Im Gegensatz zu den Erfahrungen vieler anderer seines Metiers war 2021 für Wolfgang Niedecken ein erfolgreiches Jahr. Zwar fielen die aktuelle BAP-Tour und vor allem das große Geburtstagskonzert in der Kölnarena zu seinem Siebzigsten aus, doch der kölsche Jung beeindruckte mit einem gefeierten Soloprogramm über Bob Dylan. Neben kölschen Versionen der Songs des Nobelpreisträgers las Niedecken dabei aus seinem aktuellen Buch Wolfgang Niedecken über Bob Dylan. Der BAP-Frontmann war 2017 maßgeblicher Teil der Arte Produktion Bob Dylans Amerika. In seinem Buch schildert Niedecken die Erlebnisse auf den Spuren seines Vorbildes, die ihn vom New Yorker Greenwich Village, wo Dylans Karriere begann, über dessen Geburtsort Duluth bis nach San Diego führten, wo der US-Musiker live in einem Casino spielte. Wer sich allerdings erhofft hatte, vom erklärten Dylan-Fan mehr über die US-Liedermacher-Ikone zu erfahren, der wird enttäuscht. Dylan ist für Niedecken nur das Mittel, um über sich selbst, seine Familie, BAP sowie den Einfluss des US-Musikers auf seine Songs zu schreiben. Selbst die beiden kurzen persönlichen Begegnungen mit Dylan waren unspektakulär. Zudem hat Niedecken viele der Geschichten bereits in seinen beiden Biografien Für ’ne Moment und Zugabe zum Teil ausführlicher erzählt. Wer also genauer erfahren möchte, wer der Kölner Rocker eigentlich ist, sollte sich lieber der zweiten neuen Niedecken-Buchveröffentlichung 70 Jahre widmen. Sie umfasst die beiden Biografien in einer überarbeiteten Neuauflage. Niedeckens Schilderungen sind immer dann besonders spannend, wenn sein Geltungsbewusstsein in den Hintergrund tritt und er offen beschreibt, was ihn wirklich bewegt hat. Dazu zählen vor allem seine Missbrauchserfahrungen im Schulinternat bei Bonn sowie sein Engagement für Kindersoldaten in Afrika, aber auch seine Zeit als Kunststudent sowie die Anfänge von BAP und das spätere zwiespältige Verhältnis zum Gitarristen Klaus „Major“ Heuser. Berührend ist zudem seine Auseinandersetzung mit dem 2011 erlittenen Schlaganfall und der Konfrontation mit dem Tod. Die Warnung hat der leidenschaftliche Texter ernst genommen und einen Gang runtergeschaltet. Doch das Rampenlicht wird er weiterhin suchen, bis es nichts mehr zu erzählen gibt.

Erik Prochnow