Es war Mitte der Siebzigerjahre, als ich das erste Mal mit bretonischer Musik in Kontakt kam. Noch vollkommen begeistert und paralysiert von der deutschen Gruppe Ougenweide, spielte mir ein Freund eine LP mit Musik des Harfenisten Alan Stivell vor. Bis zu einer ersten Reise in die Bretagne dauerte es da nicht mehr lange. Hier musste ich nicht lange suchen, um auf bretonische Musik zu stoßen: Faktisch auf jedem Volksfest konnte man sie hören, die Fußgängerzone von Morlaix wurde damit beschallt, Radiostationen spielten sie. Und doch war da eine Irritation. Diese Musik war soweit ganz schön, aber sie klang allzu glatt und gefällig. Sie erinnerte mich doch sehr an die sogenannte volkstümliche Musik in Deutschland, die dafür gesorgt hatte, dass ich dachte, traditionelle Musik in Deutschland nicht zu mögen. Es musste Mitstreiter von Stivell geben, aber wo waren die?
Text: Michael Klevenhaus
Ich fand sie durch Zufall in einem kleinen Dorf in der Zentralbretagne. Ungeplant waren wir da gelandet, und im Dorfsaal war ein bretonischer Abend angekündigt. Ich geriet in ein Konzert mit den Schwestern Gouadec, drei betagten Damen, die in schnellem Rhythmus Lieder in einer Art Wechselgesang in bretonischer Sprache sangen. Und war begeistert.
Einmal in Kontakt gekommen, wurden wir von einem Konzert zum nächsten weitergereicht, und waren natürlich auch auf einem des Harfenisten der Bretagne, Alan Stivell. Ihm ist es zu verdanken, dass die dort lange vergessene Harfenmusik wiederbelebt wurde. Und weit über die Bretagne und Frankreich hinaus sorgte er in der Szene für traditionelle Musik für die Wiederentdeckung der sogenannten keltischen Harfe. Von seinem Vater Georges Cochevelou hatte er die alten bretonischen Überlieferungen gelernt, und Cochevelou war es auch, der die bretonische Harfe rekonstruiert und wieder gebaut hatte – übrigens im Ort Gourin, in dem jedes Jahr im September Les Sonneurs stattfindet, das Championnat de Bretagne de Musique et de Danses Traditionelles.
„Der Hang zur Modernität zieht sich wie ein roter Faden durch die Musik der Bretagne.“
Stivell begann mit acht Jahren zu spielen, heute ist er achtzig und tourt noch immer mit seiner Musik durch Europa. Dabei hat er nie nur traditionelle Musik gespielt. Sie bildete zwar immer die Grundlage für sein künstlerischen Schaffen, aber er kam schon früh mit Klassik, Rock, und Popmusik in Berührung und ließ sie mal mehr, mal weniger in sein eigenes Werk einfließen. Strenge Traditionalisten waren von ihm enttäuscht, andere begeistert zu hören, dass bretonische Musik auch modern und rockig klingen konnte. Der Harfenist Myrdhin etwa ist eher den Weg der Tradition weitergegangen und erzählt in seiner Harfenmusik von den mythischen Ereignissen seiner Heimat. Er stammt aus Dinan im Norden der Bretagne, wo sich auch jährlich das Festival Rencontres Internationales de Harpes Celtiques ereignet.
Unbegleiteter Gesang, Harfenmusik und Bands, die traditionelle Musik spielen, bilden den Kern der bretonischen Szene. Viele schöpfen aus einer Tradition, von der einige behaupten, sie sei gar keine: der bretonischen Lieder- und Gedichtsammlung Barzhaz Breizh. Gesammelt und zusammengestellt wurde diese von Théodore Hersart de La Villemarqué, erstmals gedruckt und veröffentlicht 1839 in Paris. Barzhaz Breizh brachte die bretonische Volkskultur zum ersten Mal überhaupt geballt ins bretonische Bewusstsein zurück. Eines der ältesten der gesammelten Lieder ist die Legende von Ys. La Villemarqué zeichnete nicht nur die Melodien der Balladen, sondern auch die Liedtexte auf. Sein Werk stellt einen der ersten Versuche dar, traditionelle bretonische Musik zu sammeln und zu drucken. Da einige Jahre zuvor der Ossian des Schotten James Macpherson als Fälschung entlarvt worden war, warf man La Villemarqué ebenfalls vor, gefälscht zu haben. Aus seinen Notizen konnte allerdings belegt werden, dass er höchsten hier und da geglättet, neu arrangierte und mit eigener Fantasie Geschichten weitergesponnen hatte. Für die traditionelle Musik der Bretagne ist Barzhaz Breizh auf jeden Fall eine unverzichtbare Quelle, auf die bis heute vielfach Bezug genommen wird.
Eine Besonderheit der bretonischen Musik ist die grundsätzliche Offenheit für Einflüsse von außen und für die moderne Interpretation alter Stücke. Jedem, der einmal eine Bagad, eine bretonische Pipeband gehört hat, fällt sofort auf, dass hier der große schottische Dudelsack neben bretonischen Instrumenten wie der Biniou eine Heimat gefunden hat. Ebenso erstaunen die oft modernen Arrangements der Stücke, die für das eher traditionell eingestellte Ohr gewöhnungsbedürftig sein können. Dieser Hang zur Modernität zieht sich wie ein roter Faden durch die Musik der Bretagne, seien es Pipebands, Harfenmusik, Gesang oder Instrumentalbands wie zum Beispiel Skolvan.
Skolvan wurde 1984 gegründet und war eine der treibenden Kräfte der Wiederbelebung der bretonischen Musik. Sie gehören zur zweiten Welle dieser Wiederbelebung, nachdem Tri Yann, oder Gilles Servat bereits in den Siebzigern Vorarbeit geleistet hatten. Youenn Le Bihan brachte für Skolvan Musiker verschiedener Genres zusammen, nämlich zwei Lehrer (Violine und Akkordeon) des Ploemeur-Konservatoriums für traditionelle Musik sowie den Gitarristen Gilles Le Bigot. Am 14. April 1984 traten sie erstmals bei einem Fest Noz auf. Le Bihan schuf auch das für den Sound von Skolvan typische „Piston“, eine Art von der Barockoboe inspiriertes Kornett. Für ihre Tanzmusik bekannt, kann man die Band bis heute auf Konzerten und Festoù Noz hören und sehen.
Didier Squiban ist ein französischer Pianist und Komponist aus der Bretagne. Von Klassik und Jazz kommend, ist er ein wichtiger Musiker in der modernen bretonischen Musikszene, deren Instrumentarium er um das Klavier bereichert hat. Sein Werk ist eine Kombination aus traditioneller bretonischer Musik, Jazzimprovisation und klassischem Romantizismus.
Ar Re Yaouank spielen mit Erfolg traditionelle tanzbare Stücke und eigene Kompositionen auf Konzerten oder zu Festoù Noz – in der Bretagne, in Paris und auf verschiedenen Festivals. Sie konnten ein junges Publikum für bretonische Musik begeistern. Eines ihrer bekanntesten Stück ist „Breizh Positive“ aus dem Jahr 1995, welches auch von anderen Bands neu bearbeitet wurde. Traditionelle Melodieversatzstücke und -instrumente treffen auf moderne Arrangements – heraus kommt unbedingt tanzbare Musik, die bis heute nicht von ihrer Frische verloren hat. Zur gleichen Zeit gingen Stone Age noch einen Schritt weiter. In Stücken wie „Zo Laret“, „Ultra Breizh“ oder auch „Maribrengael“ knallte es richtig: elektronische Beats, Kan ha Diskan, Rap-Elemente, Dudelsack und Synthesizer sorgten für ein absolut neues Klangerlebnis, dem man noch anhörte, woher die Musik kommt, welches aber definitiv in der musikalischen Moderne des tanzbaren Pops angekommen war.
Ganz am anderen Ende der Bandbreite bretonischer Musik steht die, die in Kirchen gespielt wird. Wer nach einem Konzert mit Orgel, Bombarde, Harfe und Gesang wieder aus einer gotischen Kirche auf die Straße tritt, hat das Gefühl, aus einer anderen Welt zu kommen. Ob es eine keltische ist? Manche behaupten es.
Und auf diesen Wegen geht es bis heute weiter. Die Vielfalt der bretonischen Musik kann hier nur ansatzweise beschrieben werden, Namen nur stellvertretend für viele weitere als Beispiele genannt werden, ohne dass dieser Auswahl eine Bewertung zugrunde liegen würde. Vom traditionellen Fest Noz über regionale Musikwettbewerbe wie in Gourin bis zu international bekannten Ereignissen wie dem Festival Interceltique de Lorient kann man all diese verschiedene Musik erleben, hören, tanzen und genießen. Und dann haben wir von der Kultur und Kulinarik drumherum noch gar nicht angefangen …
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