Seit 2002 lebt die Bandleaderin Ganna Gryniva in Deutschland. Zeit für die heute 33-jährige Jazzmusikerin, in ihrer ehemaligen Heimat nach ihren musikalischen Wurzeln zu forschen. Das Ergebnis ist energetisierend. Nicht nur wegen Grynivas ausdrucksstarker Stimme. Es ist auch das kraftvolle Spiel ihrer vier Mitstreiter an Saxofon, Klavier, Bass und Schlagzeug, das vom ersten Ton an in den Bann zieht. Zudem ist die Reise zu ihren Wurzeln persönlich und politisch zugleich. Anhand neu entdeckter traditioneller Lieder zieht das fünfköpfige Ensemble eine enge Verbindung zwischen der Geschichte der Ukraine und dem aktuellen schrecklichen Leid der Menschen. Das Stück „Kalyna“ zum Beispiel wurde bekannt, weil es ein bewaffneter ukrainischer Soldat vor einer Kirche sang, nachdem Russland das Land im vergangenen Jahr angegriffen hatte. Das Wiegenlied „Kolyskova“ wiederum erinnert die Sängerin an die Geschichte eines Babys, das bei einem Raketenangriff in Odessa starb. „Plyve Kacha“ wurde bereits 2013 zum Requiem für die Menschen, die ihr Leben für die Demokratie auf dem Maidan opferten. Schließlich ist auch die Geschichte des Lieds „Strokova“, in dem zwei junge Menschen von ihren Eltern fortgeschickt werden, weil diese sie nicht mehr ernähren können, brandaktuell. Ein intensives Album, das trotz aller Trauer und allem Schmerz viel Hoffnung ausstrahlt. Hörenswert.
Erik Prochnow
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