„Ich mag überdramatische Musik“

Die finnische Akkordeon-Visionärin Johanna Juhola im Porträt.

6. März 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Es gibt Alben, die berühren einen. Musik, die irgendetwas in einem anstößt, so wie wenn ein Kristallglas zu schwingen und klingen beginnt, wenn man nur richtig über den Rand streicht. Das sind nicht viele Alben, zugegeben. Und manchmal kommen sie aus einer Ecke, die man so gar nicht auf dem Schirm hat. Umso schöner ist es, zumal es ein wirklich seltener Moment ist. Johanna Juhola ist mit „A Brighter Future“ ein solches Album gelungen.
Text: Wolfgang Weitzdörfer (zuerst (4. März 2024) erschienen auf www.akkordeon.online)

Einem Erweckungserlebnis kommt es gleich, wenn die ersten Klänge des Opener „Training Montage Quadrille“ erklingen. Die 46-jährige Finnin, die in Helsinki lebt und schon seit vielen Jahren aus der Akkordeon-Szene nicht wegzudenken ist, freut sich über diese Reaktion. „Wow, das ist natürlich toll! Ich muss sagen, dass ich manchmal durchaus zu wissen glaube, was ich da aufgenommen habe. Aber es ist nie vorherzusagen, wie die Leute darauf reagieren.“

Johanna Juhola feiert aktuell ihr 40-Jähriges als Musikerin. „Ich war sechs Jahre alt, als ich mit dem Klavier begonnen habe – an der Musikschule mit klassischer Ausbildung. Ungefähr um die gleiche Zeit herum hatte ich als Hobby auch finnische Volkstänze“, erinnert sie sich zurück. Ein wesentlicher Teil der Tanzproben ist das Akkordeon gewesen. Es ist der kleinen Johanna direkt aufgefallen. „Weil es so viele Knöpfe hatte und der Balg sich so schön bewegte. Mich haben damals mechanische Maschinen sehr fasziniert.“

Foto: promo

Mit neun Jahren bekommt sie ihr erstes Akkordeon, erlernt es und spielt vor allem klassische Musik, aber auch als Begleitung zu den Volkstänzen. Die Liebe zur Folklore wächst vor allem im Teenager-Alter, auch weil sie in Musik-Sommer-Camps die Freiheit hatte, eigene Stücke zu komponieren. „Und viel zu improvisieren. Das war in der Musikschule nicht möglich.“ Recht schnell ist sie von der „magischen Welt der finnischen Foklore und Musik“, so drückt Johanna Juhola es aus, gefangen. Einflüsse dieser Zeit sind Maria Klaniemis und Timo Alakotilas und ihre zeitgenössische Mischung aus Fusion und Folk. Die Musikerin bleibt dem Akkordeon treu, spielt aber bis heute auch Klavier und Harmonium.

Auf die Frage, wie viel Finnland in ihrer Musik steckt, wird die 46-Jährige nicht gerade einsilbig. Aber sie scheint es selbst nicht so ganz zu wissen. Wer sich aber in der finnischen Musik-Szene auskennt, wird ihr zustimmen, wenn sie sagt: „Viele finnische Musikkollegen bekommen im Ausland gesagt, dass alle Finnen ganz unterschiedliche Musik machen. Erwarte das Unerwartete, so sagen sie. Ich glaube, dass genau das auch das finnische Element in meiner Musik sein könnte – neben Tango und finnischer Volksmusik“, sagt sie. Und wer sich Stücke wie „Pachinko sensei“ mit seinen elektronischen Spielereien anhört, oder „Elektroniikakerho“ mit seinen wunderbaren Harmonien, die so ganz unerwartet daherkommen, der wird dem fraglos zustimmen.

Foto: promo

 

Ein Titel wie „A Brighter Future“ mag ironisch klingen, wenn man sich in der Welt umsieht, die verrückter und zerstörerischer denn je wirkt. „Das ist es aber nicht. Es ist ein hoffnungsvoller Titel. Der Name kommt aus der Entstehungsgeschichte, die sich wegen der Corona-Pandemie länger als geplant hingezogen hat. Als langsam klar wurde, dass das Album doch erscheinen wird, dass alles irgendwie wieder zur Normalität zurückkehrt und dass Gigs und Reisen wieder möglich sind, habe ich beschlossen, es so zu nennen“, sagt Johanna Juhola. Natürlich, so sagt sie weiter, könne man den Titel ganz unterschiedlich interpretieren, in Richtung Weltfrieden, Gleichheit unter den Menschen, Klimawandelt und so weiter. „Es gibt auf dem Album auch einen Song über Krieg. Aber: man muss Hoffnung für ‚A Brighter Future’ haben. Das mag jetzt hoffnungslos naiv klingen, ist es aber meiner Meinung nach nicht. Warum? Weil Kunst und Kultur, weil Musik einen großen Anteil daran haben, dass Menschen zusammenkommen und einander verstehen lernen“, sagt die Finnin.

Dazu passt, dass Johanna Juhola zugibt, dass sie während der Aufnahmen recht oft gelacht hat. „Wenn mich etwas in meiner Musik zum Lachen – oder zum Weinen – bringt, dann ist es gut. Und wenn ich glaube, dass darin von etwas ein bisschen zu viel enthalten ist, ja, dann ist es sicher genau richtig dosiert“, sagt sie. Die Aussagen passen besonders gut zu „Pachinko sensei“, diesem wunderbaren Kleinod, das einen mehr als nur berührt, es macht gute Laune, zaubert einem ein Lächeln oder auch ein Lachen ins Gesicht. „Ich mag diese überdramatische Musik, manche etwas albernen und verrückten Dinge. Und ich mag die Kombination aus Zerbrechlichkeit und dem Pompösen“, sagt Johanna Juhola.

    Hier geht es zur Rezension des Albums „A Brighter Future“ von Johanna Juhola. Johanna Juhola | folker.world

    Wenn man der Finnin so zuhört, dann kann man glauben, dass sie voll und ganz für und in ihrer Musik lebt. Allerdings hat sie eine zweite Leidenschaft, der sie viel Zeit widmet, wenn sie nicht gerade komponiert oder probt – oder sich im Fitnessstudio fit hält für ihr nicht gerade leichtes Instrument. „Ich höre praktisch ständig Hörbücher, komme so auf um die 70 Bücher im Jahr. Ich lese nicht so viel, weil ich gerne in Bewegung bin, stillsitzen ist nichts für mich“, sagt sie lachend. Gelesen wird nur für ihren Buchclub, den sie mit ein paar Freunden betreibt. „Die Bücher, die wir dort lesen, gibt es normalerweise nicht als Hörbuch. Ach ja, und seit drei Monaten lerne ich Japanisch – auch wenn ich keinen wirklichen Grund dafür habe. Aber es ist schon nett, ein paar Brocken in japanischen Filmen verstehen zu können.“ Und dann lacht sie wieder.

    www.johannajuhola.net/

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