Dialektmusik in allen Himmelsrichtungen (4)

Der Westen – Zwischen Alltagssprache und Sprachenrettung

17. Oktober 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Die Situation für Mundartmusik ist je nach Region in Deutschland unterschiedlich. Mancherorts werden die heimischen Dialekte nach wie vor gepflegt, im Alltag wie in der Kultur. Woanders sind sie vom Hochdeutschen weitgehend verdrängt und werden nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Musik. Wir haben vier Fachkundige der jeweiligen Großregionen gefragt, wie es um die Dialektmusik im Norden, Osten, Süden und Westen der Republik steht. Ein Überblick, der durchaus Hoffnung macht.
Text: Michael A. Schmiedel
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„Tief im Westen“ (Herbert Grönemeyer) verstaubt nicht mehr die Sonne, aber der Vielfalt indigener Sprachen geht es nicht gut. Standarddeutsch ist fast überall Alltagssprache geworden, nur relativ wenige Menschen schwätze, babbele, küan, schwade oder kalle noch Dialekt, Mundart oder Platt. Dabei ist der Bereich dieses Artikels – nämlich Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Lothringen und Luxemburg (Belgien und die Niederlande werden hier ausgelassen) – mundartlich sehr vielfältig mit Anteilen am Ober- und am Niederdeutschen sowie dem Mitteldeutschen und den Das-Dat- und Of-Op-Linien mittendrin. Oberdeutsch sind vor allem Varianten des Rheinfränkischen zwischen Südhessen und Südwestlothringen, Mitteldeutsch das Nordhessische, Moselfränkische und Ripuarische von Nordhessen bis Südostlothringen und Luxemburg sowie Niederdeutsch das Westfälische und Niederrheinische von Ostwestfalen-Lippe bis zum Niederrhein.

In Hessen gibt es den Dialekt-Dachverband MundART, „der gerade erst beginnt, Hessens Vielfalt zum Klingen zu bringen“ (Götz Konrad). Die Band Odermennig beeinflusst Nachfolger wie Fäägmeel (1985-2005) und Meelstaa. In Frankfurt singt Reiner Weisbecker Lieder ohne die Wörter „Bembel“ oder „Äppelwoi“, die Hayner spielen zum Tanz auf, und im oberrheinischen Ried hat Bodo Kolbe den Riedblues im Trio Handkäs mit Orange. Weitere Mundartmusiker sind das Duo Bees Denäwe, der Liedermacher Jürgen Poth, genannt Guggugg, die Mundart-„Fels-Musik“-Combo Schwarzworz oder die Gruppe Reimtext um den Sänger Bobby N. Hepp. Reiner Weisbecker lamentiert aber: „Die hessische Mundartmusikszene leidet stark unter dem Nichtvorhandensein von Sendeformaten beim Hessischen Rundfunk. TV- Präsenz gibt es ganz selten.“ Als Lichtblick erwähnt er aber das Hessische Bluesfestival Blues, Schmus & Apfelmus, das im Laubacher Schlosspark 2023 zum 28. Mal stattfand.

Schäng Blasius Flönzrakete

Foto: Promo

Wieder im Norden sind die Lipper besonders stolz auf ihr ehemaliges Fürstentum, wovon auch ironisch Werner Zahn in seinen Lippsken Leuern (Lippischen Liedern) erzählt. In Gesamtwestfalen scheint mundartmusikalisch nicht viel los zu sein. Der Niederrheiner Günter Gall wohnt und musiziert in Osnabrück. Er recherchierte im niederrheinischen Volksliedarchiv Ernst Klusens, von wo er Lieder in die Repertoires der Gruppen Fukkepott, Mulwerk und Düwelskermes übernahm. Heute dagegen hält er das Plattdeutsche – also im Sinne von Niederdeutsch – am Niederrhein für ausgestorben. Gerade hat er selbst seinen Eintritt in den musikalischen Ruhestand erklärt (siehe hier).

Im Ruhrgebiet war der im letzten Jahr verstorbene Frank Baier ruhrdeutscher Sänger Nummer eins und inspirierte auch die Feuersteins, die allerdings standarddeutsch mit regionalen Wörtern und englisch singen. Im niederrheinisch-ripuarischen Krefeld spielt die Schäng Blasius Flönzrakete fetzige Bal-Folk-Musik mit niederfränkischen Texten. Winfried Kappes, der die Band leitet, geht allerdings davon aus, dass die Krefelder Mundart in 25 Jahren ausgestorben sein wird.

In Köln hört man zwar kaum noch Kölsch auf den Straßen, aber vor allem zu Karneval viel davon auf Bühnen. Eine Website listet circa 500 Bands und Solomusikschaffende in Köln und Umgebung auf, von denen die Meisten ripuarisch oder rheinischen Regiolekt singen. BAP, Köster & Hocker, die Bläck Fööss, die Höhner, Tommy Engel, Brings, Cat Ballou, Kasalla, die Paveier, die Räuber oder der letztes Jahr verstorbene Hans Süper sind nur die Bekanntesten. In der Domstadt wird die Integration von „Imis“ (Immigranten oder imitierte Kölsche) sehr großgeschrieben, Heimatlieder, ja, geradezu Hymnen auf Köln sind seit Jahren groß in Mode, und zwar immer als integrierende, inklusive Heimat, nie im Sinne der „Wacht am Rhein“. Die Medien – nicht nur der WDR – transportieren zumindest zur Karnevalszeit Mundartlieder quasi rund um die Uhr in die Öffentlichkeit.

Manuel Sattler

Foto: Zippo Zimmermann

Ebenfalls ripuarisch singt die Band Wibbelstetz aus Nettersheim in der Nordeifel, allerdings mit spezifischen Eifeler Themen in den Liedern. Bandleader Günter Hochgürtel kömt (lamentiert): „Wir können kaum noch junges Publikum anlocken, der Altersschnitt unserer Zuhörer liegt bei fünfzig plus. Die nachwachsenden Generationen sprechen kaum noch Eifeler Platt, das sich im nordrhein-westfälischen Teil der Eifel ähnlich wie Kölsch anhört.“

Im südlich angrenzenden moselfränkischen Bereich kann man einen riesigen Unterschied zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saarland feststellen. In Rheinland-Pfalz singt tapfer wie Don Quichotte Manfred Pohlmann aus Bendorf-Sayn gegen das Sterben seiner Muttersprache an, die Trierer Mundartszene ist nach Walter Liederschmitts Tod 2013 kaum noch lebendig, und manch anderer ehemals moselfränkische Sänger ist zum Standarddeutschen gewechselt. In Sankt Aldegund hat sich aber der Verein Mir schwätze Platt von Heinrich Kappel eine Hymne auf das Moselfränkische komponieren lassen. In der westlichen Eifel singt Sylvia Nels aus Ingendorf in einem Platt, das schon die Nähe Luxemburgs spüren lässt, und im Hunsrück singen noch Manfred Kupp (Mouldahaaf) und Why didn’t they ask Evans? mit dem Duoableger Beeschtebænner Lieder im Soon- beziehungsweise Hochwälder Platt. Das sind indes alles Leuchttürme im grauen Meer der Mundartvergessenheit.

Im Saarland dagegen boomt die Mundart, ob mosel- oder rheinfränkisch, seit 25 Jahren unterstützt von Susanne Wachs auf SR 3 als identitätsstiftendem Faktor. Der Sender bringt Radionachrichten, Politikerreden und natürlich auch Musik auf Platt. In der Bosener Mühle gibt es jährlich ein Symposium für Mundartdichtende und -musizierende. In Saarbrücken ist Manuel Sattler erfolgreich – aber nicht nur er. Zur Rolle der Mundartmusik im Saarland räumt er allerdings ein: „Leider gibt es das Phänomen, dass die Dialekte häufig für Klamauk, Fastnacht oder Heimatfolklore – Lyoner, Maggi, Karlsberg-Bier – genutzt wird.“

Ähnlich positiv wie im Saarland, wenn auch ohne Unterstützung des SWR, sieht es in Rheinhessen (siehe eigenen Artikel von Fred Balz) und der Pfalz aus. In Ludwigshafen ist die Gruppe Reinig, Braun & Böhm zu Hause und hat mit Pfalzrecords sogar ein eigenes CD-Label gegründet. Michael Wack von der Band Blues Himmel aus Zweibrücken erzählt von der Mundartmusik im Alltag wie auf Wein- und anderen Festen. Auch er lobt dabei die Unterstützung durch den SR aus dem Nachbarbundesland. Susanne Wachs betone auch diese grenzüberschreitende, euregionale Identitätsförderung durch die Mundart, welche somit nicht ausgrenze, sondern einschließe. Und Pfälzer „schwätze Pälzisch“ auch im Alltag.

Marcel Adam

Foto: Promo

Der Lothringer Jo Nousse aus dem „Dreilännereck“ (Frankreich, Luxemburg, Deutschland), der bei Mannijo (mit Manfred Pohlmann) und La schlapp Sauvage unter anderem auf Moselfränkisch und „Lëtzebuergesch“ singt, profitiert ebenfalls davon, während in Luxemburg auf Luxemburgisch singende Nichtluxemburger einen eher schweren Stand haben. Der Staat Luxemburg erklärte seinen moselfränkischen Dialekt zur Nationalsprache, sodass das Lëtzebuergesche eine sogenannte Aufbausprache ist, die einen Weg begeht, den das Niederländische lange hinter sich hat. Lëtzebuergesch ist so in der Musikszene eine relativ normale Sprache neben Deutsch und Französisch. Bekannte luxemburgisch singende Musikschaffende im Nachbarland sind Nationalbarde Serge Tonnar und d’Dëppegéisser.
In Lothringen allerdings sind die deutschen Dialekte weiter auf dem Rückzug, woran auch der rheinfränkisch-lothringische Sänger Marcel Adam, der in Kleinblittersdorf im Saarland lebt, nichts ändern kann. Er hat mehr Fans im Saarland, in Rheinland-Pfalz bis ins Nordbadische, verfügt aber auch ein französischsprachiges Repertoire. Ein Problem ist, dass der französische Staat keine Anstrengungen unternimmt, Minderheitensprachen im eigenen Land zu fördern, alles hängt von privatem oder lokalem Engagement ab. Zum anderen besteht kein großes Netzwerk der rhein- und moselfränkischen Dialektsprechenden. Zwar gibt es mit Mir redde Platt im lothringischen Sarreguemines ein Plattmusikfestival, aber auch das zieht mehr Menschen aus dem Saarland als von französischer Seite an. Der Leiter des dortigen Kulturamtes, Hervé Atamaniuk, gilt als großer Unterstützer der lothringischen Mundart, sammelte selbst Lothringer Mundartlieder und gründete die Gruppe Schaukelperd.

Ob Mundart boomt oder lebt, hängt viel von den Menschen ab. Finden sie in ihrer Mundart einen wichtigen Identitätsfaktor, welcher durch Musik nicht unwesentlich emotionalisiert wird, und wird dieser durch Medien wie das Radio unterstützt, dann lebt sie. Köln, das Saarland und Luxemburg zeigen das auf unterschiedliche Weise. Wo das fehlt, weicht sie nach und nach der Standardsprache, sei sie Deutsch oder Französisch – und mit ihr auch die Mundartmusik.

 

Der Autor dankt für Infos und Einschätzungen:
Marcel Adam (Kleinblittersdorf), Stefan Backes (Bad Kreuznach), Guntmar Feuerstein (Bochum), Günter Gall (Osnabrück), Günter Hochgürtel (Nettersheim), Winfried Kappes (Krefeld), Götz Konrad (Eschenburg), Jo Nousse (Sierck-les-Bains), Manfred Pohlmann (Engers), Manuel Sattler (Saarbrücken), Gerhard Schommers (Sankt Aldegund), Susanne Wachs (Saarbrücken), Michael Wack (Zweibrücken), Reiner Weisbecker (Frankfurt), Werner Zahn (Detmold)

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Eine noch ausführlichere Version dieses Beitrags hat der Autor in seinem Blog, dem „Folkigen Rundbrief für Bonn, Rhein-Sieg und Umgebung“, veröffentlicht: www.folktreff-bonn-rhein-sieg.blogspot.com/2023/10/folkiger-rundbrief-nr-2023-1-spezial.html.

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Aufmacherfoto:

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