „regionale Musik“ verwendet, wobei damit die Musik der verschiedenen Ethnien im Iran gemeint sei, die einfacher und leichter verständlich für das Publikum sei und die Gemeinschaften verbinde.

Melf Torge Nonn

 

Torge Nonn war auch Mitorganisator des fünften DeutschFolk-Festivals von Profolk Ende September 2025, dem sie zugleich den Namen „Nord Folk Festival“ gaben – „Nordfolk“ als Ergänzung zu „Deutschfolk“ und stärker im Vordergrund, um auch junge Leute für Folkmusik zu interessieren, die mit dem Wortbestandteil „Deutsch“ eventuell nationalistische Assoziationen verbinden könnten. Deutschfolk sei zwar das Gegenteil von nationalistisch, aber das wüssten nur Eingeweihte der Szene. Auch hätte man das Spektrum des Festivals über Deutschfolk hinaus erweitert, vor allem hin zum Balfolk, der ein europaweites Repertoire habe. Das bringe nun auch mit sich, dass verschiedene Subgenres der Folkszene miteinander in Kontakt kämen und sich austauschen könnten. Beim Tanzen passiere zudem viel mehr Interaktion zwischen den Menschen, sowohl auf der Tanzfläche als auch zwischen Tanzenden und Musizierenden, als bei reinen Zuhörkonzerten.  

Marcus Fabian beschrieb das Miteinander verschiedener Generationen des Trios Familie Gerstenberg, in dem er spielt, so, dass seine beiden Bandkollegen eine Generation älter seien als er und viel aus ihrer früheren Zeit erzählten und somit Zeitzeugen seien.

Die Vernetzung der Folkszene, so Fabian und Nonn, sei noch im Aufbau. Manche Bands lebten nach wie vor nahe beieinander, ohne voneinander zu wissen. Auch Engagements liefen oft über Mund-zu-Mund-Werbung. Wer Bands kenne und möge, erzähle das weiter. Nicht informierten Veranstaltenden müsse aber immer noch erklärt werden, welche Musik ihnen da angeboten wird.

Behpoori sagte, in den Transcultural Music Studies gehe es zu sechzig Prozent um Musik. Sie sei sehr wichtig, auch für Studierende verschiedener Fachbereiche, die sie befragt hätten. Bezüglich des oft diskutierten Themas der kulturellen Aneignung meinte sie, es komme darauf an, wie man mit Elementen anderer Kulturen umgehe. Oft gehe es ja nicht einfach nur um eine Vermischung, sondern um das Erschaffen von Neuem, um eigene Interpretationen.

Nonn meinte dazu, es sei wichtig, sich intensiv mit dem zu beschäftigen, das man spielen möchte. Dann sei es auch nicht schlimm, Elemente verschiedener Kulturen zu mischen. Fabian ergänzte, es sei doch eh immer so gewesen, dass die Musikschaffenden international miteinander vernetzt waren, dass Musik weitergereicht wurde, sodass man Stücke in weit voneinander entfernten Notensammlungen finden kann. Und auch heute beeinflusse die Popmusik die Folkmusik, was den Aufbau der Stücke angeht, mit A- und B-Teil, Akkorden, Rhythmen. Tanzmusik müsse in die Beine gehen und die Leute von den Sitzen reißen, egal ob beim Pop oder beim Balfolk. „Es muss ins Ohr gehen, tanzbar sein, einfach Spaß machen und leicht verdaulich sein.“

Ein weiteres Thema war das Verhältnis von Gemeinschafts- und individueller Musik. Nonn erklärte, dass bei der Session des Verbands Profolk, die am Festivalfreitag stattfand, vor allem Gemeinschaftsmusik gespielt und gesungen wurde, bei der alle zusammen ein Stück spielen oder ein Lied singen. Aber es gebe auf den Festivals auch offene Bühnen, auf denen Musikschaffende ihre eigenen Stücke und Lieder aufführen, teils selbst geschrieben, teils gecovert, aber selbst arrangiert. Insofern habe im Folk beides seinen Platz. Aber die individuellen Persönlichkeiten spielten auch bei der Gemeinschaftsmusik eine wichtige Rolle, so auch beim Jugendfolkorchester.

In Bezug auf die politische Gefahr, entweder von rechts vereinnahmt oder aber die Förderungen – sofern es überhaupt welche gibt – gestrichen zu bekommen, meinte Fabian, in Frankfurt (Oder) hätte der bisherige Oberbürgermeister die Kultur immer gut gefördert, was nach der nächsten Wahl aber unsicher sei, da er in die Landespolitik gewechselt ist. Insgesamt aber gebe es in Deutschland eben fast keine Förderung der Folkmusik, und auch in den Schulen inklusive der Musikschulen komme sie kaum vor, sagte Nonn.

Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass die Folkszene in Deutschland von der Wiederentdeckung vergessener Musik, der Pflege regionaler Traditionen, der Offenheit für Einflüsse von anderen Musikkulturen und -genres und von der individuellen Kreativität ihrer Aktiven gleichermaßen profitiert, dass sie aber einerseits noch klein und andererseits doch nicht leicht überschaubar ist und Netzwerke vor allem durch persönliche Bekanntschaften existieren. Die Folkies sind sich auch gar nicht im Klaren darüber, ob sie es größer und massenkompatibler wollen, so gerne sie auch Werbung für ihre Musik machen und sich über wachsende Bekanntheit freuen würden.

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Aufmacher:
Podium des PdSK in Rudolstadt 2025 (v. l. n. r.): Marcus Fabian, Sabrina Palm, Mitra Behpoori, Petra Rieß, Melf Torge Nonn

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