Margareth Menezes

Brasiliens singende Kulturministerin

4. Dezember 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Mit Margareth Menezes kam im Juli nicht nur eine der bekanntesten Sängerinnen Brasiliens nach Frankfurt am Main, sondern auch die erste Kulturministerin Brasiliens seit sechs Jahren, in denen das Amt quasi abgeschafft war. Ihr Auftritt symbolisierte insofern auch die Rückkehr Brasiliens auf die Konzertbühnen Europas, nachdem Stars von dort zuletzt immer seltener wurden.

Text: Hans-Jürgen Lenhart; Übersetzung O-Töne: Nana Pastorello

Menezes‘ Axé Music bewegt sich zwischen Sambareggae und brasilianischem Pop. Wuchtige Trommeln, zum Mitsingen animierende Melodien und tanzbare Rhythmen bestimmen ihren Sound. Seit den Achtzigerjahren gehörte sie zu den Ersten, die die Musik des Straßenkarnevals in Bahia auf die Konzertbühnen brachte. Aber eine Karnevalssängerin als Kulturministerin? Was in Deutschland kaum vorstellbar ist, geschieht in Brasilien im Prinzip bereits zum zweiten Mal. Nach Gilberto Gil, der das Amt von 2003 bis 2008 bekleidete, wurde nun im Januar 2023 mit Margareth Menezes wieder ein Musikstar in das Amt berufen. Eine schwarze Frau, die direkt aus der Kulturszene kommt, ist vielleicht die richtige Antwort auf die kulturverachtende Abschaffung des Kulturministeriums unter dem rechtsnationalistischen Präsidenten Jair Bolsonaro und dessen Vorgänger Michel Temer.

Ausgerechnet Brasilien, das in kultureller Hinsicht bekannteste Land Lateinamerikas, leistete sich eine Art Zerschlagung der eigenen kulturellen Identität. Und zusätzlich setzte während der dramatischen Zeit der Coronapandemie, in der andere Länder – zumindest ansatzweise – die Kultur vor dem wirtschaftlichen Absturz zu retten versuchten, Bolsonaros Politik noch zum Doppelschlag an. Die Kulturförderung wurde auf ein Minimum reduziert und kritische Kulturschaffende wurden kriminalisiert. Selbst die Karnevalsumzüge waren in ihrer Existenz bedroht. Bolsonaro versuchte beispielsweise Chico Buarque, eine Ikone der brasilianischen Musik und inzwischen weltweit anerkannter Schriftsteller, an der Verleihung des wichtigsten Literaturpreises zu hindern. Dagegen empfahl Bolsonaro Studierenden bei einer Rede in einer Universität ernsthaft, lieber Literatur von schreibenden Folterknechten der einstigen Militärdiktatur zu lesen. Kein Wunder, dass Buarque inzwischen auf der Straße von Nationalisten bedroht wurde. Brasiliens Kultur drohte in dieser Zeit international in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Auf Menezes wartet nun insofern eine gewaltige Aufgabe. Als parteilose Politikerin und beliebter Star hat sie aber die Chance, nicht als pure Gefolgin des linken Präsidenten Lula da Silva gesehen zu werden, sondern die gespaltene Kulturgesellschaft wieder einander näherzubringen.

„Als ich anfing, gab es in Brasilien wenig Information zur Kultur Afrikas, nicht mal in den Schulen.“

Doch sollte man über ihrem Amt Menezes‘ musikalische Leistungen nicht vergessen. Die 1962 in Salvador de Bahia geborene Sängerin begann ihre Karriere im dortigen Karneval, aber auch als Theaterschauspielerin. Talking-Heads-Sänger David Byrne wurde auf sie aufmerksam, produzierte 1990 ihr zweites Album Elegibô. Damit hatte sie internationalen Erfolg, stand elf Wochen auf Platz eins in den amerikanischen Weltmusikcharts, noch bevor ihre Produktion in den restlichen Teilen Brasilien außerhalb von Bahia publik wurde. Mit ihrer energetischen Musik konnte sie danach weltweit touren, kam 1995 auch nach Deutschland. 2001 war es Carlinhos Brown, der erfolgreich ihr Album Afropopbrasileiro produzierte, und 2003 landete sie mit dem darauf befindlichen „Dandalunda“ einen großen Karnevalshit. Danach versuchte sie, ihren Sound poppiger zu gestalten, was nur teilweise von den Fans akzeptiert wurde. Aber sie kann auch anders. 2010 wurde eine Akustikversion ihres Albums Naturalmente aus dem Jahr 2008 veröffentlicht, auf dem Gäste wie der portugiesische Sänger Luis Represas mitwrikten. Zur Entwicklung der Axé Music in den letzten Jahrzehnten meint sie: „Meine Generation erzählte die Geschichte der schwarzen Völker Brasiliens mit musikalischen Mitteln, denn Ende der Achtzigerjahre, als ich anfing, gab es in Brasilien wenig Information zur Kultur Afrikas. Nicht mal in den Schulen wurde das vermittelt. In Bahia, wo ich herkomme, haben sich die unterschiedlichsten Rhythmen afrikanischer Völker vermischt. Daraus entwickelte sich eine konzeptionelle Musik, die dazu diente, unsere Identität zu definieren.

Foto: Pedro França, Ministerio de Cultura, Wikimedia CC BY 2.0

Gleichzeitig drängten immer mehr kommerzielle Musikstile nach vorne. Neue Generationen bringen dadurch ihre Einflüsse und neue Technologien in die afrobrasilianische Musik ein. Ebenso haben die Afrobrasilianer und Indigenen ihre Musik vermischt. Sie zeigen dabei viel Diversität und kämpfen so gemeinsam gegen die Macht der Kolonialisierung und Diskriminierung.“

Margareth Menezes will daher Schluss machen mit der Ausgrenzung des afrobrasilianischen Teils der Bevölkerung, der Indigenen, der LGBTQ-Community oder von Feministinnen in der Kulturszene. Jegliche Kulturschaffende tragen für sie zur Identität des Landes bei. So will Menezes die böse Titulierung dieser als „Parasiten des Systems“ unter Bolsonaro vergessen machen. Entsprechend sollen auch abgelegene Gebiete gefördert werden. Kulturelle Bildung, digitale Zugänglichkeit des Kulturerbes und internationale Zusammenarbeit will sie ebenfalls unterstützen. Doch was ist nach Bolsonaros Kahlschlag übriggeblieben?

„Es ist gut für die Musik, wenn mehrere Versionen eines Liedes existieren.“

„Als Gilberto Gil unter Lula Kulturminister war, wurden die kulturellen Produktionen des ganzen Landes beachtet, nicht nur die aus Rio oder São Paulo. Gil war er der Erste, der in die Städte außerhalb der großen Metropolen ging, um sich mit lokalen Akteuren und Akteurinnen zu treffen. Diese Dezentralisierung hatte dann zur Folge, dass im ganzen Land ein kulturelles Netz entstanden ist. Lokale Kulturinitiativen wurden von den Gemeinden anerkannt oder übernommen, und das hat dem Ganzen eine solide Basis gegeben. Diese Vernetzungen bestehen noch. Ich kann jetzt darauf aufbauen. Ein neues Kulturfördergesetz regelt zudem die Zuständigkeiten dafür. Und alles, was wir in der Folge machen, hat viel mit Zuhören zu tun.“

Dabei baut Menezes auf die Kooperationsfähigkeit der Kulturschaffenden. Zumindest in der Musikszene lebt sie diese vor. 2002 arbeitete sie mit Marisa Monte (siehe aktuellen Livebericht hier), Carlinhos Brown und Arnaldo Antunes bei deren Tribalistas-Projekt zusammen. Ein Beispiel für Zusammenarbeit von vielen aus ihrer Karriere. Daher ist sie optimistisch: „In Brasilien findet sich selten Konkurrenz unter Musikschaffenden. Das gehört nicht zu unserer Natur. Es stört mich zum Beispiel nicht, wenn jemand anderes ein Lied singt, das ich aufgenommen habe. Es ist gut für die Musik, wenn mehrere Versionen existieren.“

Bleibt zu hoffen, dass sich ihre Einstellung auf die gespaltene brasilianische Gesellschaft im Kulturbereich überträgt. Margareth Menezes hat für das Amt ihre Karriere nicht abgebrochen, sondern setzt auf Teilzeit. Dadurch kann sie jetzt ihre Axé Music zurückbringen, die den meisten als die letzte große Nummer aus Brasilien in Erinnerung sein dürfte.

www.margarethmenezes.com.br

Aktuelles Album:

Autêntica (Estrela do Mar, 2019)

Ein Livebericht zu einem Auftritt von Margareth Menezes im Sommer 2024 in Frankfurt (Main) findet sich hier.

Aufmacher:

Foto: José de Holanda

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