Oriane Lacaille

Kreolisch wie ein Bonbon

21. Januar 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Die Musikerin, Sängerin, Autorin und Komponistin Oriane Lacaille beendet Konzerte in einer Art Trance, dank der Percussioninstrumente und des Gesangs des Trios. Es folgen ein Solo der Schlagzeugerin und eine Jazzimprovisation, bevor die Trompete die Melodie wieder aufnimmt: Diese Musik lebt. IViV ist der Titel ihres ersten Albums, übersetzt „Das lebt“. Lacaille präsentierte es im Juni 2024 auf dem Festival Musiques Métisses im westfranzösischen Angoulême und dann auf einer Herbsttournee in ganz Frankreich. Sie ist die Tochter René Lacailles, einer musikalischen Legende von der französischen Überseeinsel La Réunion. In Angoulême hatte Oriane Lacaille auch Zeit für ein Gespräch.

Interview: Martina Zimmermann

Alle kennen deinen Vater René Lacaille, lass uns also von deiner Mutter sprechen …

Meine Mama ist ein außergewöhnlicher Mensch, und man spricht nicht oft über sie! Sie ist heute in Rente, war Lehrerin für Latein und Griechisch, unterrichtete auch eine Zeit lang Französisch, eine Frau mit viel Wissen, sehr kultiviert. Sie kennt sich sehr gut aus mit der Geschichte der Zivilisationen, das antike Griechenland gehört zu ihren Spezialgebieten. Sie liebt Wörter und Poesie. Ich bin also aufgewachsen zwischen meinem Papa, der die ganze Zeit Akkordeon spielt, ständig mit Musik im Haus und mit kreolischen Rhythmen der Réunion-Insel, und einer Mama, die sich mit Symbolik, Wörtern und Poesie beschäftigt. Beide haben mich sehr beeinflusst. Ich bin in der Nähe von Grenoble in den Bergen aufgewachsen, jetzt lebe ich in Sète.

Du bist von klein auf mit deinem Vater auf Tour gegangen, hast mit ihm auf der Bühne gestanden. Aber wer seinen eigenen Weg gehen will, muss sich auch lösen. Wie hast du das geschafft?

Ich gehe diesen Weg schon eine Weile. Seit ich dreizehn war, habe ich meinen Vater auf der Bühne begleitet. Mit zwanzig begann ich mit eigenen Bands, mit Musikschaffenden, die nicht aus meinem Milieu und meiner Familie kamen. Das ist siebzehn Jahre her. Seit fünf Jahren begleite ich meinen Papa nicht mehr auf der Bühne, meine eigenen Projekte nehmen meine ganze Zeit in Anspruch. Seit siebzehn Jahren komponiere ich selbst, teile meine Musik mit anderen, das ist ein langer, langsamer Weg. Ich denke nicht, dass ich mich komplett lösen kann, und ich habe auch nicht unbedingt Lust dazu.

La Réunion, der Geburtsort deines Vaters, bleibt in deiner Musik sehr präsent.

Das ist meine Grundlage. Ich habe mit ihm gelernt, das hört man in meiner Musik und noch mehr auf meinem Album iViV. Ich hatte Lust, zur Musik meiner Kindheit und meiner Familie zurückzukehren. Aber ich bin den Weg auf meine Art und Weise angegangen.

Oriane Lacaille

Foto: Missjena

Darauf sind mit Sega und Maloya Stile von La Réunion zu hören und Instrumente der Insel.

Ja, die Rhythmen kommen aus dem Sega und dem Maloya. Rhythmus ist wichtig. Ich habe mit Percussion angefangen und spiele nun auch kleine Gitarren, Ukulele und Awisha, eine Gnawa-Gitarre. In meiner Musik haben auch Stimmen einen wichtigen Platz. Wir sind zu dritt auf der Bühne und singen die ganze Zeit. Wer mit mir Musik macht, muss nicht nur die Musik La Réunions spielen, sondern auch singen können. Héloïse Divilly spielt Schlagzeug und Percussion und singt. Sie stammt von La Réunion, ist dort aufgewachsen und lebt seit rund zehn Jahren in Frankreich. Sie hat eine Jazzausbildung am Schlagzeug. Yann-Lou Bertrand spielt Bass, Trompete, Flöte und singt. Er kommt nicht von La Réunion, aber er hat großes Talent und mit vielen verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen gearbeitet, ist viel gereist. Das hört man in seiner Musik. Er kann sich wie ein Chamäleon an verschiedene Stile anpassen. Yann-Lou hat ebenfalls eine Jazzausbildung.

Er gehört zu dieser Generation von französischen Musikschaffenden, die eine breite Palette bedienen können. Ray Lema sagte einmal, diese neue Generation kann alles, Gnawa Beat oder Raï-Musik und Soukous oder andere Afrostile. Ihr seid alle Beispiele dafür.

Es hängt davon ab, in welchem Milieu du aufwächst. Wir kennen eine Menge von Musikstilen und hatten die Möglichkeit, Konzerte mit unterschiedlichster Musik zu erleben. Ich mische etwas Pop dazu. Das betrifft auch die Arrangements und die Bearbeitung des Sounds. In dem Sinne unterscheide ich mich von meinem Vater. Er mischte zwar auch viel, zum Beispiel mit Jazz, afrikanischer Musik oder Stilen aus Madagaskar. Ich spiele gerne mit anderen Popeinflüssen.

Was bedeutet Kreolität für dich im Jahr 2024? Es gibt die Sprache Kreolisch und viele Fragen zur Identität der Réunion-Insel im Pazifik. Was ist die moderne Version von Kreolität?

Ich wohne nicht auf La Réunion, aber ich fühle mich kreolisch. Kreolisch, weil ich mit einem Papa aufgewachsen bin, der im Exil lebt. Ich besuche die Insel regelmäßig, die ganze Familie meines Vaters lebt dort. Ich habe daher einen Bezug zur Kreolität, der manchmal der Fantasie entspringt. Weil ich weit weg bin und mir manches nur vorstellen kann. Und gleichzeitig fühle ich die Verbindung sehr stark. Ich hörte vor Kurzem einen Podcast mit dem Titel: „Sind wir heute alle Kreolen?“ Das fand ich sehr interessant. Ich denke, Kreolität ist heute sehr breit gefächert. Das Wort hat eine Geschichte, hängt mit Kolonisierung zusammen, wurde ein Begriff, der auch die Sklaven und ihre Kinder und Nachkommen miteinschließt. Es ist ein sehr intensives Wort mit einer intensiven und nicht immer sanften Geschichte. Gleichzeitig liebe ich es zu sagen: „Ich bin Kreolisch“. Das klingt letztendlich wie ein Bonbon.

Ich finde, man könnte manche Songs auch in die Kategorie „Französisches Chanson“ einordnen – wohlwissend, dass fremde Klänge seit jeher das Chanson beeinflusst und bereichert haben. Wann singst du auf Französisch, wann auf Kreolisch?

Das hängt vom Song ab. Manche sind nur auf Kreolisch, manche nur auf Französisch, andere sind gemischt. Das entscheidet der Song. Wenn ich schreibe, lasse ich mich vom Lied führen. Als ich meinen eigenen Weg in der Musik ohne meinen Papa ging, war ich viel im Chansonmilieu unterwegs. Mit dem Duo Titi Zaro war das wirklich eine Mischung aus Einflüssen kreolischer Musik und französischem Chanson. Ich mache damit weiter in einem Duo namens Bonbon Vodou mit meinem Ehemann, da vermischen wir weiter diese Einflüsse. Das hört man auch in meiner eigenen Musik.

Foto: Martina Zimmermann

Lass uns über die Texte reden.

Ich habe mit Schreibwerkstätten begonnen und so meine Songs getextet. Das hat mich befreit. In diesen Kursen nutzt man sogenannte „Schreibzwänge“ – Schreibübungen, die einem erlauben, einen Rahmen zu finden. Manche Lieder kommen auch von allein, ohne Zwang oder Spiel mit dem Text.

„Wenn ich schreibe, lasse ich mich vom Lied führen.“

Das sind magische Augenblicke, die kreative Menschen kennen. Inhaltlich bewegt oder begeistert mich vieles, ich lese auch viel. Ich habe Lieder, die sehr intim sein können und zum Beispiel einen Traum erzählen. Manchmal inspiriert mich ein Buch oder eine Situation, die ich erlebt habe. Und manchmal will ich mich zu etwas äußern. Manche Themen sind wichtig, wie etwa Gewalt in der Ehe. Ich habe einen Song über Geflüchtete und ziehe eine Parallele zur Sklaverei – er heißt „Lam La Mer“, mein Papa spielt darin das Akkordeon. Leider ist es für mich ein Beispiel dafür, wie sich Geschichte wiederholt. Und da kommen wir auf meine Mama zurück, die viel über Geschichte weiß und, wenn etwas passiert, den Zusammenhang herstellen und sagen kann, in jener Epoche ist das passiert und das wiederholt sich heute. In „Lam La Mer“ habe ich mir ein Boot vorgestellt, dieselben Wellen, dasselbe Wasser, dieselben Peitschen … Auf diese Art habe ich das Thema bearbeitet.

www.orianelacaille.com

www.youtube.com/@orianelacaille

Foto: Cahuate Milk

Aktuelles Album:

iViV (Ignatub/Galileo MC, 2024)

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