Audio mp3: »Persischer Flamenco – alte Liebe neu entfacht«, 7:05 min
In ihrer Heimat ein No-Go – singende und musizierende Frauen – und daher überwiegend fernab von dieser ansässig und aktiv: Exzellente Musikerinnen aus dem Iran haben sich weltweite Anerkennung verschafft. Ein wichtiges Exil ist Kanada, wohin auch die Teheraner Sängerin Farnaz Ohadi als Teenager kam. Nach vielen Jahren in Vancouver lebt sie aktuell in Sevilla – der Liebe zum Flamenco wegen.
Text: Katrin Wilke; Fotos: AIR Music
Die Musik, die sich unter ihren Landsleuten allgemeiner Beliebtheit erfreut, war zunächst, beim Hören im musikbegeisterten Elternhaus im Iran, gar nicht so ihr Ding. Doch dann entflammte just auch in Andalusien, quasi über geografische und kulturelle Umwege, eine Liebe auf den zweiten Blick. „Etwas geschah, als ich all die arabischen Schriften in der Alhambra in Granada sah, etwas ganz Reales also“, erzählt Farnaz Ohadi. „Meine Eltern liebten Geschichte sehr, hatten viele Bücher darüber. Der größte Raum in unserem Haus war der mit Büchern. Und sie sprachen viel über die Kraft der Worte – gerade im Iran, wo diese wie auch viele Bücher verboten waren. So begriff ich die Stärke, die in der Übertragung des Wortes liegt, und die Idee von Poesie, fühlte mich mit etwas viel Älterem, über meine Vorstellungskraft Hinausreichendem verbunden. Und dann die Musikalität, die Molltonart und diese speziellen phrygischen Flamencoskalen – all das machte etwas mit mir. Auch, dass alles einem Schmerz, der Beschränkung und Wut entspringt. All das birgt der Flamenco musikalisch, vermittelt sich, auch wenn man das Gesungene nicht versteht.“
Hierfür ist Ohadis Spanisch mittlerweile besser. Aus einem geplanten Jahr in Sevilla zwecks intensiver Beschäftigung mit dem Flamenco wurden bald vier, die nun auch das überwiegend mit spanischen Musikern erarbeitete Album Breath hervorbrachten. Den Titel assoziiert die charismatische Feministin und Mutter dreier Söhne vor allem mit Freiheit und Empowerment. „Als Frau aus dem Iran wäre es ihnen nur allzu lieb, ich würde verschwinden, keinen Laut von mir geben, statt offen zu reden. Insofern beanspruche ich Atem und Raum für mich, erlaube mir zu sagen: ‚Hier bin ich!‘ Denn es wäre ja so einfach aufzugeben, sich kleinzumachen, zu sagen: ‚Oh, ich bin nicht gut genug, bin nur eine Frau, eine Mutter.‘ Um all das dreht sich das Album, das doch wie eins über die Liebe klingt. Um die geht es auch in vielen Texten, doch auch um die Friedensliebe, die zu deinen Kindern, dazu, sich auszudrücken, ein Vermächtnis zu hinterlassen, ein Ziel, eine Leidenschaft zu haben.“
„Ich beanspruche Atem und Raum für mich.“
Für die durchweg im eher weich anmutenden Farsi intonierten, mit emblematischen Flamencostilen und -musiken kombinierten Texte schöpft die Künstlerin, die auch eine große Bewunderin Federico García Lorcas ist, aus dem Werk von Menschen aus dem Iran verschiedenster Zeiten: zeitgenössische Poeten und Poetinnen wie uralte ikonische Dichter und Denker wie Rumi oder Hafez. Sie selbst denke nicht ans Liedtexten – angesichts des „immensen, unglaublichen Schatzes persischer Poesie“. „Die ist für mich so göttlich, aber auch kompliziert, eine geradezu künstlerische Wissenschaft, mit der nicht bloß etwas mitgeteilt werden soll. Daher auch mein großer Respekt vor den Poeten. Die entsprechenden Gedichte auszuwählen, ist ein komplexer Prozess. Zunächst muss klar sein, dass die Kadenz der Poesie innerhalb des jeweiligen Liedrhythmus’ funktioniert, dazu aber auch die Textbedeutung passt. Denn jeder Flamencostil hat seinen Charakter – mal geht es mehr um Kontemplation, mal mehr um Lebensfreude, um den Tod, um Religiöses. Entsprechend sorgfältig suche ich die Poesie aus, um sicher zu sein, der jeweiligen Grundform des Flamenco gerecht zu werden.“
Was dabei herausgekommen ist, sind gewissermaßen neue Kompositionen, die nicht das ohnehin etwas notdürftige Etikett „Fusion“ verdienen. Farnaz Ohadi spricht hierbei gern von einer „einzigen Stimme“, die da letztlich erklingt. In den Liedern, die teils auch noch einmal in instrumentaler Fassung in der stattlichen Sammlung des Albums enthalten sind, geht es auch um heftige Themen, etwa häusliche Gewalt oder, wie in „Requiem 752“, um die Opfer des Flugzeugs, das 2020 auf dem Weg von Teheran nach Kiew vom Iran abgeschossen wurde. Entsprechend intensiv und doch wohlklingend auch die Stimme von Farnaz Ohadi, die in Kanada klassischen und persischen Folkloregesang studiert und sich dort auch schon mit Flamenco beschäftigt hat. Mal ist sie gesanglich mehr bei der eigenen Tradition, dann wieder dem Cante Flamenco teils verblüffend nah. Das ist bemerkenswert, denn anders als den durchaus erlern- und überzeugend interpretierbaren Ausdrucksformen – Tanz, Gitarre und andere mittlerweile im Flamenco etablierte Instrumente – ist dem Cante von nicht aus Spanien Stammenden so gut wie gar nicht beizukommen.
Nicht verwunderlich daher, dass die auch dem Tanz zugeneigte Iranerin schon jetzt in der Flamenco-Community als „Botschafterin des persischen Flamenco“ gilt. Dass diese sie inzwischen als eine von ihnen schätzt, lassen auch die live und im Aufnahmestudio mit ihr arbeitenden Musikschaffenden vermuten. Mit der renommierten, aus Sevilla stammenden Cantaora Esperanza Fernández als wichtige Lehrerin und Mentorin im Rücken konnte Farnaz Ohadi für Breath zum Beispiel auf den Flamencogitarristen Gaspar Rodríguez zählen, auch musikalischer Leiter bei der Arbeit am Album. Zu den vielen eingeladenen Instrumentalisten gehören die mit Flamenco und Musik aus aller Welt vertrauten Saitenvirtuosen Amir John Haddad alias El Amir an Bouzouki und Banjo sowie Alexis Lefevre an der Geige. Von zentraler Bedeutung bei dieser spanisch-iranischen Annäherung ist Ohadis Landsmann, der in Toronto lebende Santurmeister Amir Amiri.
Dem iranisch-US-amerikanischen Künstler Reza Saleh ist das ausgesprochen schöne Albumartwork zu verdanken. Dort fallen die vielen stilisierten Vögel auf, denen die Sängerin offenbar sehr zugetan ist und einst ihren allerersten Flamencosong widmete. „Als ich klein und die Lage im Iran schon nicht sehr gut war, da schaute ich viel und mit Neid den fliegenden Vögeln nach. Lange bevor ich daran dachte, mein Land gen Kanada zu verlassen. Die Vögel leben einfach, singen ganz unbekümmert und natürlich. Selbst wenn sie eingesperrt sind in kleine Käfige, was mir im Grunde entspricht: Ich mag von einem Käfig umgeben sein, vor allem damals im Iran, aber ich singe so oder so, so wie es in der Natur des Vogels ist.“
Aktuelles Album:
Breath (AIR Music, 2025)







0 Kommentare