Die drei Musikerinnen von Ganes aus Südtirol singen in der kaum bekannten Sprache der dortigen ladinischen Minderheit. Zudem gestalten sie als Instrumentalistinnen mit pop- und weltmusikalischen Arrangements ihre folkloristischen Wurzeln neu. Doch wer glaubt, dies seien schlechte Voraussetzungen für eine Musikkarriere, irrt gewaltig. Ihre Einzigartigkeit geriet dem mutigen Frauentrio vielmehr zum Vorteil.
Text und Fotos: Hans-Jürgen Lenhart
„Mein Mann hat eine gut bezahlte Stelle für mich aufgegeben. Da bekam er sehr viel Unverständnis in seinem Umfeld zu hören.“
Seit zwölf Jahren nehmen Ganes eine Sonderstellung in der Szene der Neuen Volksmusik ein. 2010 wurde die Gruppe von den Schwestern Elisabeth und Marlene Schuen und ihrer Cousine Maria Moling aus La Val in den Dolomiten gegründet. Hier spricht man die rätoromanische Sprache des Ladinischen, die insgesamt noch dreißigtausend Menschen in Südtirol sprechen. Inzwischen wurde Moling von der deutschen Bassistin Natalie Plöger ersetzt und live ergänzt Gitarrist Raffael Holzhauser die Band.
Schon früh setzten Ganes Drumcomputer ein oder sangen auf Englisch eingesungene Versionen ihrer Lieder. Ihren Wurzeln blieben sie dennoch treu. So ist ihr Album An Cunta Che („Man erzählt, dass …“) von 2016 den Dolomitensagen gewidmet. Ihr neues, inzwischen sechstes Album Or Brüm („Das blaue Gold“) widmet sich dem Thema Wasser, von der Meeresverseuchung mit Plastik bis zur Wertschätzung als Lebensgrundlage. Kein Wunder, denn in den ladinischen Sagen sind die Ganes zumeist gutartige Wasserfeen.
Musikalisch verflechtet das Trio seine folkloristischen Wurzeln voller elfenhaftem Satzgesang, Hackbrett- und Geigenklängen sowie Jodlern mit Sequenzerrhythmen und Lapsteelsounds, arrangiert die Lieder zwischen Tango, Pop und verträumten Balladen bis hin zu düsteren Experimentalklängen. Live hört man zudem ebenso slawische Tanzrhythmen, Ariengesang oder gar ein Bluesriff. Zwar sind ladinische Sagenmotive und Folklore eine Inspirationsquelle ihrer Musik, aber mit der traditionellen Musikszene Südtirols haben Ganes nichts mehr zu tun. „Wir treffen uns oft zum Proben im Dorf unserer Eltern, wohnen aber seit zwanzig Jahren in Deutschland und spielen dort am meisten“, erklärt Marlene Schuen. „Es ist bei uns ein bisschen wie bei Giorgio Moroder, der Discoikone, der ja aus unserm Nachbartal stammt und ebenfalls in die Welt hinausging. Unser Vater hat neben dem Traditionellen auch ihn gehört. Das hat unseren Horizont früher mit erweitert.“
Die stilistische Mischung von Ganes entstand in der Zeit des sich offen entwickelnden Alpenrocks, als sie in der Band von Hubert von Goisern spielten und sangen. Als rein weibliche Gruppe mit einem im Grunde wagemutigen Konzept setzten sie sich schnell in der männlich dominierten Musikszene durch und wurden in Bezug auf die ladinische Musik sogar zu Pionierinnen. Marlene Schuen glaubt aber nicht, dass dies einer männlichen Band leichter gelungen wäre: „Es kommt mehr darauf an, die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, und wenn man keine Kompromisse in Richtung Radiotauglichkeit machen will, zu erkunden, wo man seine Hörerinnen und Hörer wirklich findet.“
In ihrem Publikum erkennt man heute weder eine geschlechter- noch altersgemäße Gewichtung, und inzwischen stehen die Individualität ihres Sounds und ihre musikalische Vielfalt bei den Hörerinnen und Hörern längst im Vordergrund gegenüber der Besonderheit, eine Südtiroler Band zu sein. Zu Beginn ihrer Karriere spielten Ganes mit zwei Musikern der Von-Goisern-Band zusammen. „Die hatten die Einstellung, sie müssten uns unerfahrenen Mädels so ein bisschen zeigen, wie man’s macht. Davon mussten wir uns zunächst freistrampeln“, meint Elisabeth Schuen, und Marlene ergänzt: „Beim Produzieren hatten wir damals noch keine klare Vorstellung, wo es hingehen soll. Inzwischen wissen wir das aber genau, und damit man uns da nicht zu sehr reinredet, bereiten wir unsere Produktionen akribisch vor. Einen weiblichen Boss gibt es dabei aber nicht. Wer einen Song schreibt, der kann da auch die Führung in dem Moment übernehmen, aber im Songwriting selbst haben wir ein Gleichgewicht.“
Es gibt viele Gründe, warum Frauen in der Musikszene unterrepräsentiert sind. Bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist Elisabeth Schuen trotz inzwischen dreier Kinder allerdings eine interessante Ausnahme gegenüber dem Rollenklischee. „Nach der Geburt meines ersten Sohnes bin ich gleich wieder auf Tournee gegangen. Man muss eben alles viel besser planen, braucht aber auch einen Mann, der das mitmacht. Meiner ist ebenfalls Musiker, der zudem viel spielt. Wir teilen uns das jedoch so auf, dass immer jemand daheim ist, der auf die Kinder aufpasst. Mein Mann muss also auch für meine drei Jungens kochen können. Er hat eine gut bezahlte Stelle an einer Musikhochschule für mich aufgegeben. Da bekam er sehr viel Unverständnis in seinem Umfeld zu hören. Eine derartige Rolle haben Männer lange nicht annehmen können, weswegen eben mehr Männer auf Tour sind.“
Was bei Ganes ebenfalls auffällt, ist, dass die Frauen Multiinstrumentalistinnen sind. Studien zeigen, dass der Anteil der Instrumentalistinnen unter Musikerinnen seit Jahrzehnten unter zehn Prozent liegt. Die Geschwister Schuen verweisen dabei auf ihren familiären Hintergrund. „Unser Vater brachte uns dazu, Geige zu lernen und damit Musik zu studieren. Kurz vorm Studium entschieden wir uns zwar, lieber Gesang zu studieren, verlernten Geige zu spielen aber nicht. Da wir komponieren wollten, war es sinnvoll, andere Instrumente wie Gitarre und Klavier dazuzulernen. Und weil wir uns auch in der Begleitung abwechseln wollen, kommt es öfter dazu, weitere Instrumente auszuprobieren. Aber mittlerweile wagen Frauen sich auch an andere Instrumente im Vergleich zu früher, sonst hätten wir keine Kontrabassistin. Frauen sind durchaus im Vormarsch, nur auf wichtigen Festivals sieht man bislang kaum Frauenbands.“
In den Dolomitensagen sind die Ganes Wesen, die demjenigen, der sie sieht und ihren Gesang hört, Glück oder auch Unglück bringen können, je nachdem, wie man sich ihnen gegenüber verhält. Dies mag ein Denkanstoß für die Musikszene in Hinblick auf Musikerinnen allgemein sein.
Tourdaten siehe folkerkalender.de
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