Wowakin

Eine Schauspielerin findet ihr Glück in polnischer Folkmusik

22. Januar 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

„Wenn ich Tanzmusik spiele und die Menschen tanzen, bin ich glücklich“, sagt Paula Kinaszewska. Sie war Schauspielerin und ist jetzt mit dem Trio Wowakin eine der wichtigsten Folkmusikerinnen Polens. Wowakin steht für urwüchsige dörfliche Tanzmusik, gespielt mit Eleganz, Esprit und Leichtigkeit..

Text: Christian Rath, Fotos: Bazyli Czern

Was bedeutet eigentlich der Bandname? Ganz einfach: „Wo-Wa-Kin“ steht für die ersten Buchstaben der Nachnamen der drei Bandmitglieder Bartłomiej Woźniak (Percussion), Mateusz Wachowiak (Akkordeon) und Paula Kinaszewska (Geige). Im Bandnamen steht Kinaszewska zwar am Ende, weil es besser klang. Aber eigentlich ist sie die Gründerin der Band und immer noch ein bisschen die Chefin.

Geige hat Paula Kinaszewska als Kind schon gespielt. Als sie acht Jahre alt war, schickten ihre Eltern sie auf die Musikschule. Sie war gut, aber mit fünfzehn hatte sie keine Lust mehr auf klassische Musik. Später wurde sie Schauspielerin, spielte zwanzig Jahre lang am Theater, aber auch gelegentlich in Fernsehserien. Doch ihr fehlte etwas. Sie nennt es „Tiefe, Tradition“. Sie wollte wieder Musik machen. Ihr wichtigster Lehrer wurde der über neunzig Jahre alte Tadeusz Jedynak, der nicht mehr gut hörte und auch nicht mehr so gut spielen konnte. Doch aus alten Aufnahmen – da war Jedynak dreißig Jahre jünger – rekonstruierte sie seinen Stil.

 

Um traditionelle Musik zu machen, brauchte sie nun aber auch eine Band. Nach einigem Suchen fragte sie ihren Ehemann Bartłomiej (Bartek) Woźniak: „Willst du für mich trommeln?“ Woźniak ist ausgebildeter Jazzmusiker und Komponist. Doch mit traditioneller polnischer Musik hatte er bis dahin nichts anfangen können. Sie überredete ihn. Jetzt findet er traditionelle Musik „fantastisch“.

„Urwüchsig-komplexe Dorfmusik, gespielt mit Eleganz und Raffinesse.“

Mateusz Wachowiak war Theatermusiker und hatte eigentlich ebenfalls kein Interesse an Dorfmusik. Aus Mitleid kaufte er einem Freund ein altes Akkordeon ab; es war ein dreireihiges chromatisches Knopfakkordeon, wie es früher die Dorfmusikanten spielten. Als er auf dem alten Ding mit seinem komplizierten Fingersatz erste Melodien spielen konnte, kontaktierte er Paula Kinaszewska. Doch die lehnte zunächst ab. Sie wollte allein improvisieren und sich nicht absprechen. Schon gar nicht wollte sie ein lautes und dominantes Akkordeon in der Band. Auch in der Dorfmusik hatten die Akkordeons die einst typischen Geigen zunehmend verdrängt. Doch Wachowiak ließ nicht locker. Er schlug vor, für ein begrenztes Projekt zusammenzuarbeiten – einen Auftritt beim Festival Nowa Tradycja („Neue Tradition“). Sie probten einige Stücke, bewarben sich, wurden eingeladen und errangen auf Anhieb den dritten Platz. Nun war auch Paula Kinaszewska überzeugt. So entstand Wowakin. Das war 2016.

Das erste Album Kraj Za Miastem definierte den typischen Sound des Trios: urwüchsig-komplexe Dorfmusik, gespielt mit Eleganz und Raffinesse. Dazwischen immer wieder Stücke von himmlischer Schönheit und federnder Leichtigkeit wie „Kujawiak Rytla“ und „Lec Glosie Po Rosie“. Geige und Akkordeon haben zueinandergefunden, ergänzen sich wunderbar. Sowohl Paula Kinaszewska als auch Bartek Wozniak singen. Zu vielen Stücken kann man tanzen, insbesondere wenn man polnische Tänze wie Oberek und Kujawiak kennt.

Das erste Album war durch Repertoire aus der Region um Radom in Zentralpolen geprägt, wo Kinaszewskas Lehrer Jedynak gelebt hatte. Der Fokus des zweiten Albums Wi​ą​zanka lag weiter im Osten, in der Heimat ihrer Mutter. Vom Stil her war es ähnlich, herausragend das berührend-melancholische „Wianeczek“.

Ganz frisch liegt nun auch das dritte Album Latem vor, wieder mit verschleppt-verschnörkelter polnischer Tanzmusik. Gewöhnungsbedürftig ist zwar der gelegentliche Einsatz eines Retro-Synthesizers. Wunderschön ist aber das wiegenliedartige „TamTa Dyna“. Auch der Song „Kujowina“ bezaubert – die erste Eigenkomposition Kinaszewskas für Wowakin. Vielleicht der Beginn einer neuen Entwicklung für das Trio.

www.facebook.com/wowakin.music

www.youtube.com/@WoWaKin

Aktuelles Album:

Latem (Eigenverlag, 2024)

Am Anfang stand ein Maler – Eine kleine Skizze der polnischen Folkmusik

„Der Maler Andrzej Bieńkowski ging in den Achtzigerjahren auf die polnischen Dörfer, weil er gern charaktervolle alte Männer malte“, erzählt Paula Kinaszewska von Wowakin. Dabei stieß er auch auf alte Musiker, deren Musik er bei der Gelegenheit aufnahm. Weil er selbst kein Musiker war, gab er die Bänder an junge Leute weiter, die etwas damit anfangen konnten. Außerdem sollten die Jungen selbst zu den alten Dorfmusikanten gehen – „… macht schnell, sie verkaufen schon ihre Instrumente!“

Der Geiger und Akkordeonist Janusz Prusinowski lebte damals mit befreundeten Musikerinnen und Musikern in einem Haus bei Lublin. Als Band Bractwo Ubogich („Bruderschaft der Armen“) brachten sie die alte, rohe Dorfmusik erstmals in Städten auf die Bühne oder spielten zum Tanz. Die Bruderschaft bestand nur von 1992 bis 1994, doch gingen aus ihr wichtige Bands des polnischen Folkrevivals hervor, vor allem die Janusz Prusinowski Kompania und die Kapela Bródow; auch der Sänger Adam Strug und die Sängerin Agata Harz waren damals schon dabei.

In den Neunzigerjahren gingen auch die Musikerinnen und Musiker der Kapela ze Wsi Warszawa (international bekannt als Warsaw Village Band) auf die Dörfer. Sie wollten die alte Musik aber nicht rekonstruieren, sondern nahmen sie als Inspiration für Neues.

Obwohl es inzwischen viele Bands und Festivals gibt, ist die polnische Folkmusik im eigenen Land wenig bekannt. „Wir sind immer noch Underground, aber wir wachsen stetig, vor allem die Jungen sind interessiert“, erzählt Paula Kinaszewska.

Die nationalpopulistische PiS-Regierung förderte, wie früher schon die Kommunisten, vor allem die farbenprächtigen Folkloreensembles. Weil aber auch die Dörfer Gelder für die „Traditionspflege“ bekamen, konnten sie damit Bands wie Wowakin einladen. Die neue Tusk-Regierung sieht Kinaszewska mit Sorge. „Das sind Liberale, die interessiert vielleicht nur, was sich verkaufen lässt.“

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