Die Musikbranche steht vor sehr schwierigen Zeiten. Energiekrise und Corona könnten für viele Kulturschaffende und Veranstaltende das Aus bedeuten. Der folker sprach mit dem selbständigen Musikmanager und Ratsmitglied der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft Mike P. Heisel darüber, wie dramatisch die Lage der Branche tatsächlich ist, wie die Bundesregierung die Probleme verschärft und wie die Musiker und Musikerinnen unterstützt werden müssten.
Interview: Erik Prochnow
Herr Heisel, wie sehen Sie die aktuelle Lage der Künstler und Künstlerinnen sowie der Veranstaltungsbranche angesichts der drohenden Energiekrise und einer möglichen neuen Coronawelle?
Veranstalter sind Optimisten und ziehen daraus ihre Schaffenskraft. Wir hatten gehofft, dass das Geschäft ab dem Sommer wieder läuft, die Aufträge kommen und Planungssicherheit eintritt. Wir dachten, es wird besser, aber das ist nicht der Fall.
Aber die Aufträge haben doch seit dem Frühjahr wieder zugenommen und Tourneen laufen?
Das stimmt. Aber das Publikum ist nicht in dem Maße wie vor der Pandemie zurückgekommen. Und für den Herbst und Winter sowie das nächste Jahr haben bereits etliche Künstler ihre Tourneen abgesagt. Berühmte Beispiele sind Revolverheld oder The Jeremy Days.
Woran liegt das?
Die Bundesregierung hat ohne Not wieder Panik geschürt, dass erneut eine Coronawelle drohe. Damit hat sie viel Unsicherheit verbreitet, ob Veranstaltungen begrenzt oder überhaupt durchgeführt werden können. Seit Wochen versuchen wir daher, alle unsere politischen Kontakte über die tatsächliche Situation in der Veranstaltungsbranche aufzuklären und hoffen, dass die Regierung die Branche mit den noch zur Verfügung stehende Mitteln über den Winter bringt.
Wie bedrohlich ist die Situation gerade für die Musikerinnen und Musiker?
Sehr kritisch, vielleicht sogar dramatisch. Viele haben ihre Reserven in den vergangenen zweieinhalb Jahren aufgebraucht. Die staatlichen Hilfen waren überschaubar, wenn sie denn überhaupt angekommen sind. In einer teuren Stadt wie München waren die Überbrückungshilfen ein Tropfen auf den heißen Stein und nach zwei Jahren ausgegeben. Und jetzt kommt das Publikum vor allem bei weniger bekannten Künstlern und Künstlerinnen nicht zu den Konzerten zurück. Udo Lindenberg oder Coldplay haben das Problem nicht.
Was ist der Grund?
Im Falle der verschobenen Konzerte haben viele Besucher einfach vergessen, dass ihre Tickets noch gültig sind. Oder sie haben Angst vor einer Ansteckung. Die Abwesenheit lag teilweise bei bis zu dreißig Prozent. Aktuell sind es immer noch zehn bis fünfzehn Prozent. Ich erlebe das gerade mit den Künstlern, die ich manage, wie schwer es überhaupt ist, Konzerte zu planen oder Engagements zu bekommen.
Was kritisieren Sie konkret an der Bundesregierung?
Die aktuelle Situation wird von einer drohenden Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges überschattet. Dennoch schafft es der Gesundheitsminister, zusätzliche Ängste zu schüren. Der Konzertszene droht eine schwindende Kaufkraft der Besucher und damit eine sinkende Bereitschaft, Tickets für Liveacts zu kaufen. Höhere Preise für Energie, Inflation und die kommende Rezession führen außerdem zu steigenden Kosten bei den Veranstaltern. Das alles wird vor allem die kleinen und mittleren Künstler treffen. Das ist schlimmer als Corona.
Weshalb?
Wenn es zu einer Energiekrise kommt, wird man sehr schnell diskutieren, ob Konzerthäuser beheizt werden sollen, da sie meist mit Gas versorgt werden. Jetzt schon muss die Außenbeleuchtung ab 22 Uhr ausgeschaltet werden. Die Regierung müsste also dringend über Notfallpläne für Künstlerinnen reden. Denn das ist derzeit das größte Problem, vor allem für die, die nur in Deutschland auftreten. Ich glaube dagegen nicht, dass wir wieder eine Pandemienotlage erleben werden.
Was macht Sie so sicher?
Viele Virologen halten die Maßnahmen, die verabschiedet wurden für übertrieben. Auch der Blick nach Österreich oder in die Schweiz zeigt, dass dort die Lage ganz anders eingeschätzt wird. In Österreich waren bereits seit Mai Konzerte ohne Masken und Tests möglich. Die Schweiz hat alle Maßnahmen aufgehoben. Außerdem gibt es dort keine Pläne für den Herbst. Deutschland geht dagegen einen Sonderweg. Nicht nur gibt es Gesetze. Dadurch, dass jedes Bundesland auch noch selbst entscheiden kann, welche Maßnahmen es umsetzt, entstehen ein Flickenteppich und Unplanbarkeit. Selbst der Deutsche Kulturrat hat sich dazu geäußert, dass es keine Kapazitätsgrenzen für Konzerte mehr geben dürfe.
Was fordert die Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft?
Wir sind der Meinung, dass wir vielmehr auf Eigenverantwortung setzen können. Fast neunzig Prozent der Menschen in Deutschland haben Antikörper gegen SARS-CoV-2. Es gibt ja keine Besuchspflicht für Konzerte. Jeder Mensch entscheidet selbst, ob er eine Liveveranstaltung besuchen will. Deshalb fordern wir keine Kapazitätsbegrenzungen mehr. Wenn Maßnahmen erforderlich werden sollten, dann sollte man sie auf das Tragen von Masken begrenzen. Je nach Lage ist auch eine Testpflicht in Ordnung. Darüber hinaus hat jeder Veranstalter genauso wie Kirchen ein Konzept für Hygienemaßnahmen. Die muss man einfach nur anwenden und nicht dauernd irgendetwas Neues auflegen.
Welche Vorteile hätte das?
Es würde ganz einfach das Wirrwarr aus 2G, 3G, Maske ja oder nein verhindern, das wir erlebt haben. Für den gesunden Menschenverstand ist doch klar, dass sich das überhaupt nicht kontrollieren lässt.
Und wie wollen Sie die Künstlerinnen und Künstler finanziell unterstützen?
Die Verantwortlichen in der Regierung und den Ministerien haben oft keine Ahnung, wie Künstler arbeiten und Konzerttage ablaufen. Wir haben einen großen Aderlass in der Musikszene erlebt. Viele Künstler oder Techniker sind in normale Berufe gewechselt. Lichttechniker schrauben jetzt Solarpaneele auf Dächer und haben eine bessere Lebensqualität, weil sie ihre Familien abends sehen. Falls es erneut zu einer pandemischen Lage kommen sollte, müssen daher die Hilfsprogramme wieder aufgelegt und alle bislang nicht ausgegebenen Mittel bis April ausgezahlt werden. In dem Fonds der Bundesregierung für Künstler sind noch über eine Milliarde Euro, weil viele Festivals nicht abgesagt wurden.
Wie kann das gelingen, wenn die Politik die Arbeitsweise der Branche nicht versteht?
In der Bundeskonferenz führen wir sogenannte „Behind-the-Scenes“-Touren für Abgeordnete und Verantwortliche in Städten durch. Wir zeigen den Parlamentariern, wie umfangreich vor allem zeitlich die Organisation eines Konzerts ist. Sie lernen den Bühnenaufbau kennen und haben Gelegenheit, sich mit den Mitgliedern der Crew zu unterhalten.
Was halten Sie von einem Grundgehalt für Kulturschaffende, wie es in Frankreich existiert?
Ich unterstütze das. Aber Frankreich ist ein zentrales System, Deutschland wird föderal regiert. In Frankreich hat Kultur einen hohen Stellenwert und dort kann Musik viel leichter zentral durch die Regierung gefördert werden. Viele Künstler wie etwa Patricia Kaas, die ich immer wieder beraten habe, konnten durch gezielte finanzielle Unterstützung durch den französischen Staat den Grundstein für ihren Erfolg legen. Mittlerweile haben wir ähnliche Programme in Deutschland. Ein Grundgehalt für Kulturschaffende scheitert jedoch leider bereits auf Bundesebene.
Initiative für Musiker und Musikerinnen
Im Gegensatz zu ihren Schauspielkolleginnen und -kollegen tut sich die heterogene Welt der Musikschaffenden schwer, sich genreübergreifend für die eigenen Belange zu organisieren. Doch jetzt kommt Bewegung in die Branche. Nach der Initiative Alarmstufe Rot hat sich das Netzwerk Musik in Freiheit formiert. Ausgehend von einem Manifest aus dem November 2021, das sich gegen die Coronamaßnahmen und einen vermeintlichen Gruppenzwang zur Impfung richtete sowie künstlerische Teilhabe für alle forderte, ob geimpft oder nicht, setzen sich inzwischen rund achthundert festangestellte und freiberuflich tätige Musiker und Musikerinnen von Klassik bis Pop dafür ein, das Überleben der Musikkultur zu sichern.
„Nicht zuletzt durch die Pandemie erleben wir eine Bedrohung, uns in unserer Kreativität frei, ohne Einschränkungen entfalten zu können, und darauf versuchen wir, eine Antwort zu finden“, sagt Hilmar Kupke, Bratschist im Orchester der Stadt Regensburg und einer der Sprecher des Netzwerks. Sein Kollege, der freiberufliche Kölner Pianist und Arrangeur Gero Körner, ergänzt: „Alle sind unter Druck, und es ist nicht abzusehen, wie viel Kultur angesichts einer steigenden Inflation in Zukunft noch übrigbleiben wird.“ Durch Auftrittsverbote und Beschränkungen sei für viele die wirtschaftliche Basis weggebrochen, was sich durch das Schüren von Coronaängsten und steigenden Energiepreisen noch verschärfe. Ohne einen guten Vorverkauf sei für viele Veranstaltende die Finanzierung von Konzerten unmöglich.
Obwohl die Initiative durchaus ganz unterschiedliche Ansichten über die aktuelle Lage vereint, teilt das Gros der Mitglieder dieselbe Grundhaltung. „Wir wollen einen echten Dialog mit der Öffentlichkeit und der Politik etablieren, ohne dass man für eine kritische Haltung zu getroffenen Maßnahmen gleich ausgegrenzt wird“, sagt Kupke. Viele Musikschaffende hätten einfach Angst, sich zu Themen kritisch zu äußern, weil sie ihre Engagements verlieren könnten. Dabei geht es den meisten gar nicht nur um die Folgen der Pandemie oder mögliche Auswirkungen einer Energiekrise. Die Betroffenen stellen grundsätzlich die Strukturen der Branche in Frage. Dazu zählen unter anderem strenge Hierarchien in Orchestern, der große Druck bei Vorspielen, zu niedrige Gagen freier Musiker und Musikerinnen, die ausbleibende beziehungsweise geringe Vergütung im Internet, den weitverbreiteten Anspruch von Kultur zum Nulltarif oder eine fehlende finanzielle Grundsicherung. Dabei setzen sie vor allem im Fall von Coronamaßnahmen auf Freiwilligkeit und das Entwickeln von kreativen Auftrittsmöglichkeiten. Kupke: „Uns geht es im Netzwerk nicht um einen Selbstzweck, sondern um die Weiterentwicklung einer blühenden Kulturlandschaft für unsere Gesellschaft.“
Erik Prochnow
Erstunterzeichnende der Initiative aus dem folker-Spektrum sind etwa Thomas Felder, Franziska Urton, Hans Söllner und Julia Neigel.
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