Entdeckergeist wiedererwecken

Song, Folk & World im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

13. Juli 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Im September 2024 stellten die Klassik- und Kulturwellen der ARD die konkrete Planung des neuen gemeinsamen Abendprogramms vor. Für den folker Anlass genug, das Ergebnis der Reform im Hinblick auf Folk und Weltmusik anzuschauen.

Text: Redaktion

In den Monaten davor hatte die Ankündigung der geplanten Sparmaßnahmen in Bezug auf die Kulturprogramme von ARD, ZDF und Deutschlandradio für Aufruhr gesorgt: Aufgrund hoher Kosten und eines zu alten Publikums sähe sich die Politik zu einschneidenden Reformen gezwungen, hieß es in der Pressemeldung, und dass laut Reformstaatsvertrag der Bundesländer bis zu sechzehn Radioprogramme sowie die Fernsehkanäle 3sat, Phoenix, Tagesschau24 und ZDFinfo wegfallen könnten.

Ganz so drastisch ist es nun doch nicht gekommen: Die Wellenchefs der Kulturradios einigten sich auf ein gemeinsam gestaltetes Abendprogramm, das vor allem dienstags, donnerstags und freitags versucht, die Stärken der einzelnen Sender einzubringen und gleichzeitig die verschiedenen Musikgenres zu berücksichtigen. Und wie es für die ARD in solchen Diskussionen typisch ist, versuchte man die Quadratur des Kreises. In der Pressemitteilung der Rundfunkanstalt heißt es, dass die „popkulturell orientierten Wellen der ARD“ – wie zum Beispiel Bremen Zwei oder MDR Kultur – „von Montag- bis Donnerstagabend ein eigenes, gemeinsames Programm mit Soul, Jazz, Singer-Songwriter, Folk und Musikkulturen“ gestalten.

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Martin Laurentius, Redakteur des Magazins Jazzthing, hat die Kulturradioreform in Bezug auf den Jazz unter die Lupe genommen, und das Ergebnis fiel nicht so schlimm aus wie befürchtet: Die einstmals gut 150 Sendestunden Jazz pro Monat im ARD-Hörfunk sollten auf 16 eingedampft werden. Das ist nicht eingetreten. Längst ist der Jazz durch seine Komplexität und Akademisierung auch in der deutschen Hochkultur angekommen und hat eine Lobby. Das gilt für Musikgenres wie den Folk oder die Musik anderer Kulturen allerdings kaum.

„Die Medienlandschaft hat sich massiv verändert.“

Zwar haben sich viele Kulturwellen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren – teilweise in panischem Nachholbedarf – popkulturell orientiert, doch das Musikgenre Folk bleibt nach wie vor ein Spurenelement. Ein deutsches Problem, so scheint es: „Deutschland ist das einzige Land, in dem die Headliner von Folkfestivals nicht aus dem eigenen Land kommen“, sagte Gudrun Walther 2022 auf einer Podiumsdiskussion beim Rudolstadt-Festival – wir berichteten. Diesen Umstand spiegeln auch die Radiokulturprogramme wider, die überwiegend europäischen oder internationalen Folk spielen. „Headliner“ findet man eher im Bereich „World Music“. Dieses Label ist stilistisch flexibel und hat es klassischen Konzertveranstaltern daher leichter gemacht, entsprechende Reihen in ihre Programme zu integrieren.

Der Begriff „World Music“ wird seit den Achtzigerjahren zur Umschreibung von Musikrichtungen verwendet, die Einflüsse aus westlichen und außereuropäischen Ländern vereinigen. Namen wie Youssou N’Dour, Papa Wemba oder Salif Keita sind längst Klassiker. Und Jazz, Pop und westeuropäische Klassik sind ohne Einflüsse von Musik aus aller Welt kaum mehr denkbar. Doch der Einfluss des Folk ist begrenzt – oder wird selten als solcher bezeichnet. Ein weites Feld, das einen eigenen Artikel verdient.

Eine Recherche in den Programmschemata und der ARD Audiothek zeigt, dass die Programmverantwortlichen sich immerhin nicht gänzlich davon verabschiedet haben. Zwei Stunden „Folk und Welt“ gibt es wöchentlich in der gleichnamigen von MDR Kultur produzierten Sendung beziehungsweise dem Podcast. Dieses seit Jahren gepflegte Format war im Zuge der Reform sogar von einer auf zwei Stunden ausgeweitet worden. Dafür wurden andere Formate wie etwa „Songs und Chansons“ oder „Deutschszene“ zugunsten der kooperierten Abendstrecke ab 21.00 Uhr ersatzlos gestrichen. Viele Autorinnen und Autoren haben dadurch auch Arbeitsmöglichkeiten verloren, und durch die Kooperation ist die Anzahl der Stimmen, die über Folk in der ARD sprechen, kleiner geworden. Ist es wirklich erstrebenswert, nur eine einzige Rezension zu einem aktuellen Album, sei es Folk, Klassik oder Pop zu hören?

Ein Flaggschiff der Folk und Weltmusik ist weiterhin „Musik der Welt“ von BR Klassik, immer samstags um 19.05 Uhr und sonntags um 23.03 Uhr. „Ein internationales Autoren-Team präsentiert Musik rund um den Globus, vom Porträt bis zum Konzertmitschnitt“ (br-klassik.de). Die seit Jahren kenntnisreich gebaute Sendung „Voyages – Musik der Welten“ auf SR Kultur vom Saarländischen Rundfunk bietet weiterhin immer sonntags ab 18.00 Uhr (nach dem Hörspiel) zwei Stunden Weltmusik, die den Begriff „Folk“ zwar nicht nutzt, die Musik aber im Programm vorkommen lässt. Keinesfalls unterschlagen darf man die Sendung „Open World“ von WDR 3, immer montags und mittwochs um 23.03 Uhr. Und beim Deutschlandfunk sorgt Tim Schauen als fester Redakteur für Blues, Folk, Rock und Singer/Songwriter regelmäßig für spannende Neuvorstellungen und Spezialsendungen aus seinem Bereich. Auch in den Konzertstrecken am Abend kann man – zugegeben sehr selten – fündig werden. Und für bewegtes Bild lohnt die Recherche in der ARD Mediathek.

Dennoch: Im Tagesprogramm kommt Folk abseits aktueller Berichterstattung als Musikfarbe kaum vor. Das ist nicht erst seit der Reform so. Die Klagen darüber und der konstante Verweis auf den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind ebenfalls nichts Neues. Es ist schlicht und ergreifend eine Tatsache, dass sich die Medienlandschaft massiv verändert hat. Das enorme Wachstum der Podcastangebote greift viele Spezialthemen auf. Tatsächlich haben sich gerade die jüngeren Generationen damit auch vom zunehmend engen, sich selbst im Format erstickenden Radioprogramm zu befreien versucht.

Dass es allerdings selbst unter den Podcasts kaum Folkformate gibt, ist nicht den Rundfunkanstalten anzulasten. Hier stellt sich eher die Frage: Welche Bedeutung hat Folkmusik momentan generell in Deutschland? Werden „Late Night Sounds“ und Playlists bei Streamingdiensten genügen, um dieses Genre abzubilden? Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass es seit einigen Jahren eine wachsende junge Folkszene gibt. Eine, die gerade dabei ist, sich selbst zu finden und zu beschreiben, und der es noch an einer entsprechenden Lobby fehlt. Diese Szene, diesen von Können und Neugier geprägten Musiknachwuchs, sollten die Kulturwellen und ihre Macherinnen und Macher nicht übersehen. Dafür allerdings müssten sie ihren Entdeckergeist wiedererwecken. Ob das geschieht, bleibt abzuwarten.

Foto: Andrzej Rembowski, Pixabay

2 Kommentare

  1. Liebes Folker-Team,

    Habt ihr die Sendung „Tonart“ auf Deutschlandfunk Kultur absichtlich nicht aufgeführt – weil sie nicht in der Audiothek zu finden ist, oder weil vier Stunden mitten in der Nacht vielleicht doch etwas lang und spät sind?

    Mir war natürlich klar, dass euer Artikel keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Aber Wolfgang Meyering macht „Tonart Global“ und „Tonart Americana“ ja nun doch schon seit einigen Jahren – und das mit beeindruckender fachlicher Expertise!

    Dass das ausgerechnet beim Folker nicht bekannt sein soll, wundert mich dann doch ein bisschen.

    Und nur zur Info: Um diese (und andere) Sendung regelmäßig zu hören, muss man sich übrigens nicht mal die Nacht um die Ohren schlagen. Im Internet gibt’s komfortable und kostenlose Software, die die komplette Sendung automatisch aufnimmt und auf der eigenen Festplatte ablegt.

    Viele Grüße aus Hamburg

    Sabine Thess

    Antworten
    • Liebe Sabine,
      herzlichen Dank für den Hinweis. Selbstverständlich wird niemand Wolfgang Meyerings Expertise ignorieren oder gar in Frage stellen. Wolfgang zählt seit Jahrzehnten zu den absoluten Kompetenzen unserer Szene. Uns ging es jedoch um den generellen Umgang mit unseren Musiksparten bei den Öffentlich Rechtlichen und da macht ein Meyering leider noch lange keinen spürbaren Unterschied.
      Beste Grüße von Rhein
      =Mike= (für die Redaktion)

      Antworten

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