nah dran
Eine Onlineschule für traditionelle Musik auf dem Dudelsack in G/C-Stimmung mit halbgeschlossener Griffweise: Geht’s noch abgefahrener? Dass die digitale Lehrmethode gerade für Dudelsackspielende Sinn macht, davon sind die Macher der Website www.school-of-trad.de, Matthias Branschke und Marcel Friedmann, überzeugt. Der Erfolg gibt ihnen Recht.
Text: Ulrike Zöller
Da haben sich zwei Dudelsackverrückte mit Missionseifer getroffen. Der digital affine Marcel Friedmann aus Mittelfranken wurde vom Dudelsackvirus befallen, nachdem er eigentlich als Schlagzeuger im Rock/Pop-Bereich unterwegs gewesen war. Über das Interesse an der Great Highland Bagpipe kam er zur Schäferpfeife, auf der ihn sein musikalischer Mentor, Matthias „Mattis“ Branschke unterrichtete. Branschke war dem Dudelsackfieber bereits seit Kindheitstagen erlegen, wo er bei Mittelalterfesten in seiner Heimatstadt, der Lutherstadt Wittenberg, mit dem Instrument in Berührung kam. Er ging bei dem Dudelsackspieler und -bauer Bodo Schulz in die Lehre und nahm 1998 am ersten ostdeutschen Dudelsacklehrgang teil. Nach dem Abitur ließ er sich zum Dudelsackbauer ausbilden. „Ich bin der Prototyp eines Nerds“, beschreibt er sich selbst. Seit 2006 gibt er Dudelsackkurse und leitet Lehrgänge. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Teil der deutschen Tradszene um Gruppen wie Bilwesz und Malbrook, Menschen wie Ralf Gehler und Merit Zloch.
Deutschtrad und Distanzen
Marcel Friedmann fand in Branschke seinen „Meister“, ließ sich unter anderem per Skype von ihm unterrichten und besuchte jeden Dudelsackkurs, dessen er habhaft werden konnte. Er lernte die verschiedenen Musikrichtungen kennen, in denen das Instrument zum Einsatz kam, wobei er sein Wissen zum größten Teil übers Internet bezog. Nach einiger Zeit fand er heraus, dass es in seiner mittelfränkischen Heimat eine traditionelle Dudelsackszene und vor allem ein Institut gibt, das sich der Dokumentation und Verbreitung von Volksmusik annimmt. Seither ist er mit der Forschungsstelle für Fränkische Volksmusik in Verbindung.
Was ihm allerdings auffiel: Bei vielen Dudelsackspielenden, die an den meist jährlich abgehaltenen Kursen teilnahmen, schliefen Fertigkeit und Repertoire das Jahr über mehr oder weniger ein. Wer nicht das Glück hat, jemanden wie Matthias Branschke als Freund zu haben, mit dem man sich regelmäßig austauschen und bei dem man sich Anregungen holen kann, steht mit seinem Balg außerhalb der Workshops mehr oder weniger im Regen. Die Szene der Dudelsackpfeifenden ist nicht so groß, dass flächendeckend Lehrende zur Verfügung stehen. Umgekehrt wollen natürlich auch Dudeslackdozenten oder -dozentinnen nicht wegen einer einzigen Stunde Distanzen von hundert Kilometern oder mehr zurücklegen. Um Noten und Tonträger traditioneller deutscher Musik sowie Informationen zu Festivals und Kursen verfügbar zu machen, betreute Friedmann bereits die Seite www.deutschtradshop.de. Warum also nicht einen Schritt weitergehen und Onlinekurse für Dudelsack anbieten?
Dreistufenmodell
Bei einem „analogen“ Workshop machte Friedmann Branschke mit seinen ersten Überlegungen in diese Richtung bekannt, und bald schon wurde das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Im Aboverfahren stellt Branschke jeden Monat ein neues Stück vor. Dabei richtet sich die School of Trad an Musizierende, die mit dem Dudelsackspiel bereits elementar vertraut sind, sowie an Fortgeschrittene und solche, denen das Spiel gut geläufig ist. Das ausgewählte Stück wird zunächst in eine einfache Grundmelodie zerlegt, mit der alle zurechtkommen sollten. Im nächsten Schritt folgt die vollständige Melodie. Und für Fortgeschrittene gibt es schließlich noch eine um Verzierungen ergänzte Version.
Mit angenehmer Stimme gibt Mattis Branschke Erklärungen und Anweisungen. Auch die optische Darstellung ist klar und beschränkt sich auf die wichtigsten Informationen, nämlich die Fingergriffe. Wem es trotzdem zu schnell geht, kann das Tempo drosseln und das Stück in seiner oder ihrer eigenen Geschwindigkeit einüben. Natürlich gibt es die Möglichkeit, nachzufragen oder, bei größerem Bedarf, eine Einzelstunde per Videocall zu buchen. Auch der Umfang des Abos lässt sich selbst bestimmen: Das „Basic“-Modul beinhaltet nach dreißig Tagen kostenlosem Ausprobieren jeden Monat ein neues Stück, dazu den Zugang zur Bibliothek mit den Stücken und Videos, die seit Beginn der Mitgliedschaft erschienen sind. Beim „Plus“-Modul erweitert sich das Angebot um monatlich zusätzlich zwei Videos mit Übungen und Tipps „für garantiert schnelle Fortschritte“. Die „Premium“-Kategorie beinhaltet darüber hinaus freien Zugang zu allen Workshops, Sessions und Inhalten des Dudelsackclubs unter www.dudelsackclub.de.
Digital versus Tradition
Auch wenn Branschke und Friedmann daran arbeiten, eine Möglichkeit für absolute Neulinge zu schaffen, die School of Trad war von vornherein nicht als reiner Elementarunterricht gedacht. Zu komplex ist das Spiel, das genaue Koordination fordert. Weil Ton und Melodie nicht mit Mund und Atem beeinflusst werden können, sind Verzierungen ein wesentlicher Bestandteil des Dudelsackspiels. Und hier wird es noch einmal interessant: Das Repertoire der Onlineschule besteht aus traditionellen deutschen Stücken, die in alten Notenbüchern gefunden wurden – Polkas, Rheinländer, Menuette und andere Tänze, deren Melodien sich die Musikanten zur Gedächtnisstütze notiert hatten. Die Verzierungen allerdings wurden nicht zu Papier gebracht, die kreieren Dudelsackspielende nach individuellem Geschmack und Gefühl. Wurden sie anfangs von Meister zu Schüler überliefert, entwickelten die Spielenden später ihre eigenen Stile, die sie wiederum an ihre Schülerinnen und Schüler weitergaben. Zwischen Lehrenden und Lernenden herrschte früher ein enges Verhältnis – in einigen Regionen der Welt ist das heute noch so –, man traf sich mehrere Male in der Woche und konnte sich so das Spiel, die Technik und so weiter gut einprägen. Unsere heutige Lebensweise macht eine solch intensive Beziehung den meisten unmöglich. Aber: Meister Mattis zeigt es den Lernwilligen ganz genau, mehrmals am Tag kann man nachvollziehen, wie er greift, wie er trillert, wie er verziert. „Das Video macht es traditioneller als die Art, wie wir heute Musikunterricht haben“, erklärt Matthias Branschke die Vorteile der digitalen Vermittlung. „Das Phrasierungs- oder Stilbildungssegment erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit. Alles, was ich mache, ist aus meiner Sicht für deutsches Dudelsackspiel genauso richtig oder falsch wie bei jedem anderen Lehrer, der vielleicht völlig andere Phrasierungen im gleichen Stück spielt.“
Dudelsack und sehr viel mehr
Mithilfe von Marcel Friedmann, der die Videos professionell bearbeitet und die Website nutzerfreundlich und individuell pflegt, vermittelt Matthias Branschke sehr viel mehr als Anleitungen zum Dudelsackspiel. Er lässt Spielende über seine Schulter schauen und öffnet nicht nur seine Werkstatt, in der er die Instrumente herstellt, sondern auch seine ureigene musikalische Werkzeugkiste, mit der er durch sein Spiel und seine Verzierungen aus nackten Noten gut hörbare, tanzbare Stücke zaubert. Es ist nicht mehr und nicht weniger als die Vermittlung des Gedankens, dass traditionelle Musik aus Deutschland ein noch viel zu wenig gehobener Schatz ist und dass man mit jedem Dudelsackstück, das hier erlernt wird, auch ein Stück wertvoller deutscher Kultur entdeckt – und sie sich ganz persönlich zu eigen machen kann.
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